Das politische Wirken der Kirchen in der DDR und die Reaktionen des MfS

( Gekürzte Fassung veröffentlicht im "Deutschland-Archiv" Nr. 4/94, Seite 374 – 391)

Gliederung:

  1. Zu den Wurzeln des Mißtrauens
  2. Allgemeines zu Struktur; Aufgaben, Mitteln und Methoden sowie Entscheidungsstrukturen im Bereich der Abwehrarbeit des MfS gegenüber den Kirchen und Religionsgemeinschaften
  3. Besonderheiten der katholischen Kirche in der DDR
  4. Der Weg zum Bund Evangelischer Kirchen in der DDR
  5. Die Hauptkonflikte zwischen Staat und Kirche
  6. Kirchen und Außenpolitik der DDR
  7. Die "Kaderpolitik" des MfS in den Kirchen
  8. Das Grundsatzgespräch vom 06.03.1978
  9. Die Luther-Ehrung 1983 und die nachfolgenden Großveranstaltungen
  10. Kirche und Antragsteller auf Übersiedelung in die BRD
  11. Kirche und Opposition in der DDR
  12. Der Weg in den Untergang der DDR
  13. Die Kirchen unmittelbar nach der Wende
  14. Fazit

 

Vorbemerkungen

 

Die Verfasser des nachstehenden Beitrages sind ehemalige Mitarbeiter des MfS, die in unterschiedlichen Positionen über viele Jahre hinweg u.a. auch mit Aufgaben auf dem Gebiet der Kirchen und Religionsgemeinschaften, darunter und Analyse von Informationen betraut waren.

Sie verstehen sich als authentische Zeitzeugen, wenn auch mit der Einschränkung, dass sie das Wirken des MfS in den 50er Jahren, darunter speziell in der Zeit bis 1955, als das MfS noch vollständig der Aufsicht, Anleitung und Kontrolle des sowjetischen Geheimdienstes unterworfen war, nicht aus eigenem Erleben beschreiben können.

Hinzu kommt, dass die Arbeitsmethoden des MfS, insbesondere der Grundsatz, dass jeder Mitarbeiter nur das wissen sollte, was er zur Erfüllung seiner Aufgaben wissen musste, einen vollständigen Überblick über alle relevanten Fakten nicht zuließen und den Verfassern keine Dokumente aus der Arbeit des MfS zur Verfügung stehen.

Die Verfasser sind sich ihrer subjektiven Sicht bewusst und befinden sich in einem keineswegs abgeschlossenen Erkenntnisprozess, in dem sie eingeübte Denkschemata, eine ganze Begriffswelt, Ergebnisse jahrzehntelanger Arbeit immer wieder hinterfragen .

Angesichts devoter und eilfertiger Schuldbekenntnisse, massiver Versuche der Verdrängung, tendenziösen Verfälschung und Umbewertung historischer Ereignisse sowie eines sensationslüsternen Enthüllungsjournalismus, worin die anhaltende Dämonisierung des .MfS eingeschlossen ist, unternehmen sie mit der nachstehenden Ausarbeitung einen ersten - zwangsläufig unvollkommenen Versuch, zur Erforschung der geschichtlichen Wahrheit beizutragen.

Dieser Versuch wird Widerspruch hervorrufen und er soll es auch, weil ohne den Streit widersprechender Auffassungen Vergangenheit nicht aufgearbeitet werden kann.

Die Verfasser danken allen, die sie in ihrem Vorhaben ermutigt und vor allem jenen, die durch konstruktive Kritik und wertvolle Hinweise anregend und bereichernd auf die Erarbeitung des nachfolgenden Dokumentes Einfluss genommen haben.

 

1. Zu den Wurzeln des Misstrauens

 

Nach der Zerschlagung des Faschismus standen auch die Kirchen in Deutschland vor der Notwendigkeit sich neu zu orientieren.

Sie hatten mehrheitlich mit der faschistischen Diktatur kollaboriert. Die wenigen religiösen Sozialisten und kirchlichen Mitarbeiter, die am antifaschistischen Widerstandskampf teilgenommen und ihn überlebt hatten, konnten nach 1945 keinen bestimmenden Einfluss auf kirchliche Grundpositionen ausüben.

So führte die Rückbesinnung auf die traditionellen Werte und Ideale des bürgerlichen Humanismus in den westlichen Besatzungszonen dazu, dass sich die Kirchen zu staatstragenden Säulen entwickeln konnten und insbesondere halfen, das nach der Zerschlagung, des Hitlerfaschismus entstandene geistig-weltanschauliche Vakuum auszufüllen.

 

In einer völlig anderen Situation sahen sich die Kirchen in der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR.

Sie hatten in einer gesellschaftlichen Ordnung zu wirken, in der sie – außer dem Vorwurf der Kollaboration  mit dem NS-Regime – zu befürchten hatten, generell als Relikt einer überlebten Epoche angesehen zu werden.

Unter diesem Vorzeichnen wirkten sie in einem gesellschaftlichen Umfeld, dem sie selbst Misstrauen entgegenbrachten und das ihnen mit zumindest dem gleichen Misstrauen entgegentrat.

Es ist ein unzweifelhaftes Verdienst der sowjetischen Militäradministration, trotz der auf beiden Seiten vorhandenen erheblichen Vorurteile mit einer maßvollen Politik erste Voraussetzungen für ein Nebeneinander von Kirche und staatlicher Macht geschaffen zu haben.

Dazu gehörten z.B. die Aufhebung der Beschränkungen des religiösen Lebens aus der Zeit des Faschismus und der Verzicht auf die Enteignung der Kirchen.

Die konsequente Verwirklichung des bürgerlich-demokratischen Prinzips der Trennung von Staat und Kirche führte aber im Vergleich mit den westlichen Besatzungszonen zu realen Verlusten an Einfluss‑ und Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen.

Damit wurde eine Ursache gesetzt, die im Kontext mit zahlreichen weiteren Faktoren auf lange Sicht dazu führte, dass die Kirchen in der DDR ihren Charakter als Volkskirchen verloren haben und nur noch Minderheiten der Bevölkerung repräsentieren.[1]

Allerdings sind Prozesse der Säkularisierung in der DDR nicht nur auf die atheistische Prägung der realsozialistischen Umwelt, sondern auch auf Entwicklungen zurückzuführen, die in allen modernen Industriestaaten gleichermaßen zu Geltung gelangten.

 

Das Misstrauen der jungen DDR-Staatsmacht gegenüber den Kirchen in der DDR resultierte weniger aus den weltanschaulichen Gegensätzen sondern hauptsächlich aus deren engen politischen und organisatorischen Bindungen an die und finanziellen Abhängigkeiten von den westdeutschen Kirchen.[2]

Zu beachten war auch, dass die Erklärung, von Stuttgart, mit der sich die evangelischen Kirchen bezogen auf ihr Agieren in der Zeit des Faschismus schuldig bekannt hatten, innerhalb dieser Kirchen zu keinen bedeutsamen personellen Konsequenzen geführt hat .

Das von faschistischen Deutschland mit den Vatikan abgeschlossene Konkordat wurde nach 1945 nicht außer Kraft gesetzt und bildete bis zur. Ende der DDR das Haupthindernis für die Anerkennung der Staatsgrenze zur Volksrepublik Polen als Kirchengrenze. (Diese Forderung wurde übrigens nicht nur von der DDR sondern selbst durch polnische Bischöfe immer wieder erhoben.

 

Die Aktivitäten von Staat und Kirche bestätigten in den ersten Jahren das gegenseitige Misstrauen, waren aber auch von Illusionen auf beiden Seiten bestimmt.

Auf der Seite der Kirchen wurden die politischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone und in den ersten Jahren der DDR zunächst nur als ein vorübergehendes Übel, als eine kurzzeitige historische Episode, betrachtet.

Kirchliche Mitarbeiter aus den Westzonen wurden noch in den 50er Jahren wie Missionare in die DDR entsandt, so z.B. der spätere Magdeburger Bischof KRUSCHE, der eigenen Aussagen zufolge illusionär auch davon ausgegangen war, dass dieser Auftrag nur von begrenzter Dauer sein werde. Auch die Ausbildung des  Nachwuchses für kirchliche Ämter erfolgte zunächst hauptsächlich in den westlichen Besatzungszonen und später in der BRD.[3]

 

Die staatliche Politik gegenüber den Kirchen wurde von der Illusion getragen, dass mit der sozialistischen Entwicklung ein relativ rasches Absterben der Kirchen verbunden sein werde, dem nicht sonderlich nachgeholfen werden müsse. Die erste sozialistische Stadt der DDR  - Stalinstadt, später umbenannt in Eisenhüttenstadt - wurde ohne Kirchen erbaut.

 

Die 1952/1953 staatlicherseits erfolgte kirchenkampfähnliche Verschärfung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche, wie sie vor allem im Verbot der "Jungen Gemeinde" zum Ausdruck kam, scheiterte wie andere Vorhaben der SED aus dieser Zeit an den gesellschaftlichen Realitäten und wurde mit der Verkündung des "Neuen Kurses" der SED unmittelbar vor dem 17. Juni 1953 korrigiert .

Obwohl das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Gesamtverlauf der Geschichte der DDR immer eine Mischung aus von beiden Seiten ausgehender Konfrontation und Kooperation war, blieb es bei diesem einen: und damit einzigen Versuch, Probleme mit den Kirchen in einer derart zugespitzten Form lösen zu wollen.

 

2. Allgemeines zu Struktur, Aufgaben, Mitteln und Methoden sowie Entscheidungsstrukturen im Bereich der Abwehrarbeit des MfS gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften

 

Das am 08. Februar 1950 mit dem Ziel der Gewährleistung der staatlichen Sicherheit der DDR gegründete Ministerium für Staatssicherheit hatte unter den damaligen Bedingungen des Kalten Krieges bis zur Mitte der 50er Jahre andere Sorgen und in Quantität und Qualität nicht ausreichend Personal, um sich intensiv um die Kirchen zu kümmern.

Entsprechende Kräfte und Mittel des MfS waren schwerpunktmäßig auf den Kampf gegen die Sekte ''Zeugen Jehovas" konzentriert, die vom Obersten Gericht der DDR 1950 für illegal erklärt und wie eine Agentenorganisation mit einer Hauptzentrale in den USA behandelt wurde.

 

Mit dem Abschluss des Militärseelsorgevertrages 1957 hatte die EKD unmissverständlich und endgültig ihren Platz im Kalten Krieg bestimmt.1957 war auch der DDR-Vorschlag zur Bildung einer Konföderation beider deutscher Staaten von der BRD-Seite ignoriert worden und damit auch die letzte Chance einer Wiedervereinigung Deutschlands auf gleichberechtigter Grundlage. Die EKD als gesamtdeutsche Klammer war zur Fiktion geworden.

So war es nur folgerichtig, dass die DDR das Amt des Beauftragten der EKD bei der Regierung der DDR, welches von Propst GRÜBER. wahrgenommen worden war, abschaffte. Es wurde eine Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen gegründet.

Von diesem Zeitpunkt ab änderte sich der Auftrag des MfS gegenüber den Kirchen in der DDR. Dazu erfolgte auch ein entsprechender Ausbau der personellen, inoffiziellen und operativ-technischen Möglichkeiten des MfS.

 

Bis 1958 wurde der Mitarbeiterbestand der für die politisch-operative Abwehrarbeit in Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständigen Abteilung 4 der Hauptabteilung V ( 1964 in Hauptabteilung XX umbenannt ) auf etwa 20 Mitarbeiter erhöht[4]

Bis 1989 verdoppelte sich der Mitarbeiterbestand dieser 4. Abteilung (einer von 10 Abteilungen) der Hauptabteilung XX (Kurzbezeichnung HA XX/4) auf etwa 40 Mitarbeiter.

 

In den Bezirksverwaltungen des MfS existierten zuletzt Referate 4 der Abteilungen XX in Stärke von 5-12 Mitarbeitern, insgesamt ca. 120 Mitarbeiter und in wichtigen Kreisdienststellen des MfS (Bezirksstädte, Sitz von Kirchenleitungen, kirchenpolitische Schwerpunkte ) nochmals insgesamt ca. l00 Mitarbeiter mit analogen Aufgabenstellungen.

 

Noch Mitte der 50er Jahre stand das MfS vor den Kirchen, wie vor einer uneinnehmbaren Festung. Nur wenige, meist einflusslose kirchliche Amtsträger, waren bereit mit dem Staatsapparat, der SED oder gar mit dem MfS zu kooperieren. Erst die wachsende Einsicht, dass man in und mit diesem Staat leben müsse, ließ Barrieren aufbrechen.

Dazu kam, dass mit ersten erfolgreichen Anwerbungen einflussreicherer kirchlicher Persönlichkeiten sich der innere Zustand der Kirchen für das MfS erschloss. Plötzlich wurde offenbar, dass kirchliche Amtsträger ihren Dienst aus sehr differenzierten Motiven nachgingen, sich in ihren politischen Ansichten z.T. kontrovers gegenüberstanden, sich ihrer Herkunft und ihren persönlichen Beziehungen zur Außenwelt nach erheblich unterschieden, mitunter auch Ärger mit ihren Vorgesetzten hatten, im Gerangel um den Aufstieg in der kirchlichen Hierarchie manchmal auch nicht die feinsten Methoden anwandten und ansonsten den gleichen Versuchungen unterlagen wie die schwarzen Schafe ihrer Gemeinden oder jeder andere normal Sterbliche auch.

 

Es gibt wohl keinen Geheimdienst in der Welt, der solche Kenntnisse nicht für seine Interessen, insbesondere auch für die Anwerbung von Personen zur konspirativen Zusammenarbeit zu nutzen gewusst hätte[5]

Grundsätzlich wurden Werbungen von inoffiziellen Mitarbeitern durch das MfS auf der Basis politischer Überzeugungen oder zumindest auf der Grundlage gemeinsamer Interessen angestrebt. In Ausnahmefällen wurde auch mit kompromittierendem Material, z.B. Erkenntnissen zu moralischen Verfehlungen unterschiedlichster Art bis hin zur Nutzung von Informationen aus Nazi-Archiven gearbeitet.

Aber auch bei unter Druck bzw. durch Erpressung angeworbenen Personen wurde stets versucht, in geduldiger Überzeugungsarbeit Positionen zu erreichen, die eine freiwillige Zusammenarbeit und damit auch größere Effektivität und Zuverlässigkeit zuließen. In der Regel wurden zumindest partielle Übereinstimmungen in politischen Grundpositionen erreicht, wie in Fragen der aktiven Unterstützung der auf Frieden, Abrüstung und Entspannung gerichteten Außenpolitik der DDR,. dem der christlichen Nächstenliebe nahestehenden Ideal sozialer Gerechtigkeit, einer auf das Wohl der Menschen und ihr solidarisches Verhalten bedachten Politik oder der Herstellung eines konstruktiven, vertrauensvollen Verhältnisses zu den Staatsorganen zum Nutzen der Kirchen und der Christen in der DDR.

Dabei waren die Motive, Inhalt und Nutzen der inoffiziellen Zusammenarbeit äußerst differenziert. Die Spannweite reichte von IM, die längst mit der Kirche gebrochen hatten und dort nur verblieben, um für das MfS weiter tätig zu sein bis zu IM, die sich nur widerwillig in großen Abständen zu Gesprächen mit dem MfS bereit fanden und dabei noch sorgfältig abwägten, was sie offenbaren konnten und was nicht.

 

Hinzu kam, dass angesichts der gegenüber anderen gesellschaftlichen Bereichen erheblich größeren Schwierigkeiten bei der Werbung von IM im kirchlichen Bereich zunehmend Kompromisse eingegangen wurden, die ansonsten in der Arbeit des MfS, -abgesehen von der Tätigkeit der Aufklärung- nicht üblich waren.

So wurde zunehmend darauf verzichtet, schriftliche Verpflichtungserklärungen abzuverlangen und schließlich eine förmliche Verpflichtung nicht mehr zur Bedingung gemacht, wenn eine kontinuierliche Gesprächsführung und Informationsgewinnung zu erwarten war. Es wurde auch in Kauf genommen, dass die Mehrzahl der kontaktierten kirchlichen Mitarbeiter ihre Vorgesetzten über Gespräche mit dem MfS informierte und auf eine langfristige Herstellung vertraulicher Beziehungen gesetzt.

Schließlich wurden auch zunehmend Überlegungen angestellt, eine inoffizielle Zusammenarbeit anzubahnen, ohne dass das MfS hierbei überhaupt in Erscheinung treten musste.

So blieb es den Mitarbeitern der Kirchenabteilung der HA XX bzw. -Referate der Bezirksverwaltungen des MfS überlassen, zu welchem Zeitpunkt sie Personen aus dem kirchlichen Bereich als IM registrierten.

Es versteht sich von selbst, dass angesichts des Druckes auf diese Mitarbeiter, immer wieder neue IM zu rekrutieren, mitunter großzügig vorgegangen wurde. Trotz der inneren Kontrollmechanismen des MfS wurden auf diese Weise immer auch Personen als IM registriert, die dafür nicht die erforderlichen Voraussetzungen erfüllten, weder geeignet noch gewillt waren konspirativ mit dem MfS zusammenzuarbeiten.

Die aktuellen Debatten über wissentlich und unwissentlich geführte IM gehen am Wesen der Sache vorbei und sind das Resultat eingeübter Inquisition, die nicht nach Inhalt, Sinn und Nutzen der Zusammenarbeit mit dem MfS fragt, sondern nach der Zusammenarbeit an sich.

Völlig außer acht gelassen wurde bisher, dass das MfS besonders wertvolle IM überhaupt nicht als solche registrierte sondern zur Wahrung ihrer Sicherheit, speziell zum Schutz vor Verrat aus den eigenen Reihen, als Operative Vorgänge, die heute als ''Opferakten'' bezeichnet werden, führte.

Zu den Treppenwitzen der Geschichte gehört, dass der Leiter der gleichnamigen Behörde, Herr GAUCK vermutlich selbst als IM geführt worden wäre, wenn die Wende nicht einen bereits angebahnten Kontakt unterbrochen hätte[6]

Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, auf alle Probleme der inoffizieIlen Zusammenarbeit einzugehen, besonders auch unter dem Gesichtspunkt der in den Medien geführten Kampagnen gegen tatsächliche und vermeintliche IM des MfS.

 

Ein weites Feld ist z.B. die Zusammenarbeit der Führungsoffiziere des MfS mit den inoffiziellen Mitarbeitern. Die IM waren weder willfährige Werkzeuge ihrer Führungsoffiziere noch waren sie skrupellose Finsterlinge. Das Verhältnis zwischen Führungsoffizieren und IM gestaltete sich im Regelfall auf der Basis gegenseitiger Achtung, der Respektierung individueller Besonderheiten und Vorstellungen des jeweiligen IM, der gemeinsamen Beratung von Aufgaben und den dazu einzuschlagenden Wegen, der vertrauensvollen Erörterung menschlicher Sorgen und Probleme und der Organisierung echter Hilfe in schwierigen Situationen.

Zwischen IM und Führungsoffizieren entwickelte sich vor allem bei einer längeren Zusammenarbeit fast immer ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens, es entstanden inhaltsreiche Freundschaften, geführte Gespräche wurden sowohl von IM als auch von ihren Führungsoffizieren als Bereicherung eigener Vorstellungen und Anschauungen empfunden.

Nur auf diese Weise ist auch die nachweisbar hohe Einsatzbereitschaft vieler IM zu erklären, die letztlich auf gefestigten Überzeugungen von der Richtigkeit und Notwendigkeit des jeweiligen Handelns beruhte. Zweifellos entschied auch das psychologische Geschick von Führungsoffizieren mit über eine erfolgreiche Zusammenarbeit, ihre Fähigkeit Kontakte anzubahnen und zu festigen, ihr Auftreten und ihr Umgang mit anderen Menschen, ihre Art Gespräche zu führen usw.

 

Die Zusammenarbeit mit den IM war die wichtigste Grundlage der Tätigkeit des MfS (nicht nur im Bereich der Kirchen sondern generell) und blieb es auch trotz der in Qualität und Quantität wachsenden operativ‑technischen Möglichkeiten, wie Postkontrolle, Telefonkontrolle, Observation, konspirativen Ermittlungen und Durchsuchungen, Abhörtechnik usw. und deren ständigen Vervollkommnung durch den Einsatz der modernsten (aus dem Westen beschafften) elektronischen Technik.[7]

Das ergab sich nicht nur aus der Rolle der IM bei der Informationsbeschaffung sondern auch aus der durch die IM möglichen Einflussnahme im Sinne der Durchsetzung politischer und operativer Interessen. Das MfS war auf diese Weise nicht nur passiver Empfänger von Informationen, es konnte damit auch präventiv voraussehbare Entwicklungen bestimmen und lenken.

 

Im Gegensatz zu allen anderen gesellschaftlichen Bereichen war die SED in den Kirchen nicht selbst präsent, verfügte sie dort über keinen eigenen Apparat zur Durchsetzung ihrer Interessen im allgemeinen und ihres Führungsanspruches im besonderen. Sie konnte über die Politik der Kirchen nicht bestimmen und beschränkte sich auf eine Politik in Kirchenfragen, also auf jene Probleme für die im Verhältnis zwischen Staat und Kirche vergleichsweise wie im Verhältnis zu einer fremden Macht Klärungsbedarf entstand.

Da der politischen Machtausübung durch die SED in den Kirchen Grenzen gesetzt waren, wurde das MfS beauftragt, mit seinen spezifischen Mitteln und Methoden Möglichkeiten der politischen Kontrolle, der Neutralisierung politisch feindlicher Kräfte und Aktivitäten und der politischen Beeinflussung im Sinne der Staatsziele der DDR zu erschließen. Dabei waren die Kirchen zu keinem Zeitpunkt für das MfS als Religionsgemeinschaften von Interesse sondern immer nur als ein politischer Faktor in der Gesellschaft, mit dem man rechnen musste.

 

Die politischen Vorgaben der SED-Führung bestimmten grundsätzlich die Inhalte der Tätigkeit des MfS.

Zunehmend vom MfS unterbreitete eigene Vorschläge waren stets an die SED-Führung - speziell an das für Kirchenfragen zuständige Politbüro-Mitglied oder an den Generalsekretär der SED selbst adressiert, unterlagen deren Bestätigung und waren letztlich auf politische Machtsicherung der Herrschaft den SED-Politbüros und seines Generalsekretärs gerichtet, was nicht nur in Übereinstimmung mit der Verfassung der DDR stand sondern auch als unerlässliche Bedingung der Verteidigung und Fortsetzung der sozialistischen Entwicklung in der DDR angesehen wurde.

 

Das MfS organisierte seine Abwehrarbeit in den Kirchen und Religionsgemeinschaften in enger Kooperation mit den anderen  mit Kirchenfragen befassten Organen, vor allem

-          der Arbeitsgruppe Kirchenfragen im Apparat des ZK der SED

-          der Dienststelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen

sowie deren nachgeordneten Gliederungen in den Bezirken und Kreisen der DDR, d.h. entsprechenden Mitarbeitern der Bezirks- und Kreisleitungen der SED und den zuständigen Mitarbeitern der Bereiche Inneres der Räte der Bezirke und Kreise.

 

Da es sich dabei insgesamt um überschaubare, durch ihre spezifischen Aufgaben klar von anderen Entscheidungsträgern abgrenzbare Struktureinheiten handelte und diese aufgrund ihrer Exotik auch eine relative Selbständigkeit wahren konnten, entwickelte sich eine sehr enge, kameradschaftliche Zusammenarbeit.

Politische Konzeptionen wurden häufig gemeinsam beraten und arbeitsteilig verwirklicht, Berichte an die übergeordneten Parteiorgane sorgfältig abgestimmt (wer wollte sich schon Ärger einhandeln) und gegenseitig die jeweils bestmögliche Unterstützung gegeben.

Das Arbeitsfeld der für Kirchenfragen zuständigen Parteifunktionäre war die Klärung politischer Grundsatzfragen, das der im Staatsapparat tätigen Mitarbeiter für Kirchenfragen die praktische Gestaltung der offiziellen staatlichen Beziehungen zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Die Sonderrolle des MfS in diesem Dreiergespann ergab sich aus seinem aus der Geheimdienstarbeit resultierenden Informationsvorsprung, seiner Verantwortung für die Gewährleistung der staatlichen Sicherheit im Staatsapparat, dem Einsatz von Offizieren im besonderen Einsatz in wichtigen staatlichen Funktionen (der Parteiapparat war für das MfS tabu), seinen Möglichkeiten zur flexiblen und unkonventionellen Lösung von Konflikten und den über Erich MIELKE gegebenen direkten Informationszugang zum Generalsekretär der SED.

So wie Erich MIELKE zunächst Walter ULBRICHT und später Erich HONECKER direkt unterstellt war, waren die Leiter der Bezirksverwaltungen bzw. Kreisdienststellen des MfS Mitglieder der Bezirks- und Kreisleitungen der SED. Auch in den Bezirken und Kreisen der DDR konnte also über das MfS das eigentliche politische Machtzentrum direkt anvisiert werden.

 

Theoretisch konnten kirchenleitende Persönlichkeiten auch ohne Kontakte zum MfS auskommen. Praktisch waren solche Kontakte jedoch wichtig und nützlich, wenn Stufen der politischen Macht übersprungen, der Boden für komplizierte Entscheidungen bereitet, gegenseitige Berechenbarkeit und die manchen Vorgängen innewohnende Vertraulichkeit gewahrt werden sollten.

 

Um die Rolle des MfS zu verstehen, muss darauf verwiesen werden, dass dieses Organ von der Partei- und Staatsführung der DDR zunehmend eingesetzt wurde, um Aufgaben zu erfüllen, die normalerweise Angelegenheit von Politikern gewesen wären, aber von diesen nicht wahrgenommen wurden oder in den starren Grenzen einer dogmatischen Ideologie nicht wahrgenommen werden konnten.

 

Durch die SED wurden die Kirchen als politischer Gegner oder doch wenigstens als politischer Unsicherheitsfaktor betrachtet, ihre ungenügende Anpassung an staatliche Erwartungen vielfach als Ergebnis äußerer feindlicher Einflussnahme interpretiert.

Das MfS sollte durch seine Tätigkeit dieses Erklärungsmuster stützen und besaß darüber hinaus den Vorteil, dass die Ergebnisse seiner Arbeit, auch eingetretene Misserfolge, die offizielle Politik nicht unmittelbar tangierten. Auch die erreichbare hohe Flexibilität und Effektivität schienen die Orientierung auf das MfS zu rechtfertigen.

 

Innerhalb des MfS wurde der Verwässerung seiner ursprünglichen Aufgabenstellung, die eine der Ursachen für die unnötige Aufblähung des MfS-Apparates und den damit verbundenen Verlust der Akzeptanz in der DDR-Bevölkerung war, nicht ernsthaft begegnet.

Es entwickelte sich vielmehr ein gewisser Stolz, verbunden mit einem übersteigerten Verantwortungsgefühl, abrechenbare Beiträge zur Politik der SED leisten zu können, darunter auch solche, die augenscheinlich nur durch das MfS erreichbar waren.

Die damit verbundene Selbstbestätigung, das Anwachsen des spezifischen Gewichtes des MfS im politischen Machtgefüge und nicht zuletzt die Anerkennung und Würdigung durch die Parteiführung der SED spielten hierbei keine untergeordnete Rolle.

 

In späteren Jahren kam noch hinzu, dass die Führung unter HONECKER unangenehme Entwicklungen in der DDR systematisch verdrängte und dadurch zunehmend unfähig wurde, herangereifte Probleme zu erkennen und zu bewältigen. Auftretende Spannungen und Konflikte wurden de facto in die Zuständigkeit des MfS delegiert, das zwar beruhigend und dämpfend wirken, die gesellschaftlichen Ursachen aber nicht beseitigen konnte.

Auf dem Gebiet der Kirchenpolitik entstand auf diese Weise zunehmend eine Situation, dass das Tätigwerden der Staatsorgane oder der SED immer häufiger nur noch auf Vorschlag des MfS erfolgte, ansonsten aber stets mit dem MfS abgestimmt wurde.

 

3. Besonderheiten der katholischen Kirche in der DDR

 

Die katholische Kirche in der DDR bestimmte ihre Position einerseits als Minderheitskirche andererseits mit der Gelassenheit einer Institution, die auf eine Geschichte von fast zweitausend Jahren zurückblickt. Ihre weitgehend apolitische, allein dem kirchlichen Auftrag verpflichtete Haltung ermöglichte es ihr größtmögliche Distanz zum sozialistischen Staat zu  halten, aber gleichzeitig ihre Strukturen und ihre innere Geschlossenheit zu behaupten. Eine Standortbestimmung der katholischen Kirche in der DDR als Kirche im Sozialismus hat es trotz zaghaftester Ansätze zu keinem Zeitpunkt gegeben. Sie profitierte zudem von allen Verbesserungen für die Lage der Kirchen, die vornehmlich von den Evangelischen Kirchen erreicht wurden. Die stärker von religiösen Dogmen und Traditionen geprägte, weltlichen Orientierungen insgesamt weniger aufgeschlossen gegenüberstehende katholische Kirche organisierte auf diese Weise ihr Überleben nicht nur im Sozialismus sondern auch in einem von den evangelischen Kirchen bestimmten Umfeld.

Verhandlungen mit Vertretern des Staates verliefen weniger spektakulär, weniger konfliktgeladen und berechenbarer als bei den evangelischen Kirchen. Dabei bestanden zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der antikommunistischen Grundhaltung der katholischen Kirche, die z.B. von Papst Johannes Paul II. bei seinen Auftritten in der Volksrepublik Polen mehr als einmal in aller Deutlichkeit bekräftigt wurde.

Nicht das Verhalten der katholischen Kirche sondern das politische Auftreten der evangelischen Kirchen, die zudem die Mehrheit der Christen in der DDR repräsentierten, waren der entscheidende Maßstab für die Politik der DDR in Kirchenfragen und damit auch für die darin eingeschlossenen Aktivitäten und Reaktionen des MfS. Deshalb sollen die folgenden Ausführungen vorrangig auf Sachverhalte beschränkt werden, die die evangelischen Kirchen in der DDR betreffen.

 

4. Der Weg zum Bund Evangelischer Kirchen in der DDR

Die Entwicklung einer konstruktiven Kirchenpolitik in der DDR ist untrennbar mit dem Wirken des langjährig für Kirchenfragen zuständigen Politbüromitglieds der SED Paul VERNER verbunden. Ausgehend von der Einschätzung, dass die Kirchen offensichtlich nicht in einer historisch kurzen Zeit an Einfluss und Bedeutung verlieren werden und dass jeder Versuch, ihre Existenz künstlich oder gewaltsam zu beenden nur zur inneren Festigung der Kirchen, zur Entfaltung von Märtyrertum und zur Eskalation unnötiger Konflikte führen würde, musste eine neue Konzeption gefunden werden.

Den Kirchen wurde die Wahrung ihrer Interessen unter der Bedingung gestattet, dass sie keine Aktivitäten entwickeln, die den politischen Interessen der SED zuwiderlaufen könnten. Aus dieser politischen Grundlinie, die Kirchen als politischen Störfaktor auszuschalten, wurde der Auftrag für das MfS abgeleitet, den politischen Missbrauch der Kirchen zu unterbinden. Dem entsprach im übrigen auch die in der Verfassung der DDR von 1968 getroffene Regelung zur Stellung der Kirchen in Staat und Gesellschaft der DDR, die unter Beteiligung der Kirchen an der Diskussion des Verfassungsentwurfes zustande gekommen war.

Allerdings muss in diesem Zusammenhang darauf verwiesen werden, dass staatlicherseits jegliche politische Äußerung der Kirchen als Missbrauch betrachtet wurde, die Kirchen sollten ausschließlich religiöse und keine politischen Organisationen verkörpern. Damit waren ständige Konflikte und Reibereien vorprogrammiert, da sich vor allem die Evangelischen Kirchen nicht in die Rolle reiner Kultkirchen drängen ließen und ihrer weltoffenen Grundorientierung gemäß sich auch zu gesellschaftlichen Problemen äußern wollten und mussten.

 

Auch auf der Seite der Kirchen wuchsen Einsichten, dass der Staat DDR nicht nur eine kurzlebige Episode darstellt sondern den Rahmen für das kirchliche Wirken auf lange Sicht bestimmen werde. Spätestens mit der Bau der Mauer 1961 und schließlich auch durch die neue Verfassungswirklichkeit seit 1968 war in der damaligen Betrachtung deutlich geworden, dass die Ergebnisse des II. Weltkrieges, der Besitzstand der Siegermächte nur um den Preis einer kriegerischen Auseinandersetzung mit unabsehbaren Folgen verändert werden konnte.

Kirche und Staat mussten wohl oder übel miteinander auskommen, sich gegenseitig respektieren und zur Wahrung und Durchsetzung ihrer Interessen den Weg von Kompromissen einschlagen.

Während die Kirchen darauf bedacht waren ihren Handlungsspielraum - auch und besonders in politischen Angelegenheiten - zu erhalten und ständig auszudehnen, war die staatliche Seite bestrebt, einen politischen Missbrauch kirchlichen Handelns nicht zuzulassen bzw. vorbeugend auszuschließen.

Für ein politisches Wirken der Kirchen waren in der DDR keinerlei Rechtsgrundlagen gegeben. Ansätze eines Verwaltungsrechts wurden erst kurz vor Abdankung der DDR installiert.

Unter diesen Bedingungen blieben zähe, geduldige Verhandlungen zwischen Staat und Kirche, das ständige Ausloten des Machbaren, die ständig neue Erörterung auch geringfügigster Details der einzig gangbare Weg für beide Seiten.

In dieser Praxis widerspiegelte sich auch insbesondere in den letzten Jahren der DDR das Unvermögen der Parteiführung zur grundsätzlichen Behandlung und Lösung politischer und gesellschaftlicher Probleme. Selbst unbedeutendste Fragen wurden nicht selten durch den Generalsekretär der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR. persönlich entschieden und mussten immer wieder neu in Informationen erklärt und begründet werden. Dem entsprach auch der Führungsstil Erich MIELKES, der alles selbst wissen wollte und seine Mitarbeiter mit abwegigsten Nachfragen zur Verzweiflung treiben konnte.

Wirkliche Politik wurde auf diese Weise durch Geschäftigkeit ersetzt, Eigeninitiative und selbständiges verantwortliches Handeln untergraben und ein ineffektives System der Rückversicherung bis in die höchsten Ebenen in allen Bereichen installiert..

 

Bei den Verhandlungen zwischen Staat und Kirchen wurden niemals nur Vorteile des Staates erzielt sondern immer auch Ergebnisse zum Nutzen der Kirchen und der Christen in der DDR. Was heute als Kungelei der Kirchenoberen mit dem Staat verketzert wird, war unter den gegebenen Umständen die einzige Alternative, um kirchliche Ziele zu erreichen und den Platz der Kirchen in der Gesellschaft zu behaupten. Dabei können die Kirchen aus 40 Jahren Verhandlungen mit dem Staat DDR eine durchaus positive Bilanz ziehen.

Insgesamt sind das politische Wirken der Kirchen in der DDR ebenso wie die staatliche Politik in Kirchenfragen nur als ein ständiger Lernprozess auf beiden Seiten erklärbar.

Politische Kraftakte der Kirchen, z.B. im Zusammenhang mit der Jugendweihe, teilweise auch bei der Bildung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften erwiesen sich als Bumerang, wenn sie die reale Stimmung der Bevölkerungsmehrheit missachteten.

 

Die evangelische Landeskirche Thüringen übernahm die Vorreiterrolle in einem Prozess der Normalisierung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche. Landesbischof MITZENHEIM und Bischof BRAECKLElN stehen für den "Thüringer Weg'' der Respektierung der Staatsmacht der DDR als Obrigkeit ( ... denn jede Obrigkeit ist von Gott ...) bei gleichzeitiger Einforderung der Rechte der christlichen Bürger und der Kirchen dieses Staates.

Das MfS wäre niemals in der Lage gewesen den Kurs einer Landeskirche zu bestimmen, wenn nicht einflussreiche Kräfte in dieser Kirche auch ohne Zutun des MfS zu entsprechenden Einsichten gelangt wären. Das MfS hat selbstverständlich seinen Beitrag geleistet, um diese Entwicklung nach besten Kräften zu befördern.

Die Evangelische Kirche Thüringens war es dann auch, die unter Berufung auf den von ihr eingeschlagenen Weg Leistungen des Staates einforderte und erhielt, z.B. Mittel für die Renovierung und den Neubau von Kirchen. Aber auch andere kirchliche Anliegen, wie Reisen kirchlicher Amtsträger in das kapitalistische Ausland, die Ermöglichung des Studiums für Kinder von Pfarrern bzw. aktiven Christen, Einfuhrgenehmigungen, die Aufhebung von Einreisesperren für Personen aus den westlichen Kirchen, die u.a. zur Unterbindung von deren Amtsausübung in der DDR verfügt worden waren, die Erteilung bestimmter Druckgenehmigungen u.v.a.m. wurden zumeist wohlwollend positiv entschieden. Nicht zuletzt wurde Bischof MITZENHEIM durch Hervorhebung seiner Rolle bei der Aushandlung von Rentnerreisen in die BRD und mit ihm seine Kirche deutlich aufgewertet.

Muss sich nun die Thüringer Kirche dafür entschuldigen, dass sie das Leben der Kirchen und Christen in der DDR normaler und erträglicher gestaltet hat? Hätte sie damals wissen müssen, dass 30 Jahre später nur noch die Fortsetzung einer konsequenten Verweigerungshaltung, wenn nicht sogar unerbittlicher Widerstand Verständnis und Anerkennung finden? Wäre eine solche Haltung angesichts der Tatsache, dass sich die meisten Menschen, auch die meisten Christen in der DDR irgendwie eingerichtet hatten, überhaupt möglich gewesen? Solche Fragen sind nur unter Beachtung der konkreten Bedingungen unter denen bestimmte Entscheidungen getroffen wurden, zu beantworten. Jedes andere Herangehen ist nicht nur anmaßend sondern auch ahistorisch und muss zwangsläufig zu falschen Ergebnissen führen, auch wenn diese noch zu gut in ein aktuelles politisches Konzept passen.

 

Der nächste große Meilenstein in der Kirchenpolitik der DDR war die mit der Bildung des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR 1969 vollzogene organisatorische Trennung von der Evan­gelischen Kirche Deutschlands.

8 Jahre nach dem Mauerbau stellte sich die DDR als ein konsolidierter, aufstrebender Staat dar. Die Situation in der Landwirtschaft hatte sich stabilisiert, die LPG wurden mittlerweile von der Mehrheit der Bauern akzeptiert und hatten spürbare positive Wandlungen in den Dörfern bewirkt. Die Wirtschaft hatte sich vom ständigen Ausbluten durch die Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte erholt und der bevorstehende 20.Jahrestag der DDR war Anlass einer eindrucksvollen Bilanz auf vielen Gebieten. Im internationalen Maßstab war der Zusammenbruch der Hallstein-Doktrin vorprogrammiert. Die Politik des roll back, des Zurückrollens des Sozialismus schien auch nach dem Scheitern des "Prager Frühlings" 1968 nicht mehr zeitgemäß. Änderungen des Status quo waren nicht in Sicht.

Auf welches Wunder sollten die Kirchen in der DDR warten? Das weitere Leben in der DDR zwang sie zu Entscheidungen in Richtung einer stärkeren Anerkennung jenes Staates, in dem sie wirkten und weiter wirken wollten.

Schon Ende der 50er Jahre hat die Führung der SED die organisatorische Trennung der Kirchen in der DDR von denen in der BRD als strategisches Ziel anvisiert. Zur Durchsetzung dieser Zielstellung hatten die Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED, das Staatssekretariat für Kirchenfragen und die Kirchenabteilung des MfS entsprechende Konzeptionen entwickelt, an deren Umsetzung hartnäckig und geduldig über lange Zeiträume hinweg gearbeitet wurde.

Der Erfolg stellte sich schließlich ein, weil die realpolitischen Verhältnisse richtig eingeschätzt worden waren und es zur angestrebten Zielstellung keine vernünftige Alternative gab. Sollten die evangelischen Kirchen in der DDR abwarten, bis die DDR international allgemein anerkannt wird, ehe sie den Staat in dem sie wirken, mit dessen real existierender Staatsmacht, Gesetzen und Bevölkerung sie lebten, annehmen? Pragmatiker in der Kirchenführung wussten längst, wie sie nach dem Bau der Mauer mehr denn je auf eine Kooperation mit staatlichen Stellen angewiesen waren, um ureigenste kirchliche Interessen und die Interessen ihrer Gemeindemitglieder zu vertreten. Bei offener Grenze war es jederzeit möglich, die materielle und finanzielle Hilfe der BRD-Kirchen mehr illegal als legal zu organisieren, es war problemlos in die alten Bundesländer zu reisen oder internationale Kontakte zu pflegen usw.

Die durch die Grenzziehung entstandenen neuen Möglichkeiten der staatlichen Eingriffe und Kontrolle wurden jetzt genutzt und hinterließen ihre Spuren, auch wenn eine völlige Unterbindung der Beziellungen zu den westlichen Kirchen natürlich nicht durchsetzbar war.

Die Tatsache, dass die EKD-Synode 1966 an zwei Orten tagen musste, konnte nicht als eine befriedigende Lösung angesehen werden. Auch Pragmatiker in der Führung der EKD kamen zu der Einschätzung, dass der Vorwurf einer Steuerung der Evangelischen Kirchen in der DDR von außen den Spielraum für Verhandlungen mit dem Staat einschränkte und hatten gleichermaßen die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ wie die „Neue Ostpolitik“ vor Augen .

Noch stärker fiel ins Gewicht, dass die Probleme der praktischen, der alltäglichen kirchlichen Tätigkeit in beiden deutschen Staaten immer weiter auseinander drifteten, eigene Lösungen und Wege gefunden werden mussten.

 

Selbstverständlich wurde die organisatorische Abtrennung der Evangelischen Kirchen in der DDR von der EKD als ein Geschenk zum 20. Jahrestag der DDR gefeiert.

Es war aber nicht nur eitel Sonnenschein, der da von den Evangelischen Kirchen herüberstrahlte. Es war ein deutlicher Gewinn auch für sie.

Trotz härtesten Ringens war es nicht gelungen zu verhindern, dass sich die Trennung von der EKD nur auf den organisatorischen Bereich erstreckte. Die besondere geistig-weltanschauliche Einheit der Christen in Deutschland war ausdrücklich festgeschrieben worden. Was vorher locker verhindert oder behindert werden konnte, musste nun wieder zugelassen werden: die Unterhaltung von Kontakten zwischen den Kirchen beider deutscher Staaten.

 

Der entstandene Kirchenbund als eine Möglichkeit der Zusammenfassung der Potenzen und einheitlichen Formulierung von Forderungen der Evangelischen Kirchen in der DDR gegenüber dem Staat wurde ohne Begeisterung aufgenommen. Erst nach etwa zwei Jahren wurden offizielle staatliche Gespräche mit dem BEK geführt.

Argwöhnisch beobachtet wurden auch spätere Versuche vor allem in der ersten Hälfte der 80er Jahre, den nur losen Kirchenbund von 8 evangelischen Landeskirchen, die zudem noch in Gruppen zu 3 bzw. 5 Landeskirchen in der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche bzw. der Evangelischen Kirche der Union zusammengeschlossen waren, organisatorisch fester

zusammenzufügen und als Vereinigte Evangelische Kirche in Geschlossenheit dem Staat DDR gegenüberzustellen. Dieses Projekt scheiterte an Widerstand der Berlin-Brandenburgischen Kirche.

 

Insgesamt handelte es sich bei der Bildung des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR um einen Kompromiss zum Nutzen des Staates und zum Nutzen der Kirchen.

Vor allem die Erfahrungen der Evangelischen Kirchen mit diesem Kompromiss veranlassten die Katholische Kirche 1975 mit der Bildung der Berliner Bischofskonferenz nachzuziehen, in der Anerkennung des Staates DDR aber deutlich halbherziger und inkonsequenter, beginnend bei der Bezeichnung (wenn auch mit der für die Außenpolitik der DDR günstigeren Einbeziehung Westberlins) und endend mit der trotz intensiver Anmahnung nicht erfolgten Regelung der Kirchengrenzen zur VR Polen und zur BRD.

 

Die Bildung des evangelischen Kirchenbundes 1969 stellt sich heute aus der Sicht des Untergangs der DDR als einer jener Umwege dar, die gegangen werden mussten, um sich zu behaupten und neue Horizonte zu erreichen. Sie ist in gewisser Weise vergleichbar mit der Entspannungspolitik, zu der es ebenfalls keine Alternative gab und die mit der erzwungenen Öffnung der sozialistischen Länder das Scheitern des realsozialistischen Systems maßgeblich beförderte.[8]

Die Bildung des BEK signalisierte aber 1969 zugleich ein Offenhalten von Optionen der weiteren Existenz der Kirchen in einer sozialistischen Gesellschaft. Die Evangelischen Kirchen in der DDR und speziell ihr hauptamtlicher Apparat setzten sich aus Vertretern unterschiedlicher politischer Intentionen zusammen, die nur in ihrer ganzen Differenziertheit zu verstehen sind.

Neben Amtsträgern, die ihr ganzes Leben lang der DDR und dem Sozialismus konsequent ablehnend gegenüberstanden, gewannen zunehmend auch solche Personen an Einfluss, die die sozialistische Entwicklung in der DDR als eine Chance zur Verwirklichung christlicher Glaubensgrundsätze guthießen und weitestgehend unterstützten. Zwischen diesen Polen lag eine ganze Palette sich dynamisch verändernder, manchmal auch wechselnder und widersprüchlicher politischer Auffassungen, die in ihrer Pluralität das politische Handeln der Kirchen bestimmten.

Extreme politische Haltungen zogen immer wieder Disziplinierungsversuche nach sich. Allzu offen gegen die DDR-Gesellschaft auftretende kirchliche Mitarbeiter mussten mit staatlichen Reaktionen rechnen, diejenigen, die sich zu nachhaltig für die DDR engagierten, erregten Unwillen in den Kirchen.

Im innerkirchlichen Kräfteverhältnis dominierten solche Personen, die die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR kritisch begleiteten, von einem Wächteramt aus reformerische Prozesse zu befördern suchten und in dem Maße an Einfluss gewannen, in dem sich die SED von ihren selbst proklamierten Idealen und Zielen entfernte.

Dabei ist zu beachten, dass nach vielfältigen Erkenntnissen aus der operativen Tätigkeit des MfS auch solche kirchlichen Amtsträger, die sich dem DDR-Regime scheinbar wohlwollend anboten, intern eine durchaus kritische und distanzierte Haltung einnahmen. Grundlage ihres Handelns war die pragmatische Einsicht, dass ein erfolgreiches Wirken im Sinne der eigenen Vorstellungen am effektivsten in einem entspannten Verhältnis zwischen Staat und Kirche möglich wurde.

 

5. Die Hauptkonflikte zwischen Staat und Kirche

 

Nach dem Höhepunkt von 1969 begannen für Staat und Kirche in der DDR gleichermaßen die Mühen der Ebene. So wurde den Kirchen manches, aber keineswegs alles gestattet, seitens des Staates manches aber auch nicht alles geduldet.

Staatlicherseits wurde in diesem Zusammenhang immer wieder versucht, die mehrfach überarbeitete Veranstaltungsverordnung als eine Art Wunderwaffe einzusetzen. Einerseits erwartete man von den Kirchen, dass sie alle nicht religiösen Veranstaltungen anmelden bzw. genehmigen lassen sollten, andererseits wollte der Staat bei Einladungen und Auftritten ausländischer - einschließlich westdeutscher - Personen in den Kirchen ein Mitsprache- und Vetorecht.

Waren ein Orgelkonzert in der Kirche oder eine Schriftstellerlesung religiöse Veranstaltungen? Wen durften Kirchen überhaupt einladen? Was blieb den Staatsorganen übrig, wenn sich die Kirchen einfach über Meldepflichten und Verbote hinwegsetzten? Die Anzahl leerer Drohungen, die dabei ausgesprochen wurde, wiegt die Zahl eigenmächtiger Handlungen kirchlicher Amtsträger auf. Weil niemand sein Gesicht verlieren wollte, beschränkte man sich auf kleinere Korrekturen und die höfliche Bekundung gegenseitigen Respekts.

Das zur Erhaltung der Staatsräson dabei immer wieder bemühte MfS war gut beraten, Möglichkeiten und Grenzen der Staatsmacht stets sichtbar zu machen, verhinderte durch seine Tätigkeit oftmals die Zuspitzung konfrontativer Situationen und wurde zunehmend von Staatsapparat und Kirche gleichermaßen konsultiert, um bereits im Vorfeld von Entscheidungen abzuwiegeln.

 

Eines der Hauptkonfliktfelder bildete die kirchliche Jugendarbeit, die für die Kirchen zu einer Frage ihrer weiteren Existenz geworden war, aus staatlicher Sicht aber immer wieder das Erziehungsmonopol in der monolithisch organisierten Gesellschaft tangierte. Die sog. offene Jugendarbeit, der Versuch, Jugendliche mit weltlichen Themen, jugendgemäßer Musik und Freizeitgestaltung an die Kirche zu binden, wurde staatlicherseits als Eingriff in ureigenste Rechte angesehen, der unerbittlich auch mit Hilfe des MfS zu unterbinden war.

Von Hygiene-Kontrollen bei Freizeitrüsten bis zu mehr oder weniger geschickten Intrigen gegen Träger kirchlicher Jugendarbeit wurden alle Register gezogen, um eine Ausweitung moderner und daher erfolgreicherer Methoden kirchlicher Jugendarbeit zu verhindern.

 

Verbündete fanden Staatsapparat und MfS hierbei auch in konservativen, der traditioneIlen kirchlichen Arbeit verhafteten Pfarrern, die den nicht auszuschließenden Eklat mancher kirchlichen Experimente in der Jugendarbeit scheuten und mit Skepsis verfolgten, dass es zwar manchmal gelang eine erhebliche Anzahl von Jugendlichen in kirchliche Veranstaltungen einzubeziehen, aber der größte Teil davon letztlich doch keine dauerhaften Beziehungen zur Kirche herstellte.

Am erfolgreichsten im Sinne kirchlicher Jugendarbeit agierten jene kirchlichen Amtsträger, die in geduldigen Verhandlungen mit staatlichen Organen, bei Respektierung und systematischer Relativierung staatlicher Auflagen und Forderungen unter religiöser Thematik, jedoch ohne Verzicht auf weltliche Bezüge und jugendgemäße Gestaltung selbst überregionale Formen und Methoden kirchlicher Jugendarbeit in den Rang von Gewohnheitsrechten erhoben. Was einmal erlaubt wurde, musste immer wieder erlaubt werden, über traditionelle Veranstaltungen brauchte nicht mehr grundsätzlich verhandelt werden, sondern lediglich über aktuelle Neuerungen, ihre Einpassung in die jeweilige Tagespolitik.

 

Spektakuläre Auftritte bewegten vor allem die westlichen Medien, die nachprüfbaren Erfolge kompromissbereiter und kompromissfähiger kirchlicher Amtsträger veränderten die Verhältnisse in der DDR langsam, aber stetig zugunsten der Kirchen.

Diese Prozesse verliefen im Gebiet der DDR nicht gleichmäßig und logisch nachvollziehbar für ähnliche Vorhaben und Situationen. Subjektive Einflüsse und Ambitionen auf Bezirks- und Kreisebene agierender Partei- und Staatsfunktionäre und von weisungsberechtigten Mitarbeitern des MfS führten je nach deren Engagement in der Politik in Kirchenfragen zu positiven und negativen Abwandlungen zentral erlaubter und gewünschter Handlungsmuster.

 

Auch die Verhandlungsführer der Kirchen zeigten sich in unterschiedlichem Maße taktischen Finessen vertraut bzw. gewachsen.

Ohne Ergebnis blieben die hartnäckigen Forderungen kirchlicher Amtsträger nach grundsätzlichen Gesprächen zu Fragen der Volksbildung. Dazu hatten die Kirchen umfangreiches Material gesammelt, von Schulbuchanalysen bis zu Fällen der Benachteiligung christlicher Schüler oder den Ausschluss ihrer Eltern aus der Arbeit der Elternvertretungen.

Soweit solche Vorfälle als individuelle Beispiele vorgetragen wurden, konnte oftmals auch mit Hilfe des MfS eine positive Klärung zugunsten kirchlicher Wünsche herbeigeführt werden.

Generelle Lösungen scheiterten an der Haltung des Ministeriums für Volksbildung, das in Übereinstimmung mit der SED-Führung solche Vorstöße als Einmischung in staatliche Angelegenheiten auffasste und schon wegen der exponierten Stellung von Margot HONECKER auch Anregungen des MfS jederzeit ignorieren konnte.[9]

 

In den Beziehungen zwischen Staat und Kirche nahmen Fragen der Wehrdienstverweigerung einen breiten Raum ein. Ihre Behandlung ist zugleich ein exemplarisches Beispiel für die konstruktive Überwindung von Konfliktsituationen auf dem Weg von Kompromissen und Zugeständnissen.

Dabei war die Verhandlungsposition der Kirchen durchaus nicht günstig. Wer die Militärseelsorge in der BRD nicht infrage stellte, konnte sich schwerlich als Hort des reinen Pazifismus profilieren. Außerdem hatten die Kirchen in ihrer Geschichte oft genug Armeen und Kriege gesegnet und selbst die Bibel ist keine pazifistische Schrift.

 

Unmittelbar nach dem Bau der Mauer war in der DDR 1961 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt worden. Bereits 1964 wurde auf Drängen der Kirchen die Möglichkeit des Bausoldatendienstes als Wehrersatzdienst innerhalb der NVA geschaffen, eine in den anderen sozialistischen Ländern und selbst in manchen bürgerlichen Demokratien damals nicht gegebene Chance für Pazifisten, die zudem nicht an eine Gewissensprüfung geknüpft war. Von dieser Möglichkeit machten ursprünglich je Einberufungsjahrgang ca. 400, später bis zu 1000 Wehrpflichtige Gebrauch . Eine Analyse der sozialen Struktur dieses Personenkreises ergab, dass er sich zu ca. 80 % aus den Söhnen von Handwerkern zusammensetzte sowie aus Personen, die beabsichtigten eine kirchliche Laufbahn einzuschlagen. Diese jungen Männer waren also unabhängig von staatlichem Wohlwollen hinsichtlich der künftigen Berufsausbildung, des Studiums oder sonstiger Karrierewünsche. Sie kamen aus Kreisen, die auch sonst ein Rückgrat der Kirchen in der DDR bildeten, auch was das Kirchensteueraufkommen betraf.

Die praktische Durchsetzung der Bausoldatenregelung war von Kraftproben auf Seiten der Bausoldaten wie auch ihrer Ausbilder begleitet. Schrittweise gestalteten sich akzeptablere Verhältnisse für beide Seiten. So nahm z.B. der spätere Pfarrer EPPELMANN mehrere Monate Strafarrest in Kauf, weil er sich weigerte den Fahneneid zu leisten. Der Einsatz der Bausoldaten fand in späteren Jahren nicht mehr wie anfangs an militärischen Anlagen, z.B. beim Bau von Schießständen statt. Der Besuch von Gottesdiensten, der Besitz von religiösen Schriften u.ä. wurden nach und nach geregelt. In den letzten Jahren wurde auf die Konzentration der Bausoldaten in größeren Einheiten verzichtet, sie wurden vor allem zu Hilfsarbeiten in Stäben herangezogen, wo sie relativ isoliert von anderen Einheiten blieben.

 

In geringerer Anzahl, je Einberufungsjahrgang ca. 100 Personen traten sog. Totalverweigerer auf, Personen, die jeden Wehrdienst verweigerten und dafür eine Haftstrafe in Kauf nahmen. In der Mehrzahl handelte es sich hierbei um Angehörige der Sekte "Zeugen Jehova", die im Vertrauen auf den ihnen prophezeiten Weltuntergang sich gleichgültig ihrem Schicksal fügten.

In den letzten Jahren der DDR traten zunehmend junge Menschen, die sich für eine kirchliche Laufbahn entschieden hatten, als Totalverweigerer auf, um sich für ihre künftige Tätigkeit zu profilieren. Mit Besorgnis registrierte das MfS, dass sich unter diesen Anwärtern für den kirchlichen Dienst zunehmend Personen befanden, die keinerlei erkennbare religiöse Motivation für ihre Berufswahl hatten und sich vornehmlich nur deshalb der Kirche zuwandten, weil sie hofften, auf diese Art aktiven Widerstand gegen die DDR leisten zu können.

 

Die um internationale Reputation bemühte DDR-Führung reagierte auf die Zunahme der Totalverweigerungen in absoluter Hilflosigkeit. So wurden in den letzten ca. 4 Jahren der Existenz der DDR Personen, die bei den Musterungen angekündigt hatten, den Wehrdienst generell verweigern zu wollen, einfach nicht mehr eingezogen, es musste also niemand mehr wegen Wehrdienstverweigerung inhaftiert werden.

Dadurch wurde die Totalverweigerung zu Methode der Wahl, die Anzahl der Totalverweigerer stieg zuletzt auf ca. 2000 Personen eines Einberufungsjahrganges und ein weiteres Steigen dieser Zahl wurde nur durch den Zusammenbruch der DDR verhindert.

 

Die Kirchen in der DDR förderten die teilweise oder völlige Wehrdienstverweigerung nach besten Kräften und waren z.B. nicht bereit den Wehrdienst als gleichwertiges Friedenszeugnis gegenüber der Wehrdienstverweigerung oder dem Bausoldatendienst zu respektieren. Beschlüsse von Bundessynoden der Evangelischen Kirchen in der DDR, wie "Absage an Prinzip, Geist, Logik und Praxis der Abschreckung" (1983) oder "Bekennen in der Friedensfrage" (1987) wurden angesichts fehlender analoger Beschlüsse der Kirchen in der BRD als Provokationen gegenüber der sozialistischen Staatsmacht aufgefasst.

 

Ein weiteres wichtiges konfliktgeladenes Feld der Staat-Kirche­Beziehungen in der DDR war die kirchliche Patenschaftsarbeit, die später in kirchliche Partnerschaftsbeziehungen umbenannt wurde, in ihrem Kern aber die Förderung der Begegnungen von Vertretern der Kirchen und Gemeinden der BRD mit den Kirchen und Gemeinden der DDR geblieben ist.

Es handelte sich dabei um die kirchliche Variante dessen, was im MfS als gegnerische Kontaktpolitik/Kontakttätigkeit bezeichnet wurde: Die vom westdeutschen Staat massiv geförderte Begegnung der Bürger beider deutscher Staaten bei Ausschluss staatlicher Einflussnahme der DDR.

Dem Wesen nach ging es um die praktische Umsetzung der Konzeption eines Wandels durch Annäherung. Der Staat BRD konnte darauf vertrauen, dass die Mehrzahl seiner Bürger in solchen Begegnungen antikommunistische Positionen vertrat oder zumindest das eigene System verteidigte.

Der Staat DDR suchte seine Bürger vor solchen Kontakten, von denen erwiesenermaßen eine destabilisierende Wirkung ausging, abzuschirmen.

Das ließ sich jedoch nicht mit der durch die Entspannungspolitik erzwungenen Öffnung der DDR vereinbaren, so dass dem MfS die nicht lösbare Aufgabe zufiel jährlich etwa 8 Millionen Einreisende aus kapitalistischen Staaten unter Kontrolle zu halten, negative Auswirkungen für den inneren Zustand der DDR abzuwehren und das Wirken feindlicher Elemente zu entlarven.

 

Die Wirkungen der vielfältigen und differenzierten Kontakte, die in ihrer absoluten Mehrheit den Charakter menschlicher Begegnungen und des individuellen Meinungs- und Gedankenaustausches hatten, entzogen sich im allgemeinen einer strafrechtlichen oder an anderen Rechtsnormen zu messenden Bewertung. Das ihnen innewohnende Konzept des Offenhaltens der deutschen Frage, die Rechtfertigung der Politik der BRD gegenüber der DDR, die Erkundung und Ausforschung des inneren Zustandes der DDR und nicht zuletzt die direkte und indirekte Einflussnahme bzw. Wirkung auf die DDR-Burger und speziell auch auf die Kirchen und ihre Entscheidungen waren politische und keine geheimdienstlichen Probleme, auch wenn sich immer wieder geheimdienstliche

Aktivitäten[10] in der Vielzahl der menschlichen Begegnungen versteckten und tarnten.

 

Mit dem Verzicht der Parteiführung auf ein politisches Vorgehen und der Delegierung des Problemfeldes Kontakttätigkeit/Kontaktpolitik an das MfS und seiner Erklärung zu einer Hauptrichtung der Abwehrarbeit seitens des MfS wurde nicht nur eine ständige Aufblähung des Apparates des MfS begründet sondern auch dessen Arbeit zunehmend ineffizienter, da immer mehr Kräfte und Mittel aufgewandt wurden, Umfang und Umstände von Kontakten zu registrieren und zu beschreiben oder Anregungen für die Perfektionierung staatlicher Vorschriften und -Meldepflichten sowie die Kontrolle ihrer Durchsetzung zu geben.[11]

Allein die Abschirmung der immer weiter wachsenden Zahl der Mitarbeiter des MfS und ihrer engeren Verwandten vor Westkontakten erforderte einen riesigen Aufwand und setzte sich mit der Überprüfung und Kontrolle von hunderttausenden Personen in sicherheitsrelevanten Bereichen fort. Die Mehrzahl der vom MfS hinterlassenen Akten ist Ergebnis derartiger Sicherheitsüberprüfungen, der misstrauischen Betrachtung jeglicher Verbindungen in das nichtsozialistische Ausland, die im Prinzip das Gefühl der eigenen Unterlegenheit in der Systemauseinandersetzung reflektierte.

 

Für die Arbeit des MfS im Bereich der Kirchen und Religionsgemeinschaften trat eine Art Gewöhnungseffekt ein. Es war klar, dass es keine Gemeinde, keine kirchliche Stelle gab, die nicht in irgendeiner Weise Kontakte in die BRD oder das kapitalistische Ausland unterhielt. Der Nachweis einer über die allgemeine geistig-weltanschauliche Beeinflussung hinausgehenden Wirkung, so z.B. der Inspirierung oder Unterstützung strafrechtlich relevanter Handlungen konnte in den seltensten Fällen geführt werden .

 

6.Kirchen und Außenpolitik der DDR

 

Durch Partei, Staatsapparat und MfS wurde z .T. erfolgreich versucht, Auftritte kirchlicher Persönlichkeiten im internationalen Maßstab im Sinne der Außenpolitik der DDR zu nutzen. Die Themen, um die es dabei ging, sind auch aus heutiger Sicht keinesfalls ehrenrührig: Abrüstung, Entspannung, Sicherung des Friedens.

Hierzu ist anzumerken, dass sich die westdeutschen Kirchen diesen Themen nur widerwillig und reserviert genähert haben und auf diesem Gebiet z .T. konträr zur Haltung der Kirchen in der DDR, aber auch zu internationalen kirchlichen Gremien und zu Kirchen anderer kapitalistischer Länder standen.

 

Unbedingt erwähnt werden muss, dass die kirchlichen Kontakte der oberen Ebene sowohl durch die Regierung der DDR als auch seitens der Regierung der BRD genutzt wurden, um inoffizielle politische Absprachen zu treffen, sich gegenseitig zu konsultieren und offizielle Arrangements vorzubereiten. Die Kirchen bürgten hierbei für Diskretion und Seriösität.

Auf diese Weise war es den Regierungen beider deutscher Staaten möglich in weit größerem Ausmaß ihre Politik abzustimmen und zusammenzuarbeiten als dass der Kalte Krieg und die fortlaufend geführten Propagandaschlachten zuließen. Sie umgingen dabei auch die Aufsicht ihrer jeweiligen Führungsmächte in den Bündnissen, denen sie angehörten.

Vor allem aber war es möglich sachlich und vernünftig aufeinander einzugehen und die üblichen Rituale der gegenseitigen Verketzerung beiseite zu lassen. Die Balance an der Nahtstelle zweier sich unversöhnlich gegenüber stehender Weltsysteme konnte auf diese Weise durch die Kirchen mit abgestützt werden.

 

Das moralische Recht der Kirchen, in Not geratenen, verfolgten oder bedrängten Menschen zu helfen, wurde seitens des MfS stets respektiert.

Die geringsten Konflikte zwischen Staat und Kirchen entstanden auf den Gebieten von Diakonie bzw. Caritas.

Die hier vorhandene unumgängliche Kooperation, die auf beiden Seiten weitgehend von politischen Ambitionen frei war, wurde deshalb auch auf Felder ausgedehnt, in denen nur durch diskretes, allein der Menschlichkeit verpflichtetes Handeln Fortschritte möglich waren.

So wurde z.B. das Problem des Häftlingsfreikaufes gelöst, an dem zunächst die BRD-Seite das größere Interesse hatte. Die Einschaltung des Diakonischen Werkes in diese Angelegenheit erfolgte, was heute meist vergessen wird, auch auf ausdrücklichen Wunsch der verantwortlichen Politiker der BRD.

Völlig unsinnig ist es, den Häftlingsfreikauf einseitig als ökonomische Unterstützung der DDR mit Milliardenbeträgen darzustellen. Vielmehr handelte es sich um eine Aktivität, bei der die BRD ihre ökonomische Überlegenheit ausspielte, um die Staatsmacht in der DDR langfristig zu destabilisieren.

Immer mehr Personen in der DDR, vorwiegend aus dem Kreis der Antragsteller auf Übersiedelung in die BRD nahmen daraufhin nämlich den Weg über eine Verurteilung durch die DDR-Organe in Kauf, wurden so ermutigt, sich mit den gröbsten Provokationen über Recht und Gesetz in der DDR hinwegzusetzen.

Der Freikauf von Häftlingen war nur ein Akkord auf der Klaviatur der immer mehr perfektionierten ökonomischen Erpressung der DDR, er schuf ebenso wie jeder neue Kredit immer wieder neue Abhängigkeiten.

Damit soll keinesfalls geleugnet werden, dass die DDR-Führung, indem sie sich auf ein Geschäft mit Menschen einließ, sich moralisch auf eine Stufe mit jenen Herrschern in der deutschen Geschichte stellte, die ihre Landeskinder an fremde Staaten verkauf ten.

 

7.Die "Kaderpolitik" des MfS in den Kirchen

 

Entsprechend den ihm gestellten Aufgaben konzentrierte das MfS sich darauf in den Kirchen im allgemeinen und den kirchenleitenden Gremien im besonderen die staatsloyale Basis zu stärken oder eine solche zu schaffen .

Gradmesser für das Erreichte waren die Synoden der Evangelischen Kirchen, d.h. Grad und Umfang der Kritik an der DDR-Politik in den geführten Diskussionen und letztlich in den gefassten Beschlüssen .

Die Einflussnahme auf politische Aussagen der Kirchen ging allerdings keinesfalls nur vom MfS aus.

Nicht nur das MfS bildete aus Anlass von Synoden Einsatzstäbe oder Einsatzgruppen.[12]

Vor Ort waren zumeist auch Vertreter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, eine beachtliche Zahl westlicher Korrespondenten und hochrangige Gäste aus den BRD-Kirchen bzw. aus Kirchen des westlichen Auslandes oder internationaler kirchlicher Gremien, von denen so manche ihre Tätigkeit nicht nur auf den Austausch und die Sammlung von Informationen sondern auch auf die Beeinflussung der Ergebnisse der jeweiligen Synoden ausrichteten.

Umfang und Ergebnisse derartigen Handelns entziehen sich gegenwärtig noch einer öffentlichen Bewertung, die entsprechenden Panzerschränke sind ins Gegensatz zu denen des MfS noch verschlossen.

So hatten die Aussagen aller Synoden der Evangelischen Kirchen in der DDR Kompromisscharakter. Sie trugen stets den Interessen widerstreitender Flügel in den einzelnen Kirchen aber auch staatlichen Interessen der DDR und der BRD, wenn auch von Fall zu Fall in unterschiedlichem Maße Rechnung, waren niemals eindeutig auf einer der gegensätzlichen Positionen oder umgingen bestimmte Bekenntnisse ganz.

Für konkrete Aussagen standen auch immer konkrete Personen, die sich wiederum selbst oder mit Unterstützung einer Lobby, die von den jeweiligen Partnern in Ost oder West eifrig mit aufgebaut bzw. befördert wurde, um Mehrheiten in den Synoden, in deren Ausschüssen oder in kirchenleitenden Gremien bemühten.

 

Die jeweils erreichten Ergebnisse konnten je nach Erwartung relativ bewertet werden, typischerweise hob jede Seite das hervor, was ihr am besten in das eigene Konzept passte.

Die Manie führender Politiker der DDR, sich über die Schwierigkeiten und Probleme im eigenen Lande aus den westlichen Medien zu informieren, brachte das MfS immer wieder in Erklärungszwang und bewirkte, dass in den internen Informationen im Sinne der DDR-Politik positive Aussagen aufgewertet, negative Äußerungen bagatellisiert oder in ihrer Bedeutung herabgesetzt wurden, allerdings ohne objektiv wahre Fakten zu verfälschen.

 

Mit großem Aufwand und in der Regel langfristig vorbereitet wurde versucht, Personalentscheidungen der Kirchen zu beeinflussen, immer mit dem Ziel "progressive oder realistische", kompromissbereite Kräfte zu fördern und "reaktionäre kirchliche Amtsträger", dem Staat unbequeme Personen, zurückzudrängen.

 

In gewisser Hinsicht fungierten die Versuche, über Personalentscheidungen wirksam zu werden als eine Art Politikersatz, waren sie Ausdruck der Unfähigkeit, tragfähige politische Konzepte zu erarbeiten und planmäßig zu gestalten. Sie stehen im Kontext zur Personalpolitik der SED, die zunehmend nicht mehr das politische Profil von Kadern sondern ihre Ergebenheit gegenüber der Parteiführung zum Kriterium für den Aufstieg in der SED, Staat und Gesellschaft erhoben hatte.

 

Der Einfluss des MfS war zu keinem Zeitpunkt so groß, dass es bestimmen konnte, wer bestimmte kirchliche Positionen besetzt. Zwischen Wünschen und ihrer Realisierung bestanden schon erhebliche Unterschiede. Im Ergebnis von Analysen der konkreten Interessenlagen, sozialen Beziehungen, objektiven Widersprüchen und der sich daraus ableitenden Möglichkeiten ihrer Nutzung konnten aber aussichtsreiche Kandidaten bestimmt und deren künftiges Auftreten prognostiziert, Argumente für eine Unterstützung oder Ablehnung gesammelt und geschickt verbreitet werden.

Erfahrungsgemäß hatten Personen mit extremen Auffassungen für oder gegen den Staat DDR die geringsten Chancen, in ein kirchliches Amt gewählt zu werden, gesucht wurden immer Kompromisskandidaten, ausgleichend und vermittelnd wirkende Personen, an deren Wahl auch kirchlicherseits Interesse bestand.

Sowohl aus der Sicht der Kirche als auch aus der Sicht des Staates ließ sich Politik von extremen Positionen aus nicht gestalten.

 

8. Das Grundsatzgespräch vom 06.03.1978

 

Immer wieder versuchten kirchliche Amtsträger der evangelischen Kirchen in der DDR ihr Verhältnis zum sozialistischen Staat auf bestimmte Formeln zu bringen. Kritische Distanz, kritische Solidarität, schließlich auch der Begriff von der Kirche im Sozialismus wurden gefunden, um den Platz in der sozialistischen Gesellschaft zu bestimmen. Alle diese Begriffe haben zwei Aussagen gemeinsam: den Anspruch der Kirche als legitime nicht-sozialistische Organisation akzeptiert zu werden und in der sozialistischen Gesellschaft auch politisch wirken zu können.

 

Es handelte sich dem Wesen nach um eine Standortbestimmung durch eine Koexistenzformel, die eine weite Auslegung möglich machte. Niemals war von einer Kirche für den Sozialismus die Rede und auch staatlicherseits wäre eine "sozialistische Kirche" ein Widerspruch in sich selbst gewesen.

Gerade deshalb erwies sich die Formel von einer Kirche im Sozialismus als tragfähiges Fundament für weitergehende Kompromisse zwischen Staat und Kirche. Das Grundsatzgespräch zwischen Erich HONECKER als Staatsratsvorsitzenden und führenden Vertretern der Evangelischen Kirchen in der DDR vom 06.03.1978 bewies, wie ein derartiger Kompromiss beiden Seiten nutzen konnte.

Indem die Kirchen den Staat DDR offiziell nicht mehr infrage stellten, trugen sie zwar einerseits zu seiner Stabilisierung bei, schufen sich aber andererseits weitreichende Möglichkeiten für die kirchliche Arbeit bis hin zu einem größeren Gewicht ihrer Äußerungen zu gesellschaftspolitischen Problemen und bei der Anmahnung und Durchsetzung der Chancengleichheit für christliche Bürger.

 

Neue bzw. erweiterte staatliche Zuschüsse für die Rentenversorgung der Pfarrer, für kirchliche Krankenhäuser und Kindereinrichtungen, Heime für alte und behinderte Menschen, ein kirchliches Bauprogramm, Erleichterungen in staatlichen Genehmigungsverfahren, Kirchensendungen in Fernsehen, zusätzliche Sendungen im Rundfunk u.v.a.m. waren nach der Bildung des Kirchenbundes 1969 längst überfällige Schritte der weiteren Normalisierung des Umgangs zwischen Staat und Kirche, Ausdruck gegenseitiger Achtung und eines maßvollen Miteinanders, zu dem es zum damaligen Zeitpunkt auch im Kontext zur internationalen Entwicklung und zur Gestaltung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten keine erkennbare Alternative gab.

 

Der Einschätzung Erich HONECKERs, der das Gespräch vom 6.3.l978 als Krönung und Anfang gewertet hatte, konnten auch die Kirchenvertreter zustimmen.

Mit diesem Gespräch wurden die Grundlagen für eine konstruktive weitere Gestaltung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche gelegt, die deshalb keineswegs konfliktfrei verliefen, wie das am Beispiel der Einführung des Wehrunterrichtes kurz nach dem o.g. Grundsatzgespräch deutlich wurde.

Kirchliche Vertreter vermieden, daraus unüberbrückbare Gegensatze zu entwickeln und erreichten durch stille Diplomatie, dass der Wehrunterricht für christliche Schüler und Eltern erträglich wurde und nicht zum Anlass von Ausgrenzungen eskalierte.

 

9. Die Lutherehrung 1983 und die nachfolgenden Großveranstaltungen

 

In den Lutherehrungen von 1983 fanden die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der DDR einen erneuten Höhepunkt.

Natürlich war die DDR bestrebt mit den Lutherehrungen ihr internationales Ansehen aufzupolieren, besonders in jenen Ländern, von deren Kreditvergabe die DDR-Wirtschaft immer abhängiger wurde.

Entgegen den ursprünglichen Wünschen des Staates wahrten die Kirchen bei diesen Ehrungen ihre relative Selbständigkeit. Sie konnten aber auf eine Zusammenarbeit mit staatlichen Organen nicht verzichten, wenn der 500. Geburtstag Luthers in dem auch von ihnen gewünschten großen Rahmen stattfinden sollte.

Transportprobleme, Verkehrsregelungen, Übernachtungskapazitäten, die Nutzung öffentlicher Straßen und Plätze bis zu Müllabfuhr und Toilettenwagen, Einreiseformalitäten, Druckgenehmigungen, die Renovierung von Gedenkstätten usw. bildeten eine Fülle von Verhandlungsgegenständen mit staatlichen Organen.

Überall wo diese Verhandlungen in die Sackgasse zu geraten drohten, wurde das MfS beauftragt oder gebeten einzugreifen, um das übergeordnete beiderseitige Anliegen nicht zu gefährden.

 

Im Ergebnis eines z.T. harten Ringens konnten die staatlichen Organe der DDR als Erfolg verbuchen, dass die Kirche die Lutherehrungen nicht für offensichtliche oder spektakuläre Kritiken an der DDR ausnutzte.

Der Erfolg der Kirche bestand vordergründig darin, dass Luther, der in der Geschichtsschreibung der DDR lange Zeit als Unperson galt und weit hinter Thomas Müntzer rangierte, wieder auf den ihm zustehenden Platz gestellt worden war.

Wie auch bei Bismarck oder Friedrich II. hatten die Historiker der DDR sich mit der Konzeption durchgesetzt, die Geschichte so zu beurteilen wie sie wirklich war und die Persönlichkeiten der Geschichte im Wirken in ihrer Zeit zu betrachten, sie also nicht der Bewertung der gerade herrschenden Ideologie zu unterwerfen.

Rehabilitiert wurde 1983 nicht nur die Person Luthers. Ebenso wichtig war der Beitrag der Reformation zur deutschen Kulturgeschichte, die darin verwurzelten Maßstäbe für die Erziehung und Bildung unveräußerlicher Werte der deutschen Nation und die Bestätigung ihrer Gültigkeit für die Bürger der DDR.

Für die Kirchen in der DDR bedeuteten die Lutherehrungen einen wichtigen Fortschritt bei der Festigung ihres Platzes in der DDR-Gesellschaft und darin eingeschlossen auch ihrer Rolle als Dialogpartner des Staates.

Wenn in den Folgejahren die Kirchen immer wieder beschworen wurden, das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Staat und Kirche nicht aufs Spiel zu setzen, so war das nur das staatliche Eingeständnis, dass bestimmte Maßnahmen und Entscheidungen nicht mehr gegen die Kirchen durchzusetzen waren.

 

Das ergab sich z.T. auch aus der internationalen Entwicklung, insbesondere dem KSZE-Prozess, innerhalb dessen die westlichen Staaten die Rechte und Möglichkeiten der Kirchen immer gebührend behandelt hatten. In diesen Fragen bot die DDR im Unterschied zu anderen sozialistischen Ländern relativ wenige Angriffspunkte, bestimmte weitergehende Forderungen westlicher Staaten wären lösbar und mit der Politik der DDR in Kirchenfragen vereinbar gewesen.

Seitens des MfS wurden im Zusammenhang mit den laufenden KSZE-Verhandlungen wiederholt Stellungnahmen für die SED-Führung erarbeitet, in denen die Konsequenzen eines Eingehens auf die westlichen Forderungen untersucht wurden und für den kirchlichen Bereich überwiegend die Akzeptanz aus der Sicht sicherheitspolitischer Interessen erklärt wurde.

Das Lutherjahr schuf für die Kirchen jene Präzedenzfälle, auf die sie sich bei der Forderung nach der Zulassung weiterer kirchlicher Großveranstaltungen berufen konnten. Auf diese Weise konnte z.B. anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins 1987 gegen die Auffassung von Politbüro-Mitglied JAROWINSKI ein Kirchentag in der Hauptstadt der DDR durchgesetzt werden, 1988 vier weitere Kirchentage, seitens der katholischen Kirche ein Katholikentreffen in Dresden und 1989 der Kirchentag in Leipzig.

 

Wenn der Verlauf dieser Veranstaltungen im ganzen gesehen für die Staatsorgane der DDR erträglich war, so ist das ein Verdienst jener Organisatoren aus dem kirchlichen Bereich, die den gewonnenen Spielraum öffentlichen Wirkens nicht um den Preis kleinlicher Provokationen, kurzsichtiger, auf Eklat bedachter Aktionen wieder verlieren wollten und sich dabei mit der Masse der Veranstaltungsteilnehmer eins wussten. Es ist zugleich das Verdienst jener Staatsfunktionäre, darunter auch der Mitarbeiter des MfS, die auf einzelne Auftritte und Situationen mit Geduld und Augenmaß, Toleranz und Sachkenntnis reagierten und sich dabei nicht selten mit dem Sektierertum, der Borniertheit und Machtbesessenheit untergeordneter Funktionäre auseinander zu setzen hatten.

 

Großen Anteil an staatsloyalen Aussagen der Kirchentage haben übrigens Vorstände und Mitglieder der CDU der DDR, die in Abordnungen von z.T. mehreren hundert Personen die Kirchentagskongresse bevölkerten, die DDR-Politik offensiv vertraten und gegen andere Auffassungen verteidigten. Innerhalb des MfS wurde von diesen CDU-Mitgliedern immer mit größter Hochachtung gesprochen, stellten sie sich doch der kontroversen Diskussion und hatten dabei kluge und überzeugende Argumente parat, die sie wohltuend von manchen platten und dogmatischen SED-Agitatoren unterschieden, ganz zu schweigen von jenen Parteifunktionären, die sich vor jeglicher politischen Auseinandersetzung scheuten.

 

Auch außerhalb der Kirchentage wurden CDU-Mitglieder in unterschiedlichen kirchlichen Veranstaltungen als gesellschaftliche Kräfte aktiv, die im Sinne der DDR-Politik wirkten und dabei gegenüber anderen Personengruppen auch den Vorzug hatten, dass sie sich im kirchlichen Milieu bewegen und aus christlichen Anschauungen heraus argumentieren konnten.

 

10. Kirche und Antragsteller auf Übersiedelung in die BRD

 

Der sich immer weiter vergrößernde Abstand im Lebensstandard beider deutscher Staaten führte dazu, dass eine wachsende Zahl von DDR-Bürgern bestrebt war, ihr Land zu verlassen.

Ein Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen der Evangelischen Kirchen in der D0R aus dem Jahre 1984 benannte als Ursachen wachsender Ausreiseersuchen die fehlenden Reisemöglichkeiten, negative Inlandserfahrungen, unbewältigte persönliche Probleme sowie die Wohlstandsfaszination des Westens.[13]

Diese Situation wurde durch die immer offenkundigere Erstarrung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR und eine völlig verfehlte Medienpolitik im Kontext zur Politik GORBATSCHOWs in der UdSSR weiter verschärft.

Die Analysen des MfS belegen eindeutig: die überwiegende Mehrzahl der DDR-Bürger, die auf illegalem Wege oder über Antragstellung und legale Ausreise ihr Land verlassen wollte und verlassen hat, hatte dafür vorwiegend wirtschaftliche Motive, sie wollte partizipieren am westlichen Konsum, Reisemöglichkeiten eingeschlossen. Es waren im Prinzip die gleichen egoistischen Motive, die nach 1989, also nach Wegfall der vorherigen politischen Gründe noch fast eine Million Menschen der ehem. DDR bewegten, ihren Wohnsitz in Richtung Westen zu verlassen und die in noch verschärfter Version zum Ansturm von Wirtschaftsflüchtlingen auf die BRD führen.

Ob und inwiefern Auffassungen, wie sie auch von Konsistorialpräsident STOLPE vertreten wurden, wonach die DDR ihren Bürgern nur Reisen in das westliche Ausland gestatten sollte, um das Problem der Antragstellung auf Übersiedelung zu lösen, eine reale Grundlage hatten, lässt sich auch aus heutiger Sicht nicht endgültig beantworten. Alle zum damaligen Zeitpunkt gestarteten Versuche zur Verbesserung der Reisemöglichkeiten führten zu immer neuen Begehrlichkeiten bei immer mehr DDR-Bürgern.

Die Zahl der Antragsteller wuchs ständig weiter. Auch die großzügige Genehmigung von mehreren 10.000 Anträgen im Jahre 1984 erwies sich nur als Öffnung einer Schleuse, in die immer wieder neue Personen drängten. Ein genehmigter Antrag zog immer 4 neue Anträge nach sich.

Das Schicksal dieser Personen war Werbung für sich. Die reiche BRD hatte die arme, wirtschaftlich erfolglose DDR in Würgegriff. Es entstand eine Lage, in der die Herrschenden nicht mehr in der gewohnten Weise regieren konnten und die Beherrschten sich nicht mehr regieren lassen wollten. Die DDR-Regierung und die SED fanden kein Mittel, um die wirtschaftlichen Probleme zu meistern und sie erwiesen sich auch als unfähig, unter den Bedingungen der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung einen neuen Konsens herzustellen.

 

So wurden das MfS und die anderen Sicherheitsorgane eingesetzt, ein im Wesen gesellschaftliches und ökonomisches Problem mit geheimdienstlichen und repressiven Mitteln zu lösen - ein untauglicher Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt.

 

Keine Entlastung brachte auch eine Ende 1988 erlassene Reiseverordnung, die u.a. die Antragstellung auf Ausreise regeln sollte. Abgesehen von der Halbherzigkeit dieser Regelung - sie erwies sich als nicht durchsetzbar. Schon 14 Tage nach Erlass wurden entgegen den besonderen Ausschließungsgründen für eine Ausreise Botschaftsbesetzer klammheimlich abgeschoben.

Die Staatsautorität wurde so durch die subjektiven Entscheidungen der Parteiführung immer weiter ausgehöhlt, die Unfähigkeit eines Politbüros, dass sich in den letzten 10 Jahren DDR nicht einmal mit diesem Problem befasst hatte, offenbar, vom optischen Eindruck einer altersstarrsinnigen, vergreisenden Führung ganz zu schweigen.

In dieser Situation wurden die Kirchen in der DDR als Stabilisierungsfaktor beschworen, aber gleichzeitig brüskiert. HONECKER weigerte sich, mit Bischof LEICH über dieses Thema zu sprechen, ein bornierter Kleinkrieg - eine Art Stellvertreterkrieg – gegen Kirchenzeitungen wurde eröffnet und auf Drängen des Staatssekretärs für Kirchenfragen und des MfS beendet, man war hin und hergerissen, ob man kirchliche Beratung für Antragsteller zulassen sollte oder nicht usw. usf.

 

Die Konzeptionslosigkeit der Partei- und Staatsführung der DDR wurde immer deutlicher. Das MfS verfügte zwar über eigene Konzeptionen, konnte diese aber nicht ohne Zustimmung der SED-Führung umsetzen und war andererseits auch nicht bereit, die Position eines der Politik dienenden Organs zu verlassen und gegen den Willen der führenden Partei eigene Aktivitäten zur Veränderung gesellschaftlicher Zustände zu ergreifen.

 

In einer Reihe von Fällen entwickelten sich Kirchen zu Treffpunkten von Antragstellern auf Ausreise in die BRD, in Leipzig wurden sie sogar zum Ausgangspunkt der sog. Montagsdemonstrationen, die anfangs fast ausschließlich eine Angelegenheit dieses Personenkreises waren.

Alles in allem haben die Kirchen in der DDR die Ausreisebewegung eher befördert als eingeschränkt, dabei mitunter taktiert und beschwichtigt und vor allem die Genehmigung der Ausreise für viele ehem. DDR-Bürger durchgesetzt.

Völlig anders die Reaktion der Kirchen gegenüber den eigenen Mitarbeitern. Einer Vereinbarung der evangelischen Kirchen in beiden deutschen Staaten zufolge wurden Seelsorger, die Anträge auf Übersiedelung gestellt hatten, in der BRD nicht als Pfarrer in den kirchlichen Dienst übernommen. Solche Antrage wurden einerseits durch die DDR-Organe aus verständlichen Gründen großzügig genehmigt, hätten andererseits aber an der Substanz der Kirchen in der DDR gezehrt.

Der Seelsorger hatte bei seiner Gemeinde zu bleiben, für Ärzte galt eine vergleichbare moralische Verpflichtung anscheinend nicht.

 

11. Kirche und Opposition in der DDR

 

Die schwersten und am längsten anhaltenden Angriffe gegen die Kirchen in der DDR kamen und kommen von vermeintlichen oder tatsächlichen Oppositionellen der ehem. DDR. Sie werfen den Kirchen vor, zu wenig für sie und zu viel für oder gemeinsam mit dem Staat getan zu haben.

 

Unter Berücksichtigung der Erfahrungen von 1956 in Ungarn und 1968 in der CSSR hatte das MfS über viele Jahre Intellektuelle und Kulturschaffende als mögliches Potential konterrevolutionärer Entwicklungen angesehen. Zwei Jahre nach der Ausbürgerung BIERMANNs stand aber fest, dass mögliche innenpolitische Gegner ein Leben in der BRD vielfach dem Widerstand in der DDR vorzogen.

 

Das Potential staatsfeindlicher bzw. oppositioneller Bestrebungen wurde durch Ausreisen aus der DDR immer wieder ausgedünnt. Ehemalige DDR-Bürger wurden in der BRD nicht zu in ihre alte Heimat zurückwirkenden Emigranten sondern - von Ausnahmen abgesehen - zu BRD-Bürgern.

Auch westliche Geheimdienste kamen zu der Schlussfolgerung, dass die reale Basis für innenpolitischen Widerstand in der DDR relativ gering und wenn überhaupt nur in den Kirchen bzw. unter deren Schutz zu finden sei.

Eine organisierte politische Opposition in der DDR entwickelte sich erst Anfang der 80er Jahre. Es hatte zuvor zwar schon dem Wesen nach illegale Zusammenschlüsse von Bausoldaten und ehem. Bausoldaten gegeben, die z.B. jährlich in Leipzig und an anderen Orten sog. Zentraltreffen organisierten, die sich darum bemühten, durch sog. Alt-Neu-Treffen künftige Bausoldaten auf ihren Dienst vorzubereiten und in kirchlichen Gemeinden für die Verweigerung des aktiven Wehrdienstes warben.

Der Kernbereich ihrer Tätigkeit richtete sich aber nicht auf eine generelle Opposition zur Staatspolitik, sondern auf eine bestimmte Form des Widerstandes in einem abgrenzbaren Bereich.

 

Als 1980 sich die ersten pazifistischen Gruppen unter dem Dach der Kirchen zu organisieren begannen, geschah dies vor dem Hintergrund der Erfahrungen von Solidarnosc in der VR Polen.

Es handelte sich von Beginn an um einen Versuch zur Schaffung einer politischen Opposition außerhalb der politischen Strukturen der DDR und in bewusster Gegenüberstellung zu diesen.

Die fast ausschließlich im kirchlichen Rahmen agierenden oppositionellen Gruppen wurden von der westlichen Propaganda regelmäßig in einem Atemzug mit der "Charta 77" in der CSSR und "Solidarnosc" in der VR Polen genannt und als Ausdruck wachsender demokratischer Potentiale in den sozialistischen Ländern gewertet.

Das waren sie selbstverständlich bis zu einem gewissen Grade auch und je größer der Abstand zum Untergang der DDR wird, um so unverständlicher erscheint, warum es nicht möglich war mit Menschen, von denen nicht wenige den Fortbestand einer reformierten DDR anstrebten, einen vernünftigen Konsens zu finden.

 

Genauso falsch wie die Einschätzung, dass das Entstehen und Wirken oppositioneller Gruppen in der DDR das Werk äußerer Feinde gewesen sei sind aber auch die heutigen Propagandaklischees, wonach sich die BRD in der Zeit des Kalten Krieges als eine Art Förderverein für die DDR betätigt habe.

Die Anstrengungen der Geheimdienste, verschiedener Politiker, Kirchenvertreter, Diplomaten und Journalisten, politischer Gruppierungen und Verbände der BRD waren sehr wohl darauf gerichtet, die innenpolitische Stabilität der DDR zu untergraben und dazu u.a. auch ihre Verbindungen zu oppositionellen Kräften in der DDR zu nutzen.

Das dabei vorherrschende strategische Ziel war keinesfalls nur eine Veränderung oder Reformierung der DDR sondern deren Liquidierung.

 

Eine Strategiekonferenz des amerikanischen Außenministeriums orientierte 1982 ausdrücklich auf die aktive Unterstützung oppositioneller Kräfte in den sozialistischen Ländern und der amerikanische Kongress stellte in einem Projekt ''Demokratie" Milliardensummen für Propagandaaufwendungen und die Unterstützung von oppositionellen Bestrebungen in den sozialistischen Ländern bereit.

Westliche Geheimdienste waren bestrebt, einen Zusammenschluss oppositioneller Kräfte über die Grenzen der sozialistischen Länder hinweg zu organisieren. Diese Bemühungen blieben aber von einzelnen Treffen und Kontakten abgesehen ohne besondere Ergebnisse und wurden durch die koordinierte Tätigkeit der Sicherheitsorgane der der sozialistischen Länder unterbunden.

 

Es waren zweifelsohne vor allem taktische Manöver, die die Gruppen bewogen, sich zunächst vornehmlich pazifistischen Themen zuzuwenden.

Die Staatsorgane der DDR wurden vor die Alternative gestellt bei einem Vorgehen gegen diese Gruppen ihre Glaubwürdigkeit in ihren außenpolitischen Anstrengungen um die Sicherung des Friedens und die Vertiefung der Entspannungspolitik zu verlieren.

 

Damit soll keine Wertung der Ehrlichkeit pazifistischer Anschauungen der Mitglieder oppositioneller Gruppierungen getroffen werden oder über ihr Vorhaben, äußere Entspannung auf innenpolitische Verhältnisse zu übertragen.

 

Ein Staat, der auf der Alleinherrschaft einer Partei basierte, musste jede Bestrebung politische Organisationsformen außerhalb seines Einflusses zu etablieren als Bedrohung auffassen, als Einstieg in die Zerstörung des herrschenden Systems.

 

Die weitere Entwicklung bestätigte auch, dass es um mehr als um Pazifismus ging. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Staatsorgane der DDR das Wirken der oppositionellen Gruppen dulden mussten, kam es zu einer ständigen Eskalation der inhaltlichen Ausgestaltung, bei der zunächst das Umweltthema verstärkt aufgegriffen und schließlich die westliche Menschenrechtsposition ( Überbewertung der persönlichen Freiheitsrechte bei Negierung der sozialen Rechte ) thematisiert wurde, letzteres aber nur von einigen wenigen Gruppen.

 

In organisatorischer Hinsicht erfolgte die regionale und überregionale Zusammenführung der verschiedenen Gruppen bis hin zur Veranstaltung DDR-weiter Treffen und der Bildung von Koordinierungsgremien, wie zu des Fortsetzungsausschusses "Frieden konkret".

Mit der Organisierung verschiedenster Veranstaltungen, z.B. von "Friedenswerkstätten" und Unterschriftensammlungen zu Appellen und Aufrufen, erfolgten stets neue Versuche die eigene Basis zu erweitern und die Öffentlichkeit der DDR zu erreichen.

Gleichzeitig entstand ein Geflecht von Beziehungen zu politischen Kräften in der BRD, vor allem aus der Partei "Die Grünen'', zu im Verdacht geheimdienstlicher Steuerung stehenden Einzelpersonen vorwiegend in Westberlin sowie zu in der DDR tätigen westlichen Diplomaten und Korrespondenten, die sich über ihre Kontakte zu den kirchlichen Friedens-, Menschenrechts- oder Umweltgruppen nicht nur Informationen beschafften sondern auch manche ihrer Storys selbst inszenierten.[14]

 

Das MfS hatte von Anfang an darauf orientiert, die oppositionellen Gruppen hauptsächlich mit politischen Mitteln zu bekämpfen, um die Außenpolitik der DDR nicht zu stören.

 

Obwohl in Grundsatzreferaten immer wieder gefordert wurde, die politische Arbeit zu vertiefen und die Massen zu überzeugen, erwies sich die Führung der SED bis zuletzt als unfähig diesem Anspruch wenigstens ansatzweise gerecht zu werden und politische Mittel auch tatsächlich einzusetzen.

 

Die von Schönfärberei geprägte Medienpolitik entfernte sich immer mehr von der DDR-Wirklichkeit und war unfähig Diskussionen zu unangenehmen Themen oder auch nur zu herangereiften Problemen zu führen. Viele Funktionäre von Partei und Staat wichen Gesprächen mit den Bürgern aus oder beschränkten sich darauf diese zu belehren.

 

Das MfS offenbarte auch und gerade in diesem Spannungsfeld seine schizophrene Situation.

Zum einen folgte es seinem Auftrag als "Schild und Schwert der Partei" die oppositionellen Gruppen in ihrer Wirksamkeit einzuschränken. Andererseits wurde gerade im MfS sehr bald klar, dass die Auffassung auf Dauer nicht aufrechterhalten werden konnte, wonach man keinen Dialog mit den Gruppen führen könne, weil das zu deren gesellschaftlichen Aufwertung, zur faktischen gesellschaftlichen Anerkennung führen würde.[15]

Aber auch als diese Auffassung teilweise, bei Fortbestehen gegensätzlicher Positionen in dieser Frage im MfS, korrigiert wurde und den Bezirks- und Kreisleitungen der SED namentliche Listen von Mitgliedern dieser Gruppen zur Führung von Gesprächen übergeben wurden, kam kein Dialog zustande.

 

Das MfS war stets bemüht in differenzierter Weise mit den oppositionellen Gruppen und ihren Mitgliedern umzugehen. So wurden z.B. immer wieder neue Vorschläge unterbreitet und z.T. auch realisiert, die kirchlichen Umweltgruppen in staatliche Umweltaktivitäten einzubeziehen, ihrem Wirken einen konstruktiven Charakter zu verleihen.

Einladungen zu gemeinsamen Baumpflanzaktionen mit Kräften der Nationalen Front, die Einbeziehung kirchlicher Kreise in sog. Landschaftstage und zuletzt selbst die Ermöglichung von Vorsprachen von Vertretern sog. Umweltgruppen beim Umweltministerium der DDR erfolgten z.B. auf Initiative des MfS.

 

Das MfS bemühte sich, Gespräche von Vertretern des Staatsapparates und der SED mit kirchlichen Amtsträgern und unter Führung der SED den Einsatz gesellschaftlicher Kräfte, wie Wissenschaftler, Studenten, Mitglieder der CDU, des DFD u.a. in kirchlichen Veranstaltungen zu organisieren, oft nur mit mäßigem Erfolg, aber bei durchaus vorhandener Lernfähigkeit.

 

Das MfS analysierte die Ursachen und Probleme der Organisierung homosexueller Personenkreise in kirchlichen Gruppen und kam zu dem Schluss, dass hierbei nicht vordergründig Opposition zum sozialistischen Staat sondern nachvollziehbare Interessenlagen maßgebend waren. Auf seine Initiative hin wurden deutliche Verbesserungen der Lage Homosexueller in der DDR durchgesetzt, wie die Ermöglichung von Kontaktanzeigen in Zeitungen, der Ehrung homosexueller Opfer der Nazi-Barbarei, der Zulassung von Veranstaltungen u.a.m. bis hin zur Aufhebung des § 151 des StGB der DDR, der Homosexuelle in gleicher Weise diskriminierte wie der gültige § 175 des Strafgesetzbuches der BRD.

 

Dennoch konnte das MfS die fehlende Bereitschaft der SED-Führung, politisch auf Opposition und Kritik zu reagieren, nicht ausgleichen. Es wurde immer wieder beauftragt administrative Mittel und Methoden anzuwenden, vor allem dann, wenn oppositionelle Kräfte über den Rahmen der Kirchen hinaus die Öffentlichkeit erreichen wollten.

 

Es sollte jedoch erwähnt werden, dass in den 80er Jahren in der DDR kein einziger politischer Prozess gegen Oppositionelle geführt wurde und diese - wenn überhaupt - nur in Ausnahmefällen festgenommen bzw. nur kurzzeitig inhaftiert wurden.

 

Der Tatbestand der staatsfeindlichen Gruppenbildung bzw. des verfassungsfeindlichen Zusammenschlusses wurde in der DDR überhaupt nicht als selbständiger Tatbestand angewandt, der Tatbestand der staatsfeindlichen Hetze in den letzten 4-5 Jahren der Existenz der DDR nur noch in seltenen Fällen.[16]

 

Den oppositionellen Gruppen gehörten nach Einschätzungen des MfS nie mehr als 2000, nach Einschätzungen der Kirche 3000 Personen an mit einem aktiven Kern von ca. 100 Personen. Das MfS hatte diese Gruppen soweit unter Kontrolle, dass von ihnen keine überraschenden Aktionen ausgehen konnten. Sie hatten kein politisches Programm, welches die Bedürfnisse und Interessen der Mehrheit der Bevölkerung widerspiegelte und keine politische Integrationsfigur .

 

Dennoch bildete das Wirken der oppositionellen Gruppen in den evangelischen Kirchen über ein Jahrzehnt hinweg den Gegenstand härtester Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche. In praktisch allen Gesprächen mit kirchlichen Amtsträgern wurde die Disziplinierung dieser Gruppen gefordert und in allen diesen Gesprächen stellten sich die Kirchenvertreter vor diese Gruppen, wiegelten ab, gingen auf kleinere Kompromisse ein, mit denen sie die Lebensfähigkeit und eine ständige Erweiterung des Handlungsrahmens der Gruppen absicherten, ohne deren Wirken jemals zur Disposition zu stellen.

 

So bildete z.B. das Auftreten von Pfarrer EPPELMANN einen ständigen Stein des Anstoßes. Pfarrer EPPELMANN hatte nicht nur durch die von ihm organisierten Bluesmessen mit z.T. bis zu 2000 Teilnehmern auf sich aufmerksam gemacht sondern auch mit erhobener Faust am Grabe von Robert HAVEMANN gestanden. 1982 trat er mit einem "Berliner Appell" hervor, in dem praktisch die einseitige Entmilitarisierung der DDR gefordert wurde. Unter diesen Appell wurden dann auch einige hundert Unterschriften gesammelt. Trotzdem gelang es ihm nicht als Führer der Opposition in der DDR anerkannt zu werden. Bei der Wahl in ein Koordinierungsgremium ("Frieden konkret") fiel er mit insgesamt nur 8 Stimmen durch.

Er war jedoch einer der wenigen in der Opposition in der DDR, der entgegen der auf die Politik der "Grünen" in der BRD fixierten Mehrheit, CDU-nahe Positionen vertrat und wurde deshalb mangels profilierterer Vertreter von CDU-Parlamentariern der BRD, amerikanischen Senatoren und bei Reisen in die BRD auch von der CDU-Spitze hofiert. In den USA war er nach Einschätzung von Staatssekretär GYSI bekannter als mancher Bischof der DDR, von seinen Kontakten zur Residentur des amerikanischen Geheimdienstes CIA in der amerikanischen Botschaft in der DDR einmal ganz abgesehen.

Es gab für das MfS genügend Anlässe bei der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg wegen Aktivitäten EPPELMANNs zu intervenieren, manchmal auch erfolgreich, z.B. als dieser bei seinen Bluesmessen einen Auftritt einer nazistisch orientierten Punk-Band organisiert hatte.

Für das MfS erfüllte Pfarrer EPPELMANN die Rolle eines Fliegenfängers. Obwohl als Führungspersönlichkeit ungeeignet und deshalb weniger gefährlich zog er eine Vielzahl von Kontakten auf sich und führte zahlreiche politische Gespräche, die durch die vom MfS eingeleiteten Kontrollmaßnahmen fast lückenlos bekannt wurden. Wo das MfS nicht dabei war, veranlasste die persönliche Eitelkeit EPPELMANNs diesen, den Inhalt bestimmter Gespräche an Orten oder gegenüber Personen weiterzugeben, die sie dann dem MfS zugänglich machten. So machte das MfS aus der Not eine Tugend. Da man EPPELLMANN gewähren lassen musste, war man schließlich froh, dass an seiner Stelle niemand agierte, der größeren Schaden hätte anrichten können.

 

Zu einer konfrontativen Situation kam es, als Mitglieder kirchlicher Friedenskreise das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen", welches seit 1981 auch für die jährlichen Friedensdekaden der Evangelischen Kirchen verwandt worden war, für sich reklamierten und in der Öffentlichkeit mit entsprechenden Aufnähern auftraten. Die zur politischen Auseinandersetzung unfähige Parteiführung entschied dagegen administrativ vorzugehen und sowohl die Volkspolizei als auch Volksbildung und Berufsausbildung einzusetzen.

Im MfS hatte es in diesem Zusammenhang auch andere Vorschläge gegeben, z.B. FDJler mit dem gleichen Symbol auszustatten oder das Tragen der Symbole auf den kirchlichen Raum zu begrenzen. Die Hardliner gewannen und nach ca. 6 Wochen waren nur noch einzelne Personen übrig, die das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen" in der Öffentlichkeit trugen, wie der Schweriner Bischof RATHKE, Bischof FORCK in Berlin oder die Tochter des Pfarrers von Grünheide MEINL.

Die Staatsmacht hatte zwar ihr Gesicht verloren aber nach der Disziplinierung von ca. 700 Personen sich durchgesetzt. Dieses Verfahren von 1983 wurde später wiederholt, als Antragsteller auf Übersiedelung mit weißen Schleifen an ihren Autoantennen ihr Zusammengehörigkeitsgefühl demonstrieren wollten. Auch diesmal handelte es sich um eine Machtprobe, die am Wesen des Problems vorbeiging.

 

Obwohl der Staat seine Macht gezeigt und schon allein dadurch Wirkung erzielt hatte, standen leitende Vertreter der Evangelischen Kirchen in der DDR weiter schützend vor den kirchlichen Gruppen und weigerten sich hartnäckig und erfolgreich zugleich, den zum gleichen Zeitpunkt laufenden Aktivitäten eines überregionalen, DDR-weiten Zusammenschlusses das schützende Dach der Kirchen zu entziehen.

 

Wenn später ein einheitliches, koordinierten Auftreten der kirchlichen Gruppen dennoch nur in engen Grenzen erreicht wurde, so ist das einerseits auf die Einflussnahme des MfS, andererseits aber auch auf die Profilierungssucht der jeweils aktivsten Gruppenmitglieder zurückzuführen, die mit einer chaotischen Basisdemokratie am besten bedient wurde.

In diesen Auseinandersetzungen zeigte sich, in welchem Maße die Kirchen seitens des Staates wegen ihres gewachsenen gesellschaftlichen Einflusses respektiert werden mussten, wie es unmöglich geworden war, ihre Haltung zu ignorieren. In genau diesen Grenzen konnten die Kirchen die Gruppen schützen, Grenzen, die stets neu verteidigt und erweitert wurden, die das Machbare ausdrückten im Gegensatz zu manchen sich wild gebärdenden Vertretern der Gruppen und Mitarbeitern der Kirchen.

 

Mitunter geriet die kirchliche Hierarchie selbst in die Schusslinie der unter ihrem Schutz agierenden Gruppen. Die Bewegung "Kirche von unten" oder die Arbeitskreise "Solidarische Kirche'' übten offene Kritik an den konservativen kirchlichen Strukturen. Dadurch sahen sich kirchliche Stellen im eigenen Interesse genötigt gegenzusteuern, während sich das MfS zurückhielt.

Von Chaos und Anarchie geprägte Auftritte, wie anlässlich des "Kirchentages von unten" 1987 erwiesen sich nicht nur als Angriffe gegen kirchliche Strukturen sondern stießen stets auch auf das Unverständnis der Mehrheit der mit der Kirche verbundenen Christen. Manche Stände oppositioneller Gruppen z.B. anlässlich von Kirchentagen schadeten der Kirche mehr als dem Staat. Es ist deshalb eine mehr als schiefe Optik, das Handeln der allen Kirchenmitgliedern verpflichteten Kirchenleitungen nur danach zu beurteilen, wie es sich die Vertreter der Gruppen gern gewünscht hätten.

Hätten die Kirchen in ihrem Rahmen alles zugelassen oder unterstützt, hätten sie ihre Kompromissfähigkeit eingebüßt und einen Kirchenkampf riskiert, der sie nicht nur in einen Konflikt mit ihren Mitgliedern gebracht, sondern vor allem auch ihre Schutzfunktion für die Gruppen infrage gestellt hätte.

 

Als 1986 Vertreter der unter kirchlichem Schutz wirkenden "Initiative für Frieden und Menschenrechte" eine Sympathieerklärung für die ungarische Konterrevolution von 1956 veröffentlichten, wurde die Ohnmacht und politische Konzeptionslosigkeit der DDR-Führung offenkundig. Entgegen den eigenen Gesetzen erfolgte keine politische oder rechtliche Reaktion, wohl auch in der Erkenntnis, dass die ungarischen Genossen auf dem besten Wege waren, ihre Geschichte neu zu schreiben . Die Weichen für den endgültigen Niedergang der Staatsmacht der DDR waren damit gestellt.

 

Der Staatsbesuch Erich HONECKERs in der BRD 1987 vergrößerte die politischen Zwänge zur Duldung oppositioneller Aktivitäten. So erschien in diesem Jahre als erste illegale Publikation der oppositionellen Gruppen der periodisch erscheinende "Grenzfall", der schon vom Titel her provozieren sollte und ungeniert Materialien antisozialistischer Gruppierungen in anderen sozialistischen Ländern propagierte.

Obwohl es das Beste gewesen wäre, sich mit dem Inhalt dieser Publikation öffentlich auseinander zu setzen, war ein solches Vorgehen unter den Verhältnissen der DDR, die z.B. eine polemische Diskussion selbst in Parteiversammlungen der SED so gut wie ausschlossen und sich später sogar noch bis zum Verbot der sowjetischen Zeitschrift "Sputnik" steigerten, nicht möglich.

Vorschläge des MfS, gegen den "Grenzfall" mit den Mitteln des Ordnungsrechts vorzugehen - immerhin erschien er gesetzwidrig ohne Druckgenehmigung - wurden im Vorfeld des BRD-Besuches von Erich HONECKER aus politischen Erwägungen, die den Grad der Abhängigkeit und Erpressbarkeit der DDR ausdrückten, nicht bestätigt. Über die Anwendung des Rechts in politischen Sachen entschied allein Erich HONECKER nach subjektivem Ermessen. Das führte nicht zur Rechtlosigkeit der Bürger der DDR wohl aber zur Aushebelung des Rechtssystems.

 

Während des BRD-Besuches des Staatsratsvorsitzenden der DDR wurde die Spirale der Erpressung neuer Freiräume für die Opposition der DDR weiter angezogen. Die eigenständige Teilnahme kirchlicher Gruppen am Olof-Palme-Friedensmarsch von Stralsund bis Dresden und darüber hinaus in die CSSR mit eigenen pazifistischen und nach damaligen Verständnis staatsfeindlichen Losungen und Transparenten bildete ein Novum in der DDR-Geschichte.

In Berlin musste die Staatsnacht zähneknirschend sogar eine selbständige pazifistische Demonstration mit mehreren hundert Teilnehmern zulassen. Der Staat konnte und die Kirche wollte nicht eingreifen.

Die Opposition hatte sich auf diese Weise ein erhebliches Stück Öffentlichkeit erkämpft und eine Grenze überschritten, die durch das MfS und die anderen Staatsorgane jahrelang verteidigt worden war. Die Maxime, das Wirken oppositioneller Gruppen auf den kirchlichen Bereich zu begrenzen wurde erstmalig wirkungsvoll außer Kraft gesetzt.

 

12. Der Weg in den Untergang der DDR

 

Der Verlauf des Olof-Palme-Friedensmarsches zeigte die ganze Schwäche des politischen Systems der DDR. Die vorherrschende Reaktion von staatsverbundenen Bürgern auf die für sie ungewohnten Losungen war der Ruf nach der Polizei und das Unverständnis warum diese nicht eingriff. Nur einige wenige Genossen der SED fertigten spontan Losungen an, wie "Wehrdienst ist auch Friedensdienst" oder suchten das offensive politische Gespräch mit den kirchlichen Teilnehmern. Die meisten waren überhaupt nicht gewohnt, sich mit anderen Argumenten sachlich auseinander zu setzen, hatten sich angewöhnt in Phrasen zu reden oder waren gänzlich uninformiert. Die größten demokratischen Defizite bestanden innerhalb der SED selbst, die ihre Mitglieder durch Parteidisziplin gleichgeschaltet und mehr als alle anderen Bürger entmündigt hatte.

Die SED-Führung erwies sich als unfähig, die entstandene Lage zu analysieren und auf dem Weg der Demokratisierung eine innenpolitische Stabilisierung herbeizuführen.

 

Andererseits hatte der Verlauf des Olof-Palme-Friedensmarsches auch Hoffnungen begründet, vor allem bei jenen, die die Probleme der DDR-Gesellschaft sahen, aber trotz all dieser Probleme an eine Perspektive der sozialistischen Ideen glaubten.

Durch diesen Marsch, den BRD-Besuch Erich HONECKERs, das Ideologie-Papier SPD-SED und nicht zuletzt durch den damaligen Kurs GORBATSCHOWs war Bewegung in das erstarrte System gekommen, die aber nicht zu einem erhofften Kurswechsel sondern dazu führte, dass die erschreckte Führung versuchte, diese Entwicklung rückgängig zu machen und das infolge des Fehlens anderer Möglichkeiten vor allem mit Hilfe des MfS.

 

Nach dem HONECKER-Besuch in der BRD versuchten Partei, MfS und die anderen Staatsorgane weitere öffentliche Demonstrationen oppositioneller Gruppen zu verhindern, wozu - wenn auch insgesamt nur schüchtern und inkonsequent - vor allem die Mittel des Ordnungsrechtes, aber auch kurzzeitige Inhaftierungen, zeitweilige Blockierungen und Hausarrest für einzelne Personen eingesetzt wurden.

Es gelang auch zunächst öffentliche Demonstrationen weitgehend zu unterbinden bzw. bereits im Anfangsstadium aufzulösen. Das führte aber zu einem wachsenden Stau von Aggressionen auf Seiten der Zugeführten wie auch der Sicherheitskräfte aus den Reihen von VP und MfS.

Verliefen die ersten Auflösungen von Ansammlungen noch völlig gewaltfrei, so wurden später schon Zuführungsbusse demoliert und emotionsgeladene staatsfeindliche Parolen skandiert.

 

Die weiteren Entscheidungen der Parteiführung wurden von Angst und Unfähigkeit diktiert. Das MfS musste als Vollstrecker dieser Politik wieder einmal herhalten und härtere Maßnahmen einsetzen. Ausdruck hierfür waren empfindliche Ordnungsstrafen und der Rückgriff auf strafrechtliche Maßnahmen, speziell aus dem Tatbestand der Zusammenrottung, der in seiner ursprünglichen Diktion zur Unterbindung rowdyhafter Ausschreitungen, also nicht als politischer Tatbestand geschaffen worden war.

Diese verfehlten jedoch ihre Wirkung und anstelle der erhofften Abschreckung trat eine Eskalation des Widerstandes. Den Sicherheitskräften standen nicht mehr isolierte Gruppen gegenüber, nicht mehr nur die zu allen Provokationen bereiten Antragsteller auf Übersiedelung (Ausreißer) sondern auch von der DDR-Politik enttäuschte DDR-Bürger, die ihren Gehorsam gegenüber der Staatsmacht abgestreift und alle Hoffnungen auf eine positive Entwicklung in der DDR aufgegeben hatten (Protestler) inklusive Vertretern der Opposition.

 

Der Damm war schließlich gebrochen, als die Sicherheitskräfte aufgaben und nicht mehr eingriffen, als sie in nüchterner Einschätzung der realen Lage die Gewaltfreiheit der nachfolgenden Veränderungen zuließen.

Es ist und bleibt das Verdienst der Kirchen in dieser sich anbahnenden und entfaltenden Krisensituation Verhandlungspartner des Staates geblieben zu sein und damit entscheidend zur Berechenbarkeit des Staates wie auch der auf Veränderung drängenden Kräfte beigetragen zu haben, was Deutschland vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen bewahrt hat.[17]

 

Doch zurück zum historischen Verlauf. Im November 1987 war es dann soweit, dass eine "zentrale Entscheidung" zu Maßnahmen gegen die Publikation "Grenzfall" erging, mit der allerdings der vom MfS vorgesehene Ablauf ignoriert wurde.[18]

Ein erster Versuch die Herstellung des "Grenzfall" durch ordnungsrechtliche Maßnahmen zu unterbinden schlug fehl.

Als Pfarrer SIMON von der Zionskirchgemeinde den staatlichen Vertretern Zugang zur "Umweltbibliothek" gewährte, war er sicher, dass diese zuvor geordnet geräumt worden war.

Der zweite Versuch erfolgte unter Teilnahme eines Staatsanwaltes und war ein erneuter Fehlschlag. Die auf frischer Tat gestellten Personen waren gerade dabei die "Umweltblätter" zu vervielfältigen, der "Grenzfall" sollte anschließend dran kommen. Eine Serie von Niederlagen war damit vorprogrammiert. Diese begannen damit, dass der Staatsanwalt die ebenfalls illegal hergestellten "Umweltblätter" nicht beanstandete und damit de facto legalisierte, wie auch die Ausstattung der "Umweltbibliothek" mit Büchern und Schriften, die an den Grenzen der DDR zur damaligen Zeit von den Zollorganen regelmäßig eingezogen wurden.

Die für mehrere Tage erfolgte Inhaftierung der Beteiligten konnte mangels überzeugender Beweise und im Ergebnis interner Auseinandersetzungen im MfS nicht aufrechterhalten werden, ihre Freilassung wurde zum Triumph der Vertreter der Gruppen, die sich noch in der Nacht der Festnahme als Mahnwache in der Zionskirche festgesetzt hatten und den westlichen Medien ein einmaliges Spektakel lieferten.

Kirchenleitende Personen versuchten in dieser Situation zu vermitteln und begrenzten auf diese Weise die staatlichen Reaktionen, verhinderten aber  auch Handlungen der Gruppen, die zu unkalkulierbaren Risiken geführt hätten.

Die Vorgänge um die Zionskirche hätten als Lehre genügen sollen, aber die von Subjektivismus geprägte fehlerhafte Politik der SED-Führung wurde fortgesetzt.

 

Antragsteller auf Übersiedelung hatten den Plan gefasst, die alljährliche Demonstration zu Ehren von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Januar 1988 für ihre Zwecke zu missbrauchen. Das Luxemburg-Zitat von der Freiheit der Andersdenkenden musste herhalten, um deren Träger beim Staat so unbeliebt zu machen, dass die Ausreise endlich genehmigt wird.

 

Obwohl bereits im Vorfeld zahlreiche Anträge genehmigt und eine Anzahl potentieller Demonstrierer unter Kontrolle gestellt worden war, erfolgten noch ca. 65 Festnahmen aus der Demonstration heraus, davon ca. 60 Antragsteller und etwa 5 Personen aus der Opposition, darunter Vera WOLLENBERGER und Stefan KRAWCZIK.

Die oppositionellen Gruppen hatten zuvor mehrheitlich gemeinsame Aktionen mit den Antragstellern abgelehnt.[19]

 

Vorschläge aus den Reihen des MfS, vor der Demonstration durch eine Pressekonferenz in die Offensive zu gehen, waren missachtet worden. Stattdessen wurden Pläne geschmiedet, zur strafrechtlichen Abrechnung mit den führenden Köpfen der Opposition überzugehen. Besonnene Kräfte innerhalb des MfS versuchten erfolglos das voraussehbare Fiasko deutlich zu machen, die beiden Erichs blieben bei ihrem Entschluss und scheiterten nach 14 Tagen.

Dafür waren weniger die Fürbittgottesdienste mit Teilnehmerzahlen von bis zu 1000 Personen ausschlaggebend sondern vor allem die internationalen Reaktionen. Erich HONECKER wollte schließlich auch weiter als großer Staatsmann in die Welt reisen und hätte sich zu gern auch in den USA empfangen lassen.

An den nun erforderlichen Kompromiss wirkten kirchliche Stellen maßgeblich mit. So kam es zu der wundersamen Umwandlung von Strafandrohungen von 10 Jahren in Studienreisen in das westliche Ausland, ein weiteres Eingeständnis, dass Gesetze der DDR durch politische Entscheidungen negiert werden konnten.

 

Heute wird den Kirchen ihre Mitwirkung an dem damaligen Kompromiss zum Vorwurf gemacht. Das ist ungerecht. Obwohl der Destabilisierungseffekt bereits eingetreten war, galt es mehr zu bedenken als nur das Schicksal von Bärbel BOHLEY, die bei diesem Kuhhandel im übrigen gut weggekommen ist. Die maßgeblichen Verhandlungsführer der Evangelischen Kirchen hatten ihre Stellung gegenüber der Parteiführung der SED weiter aufwerten können, was für die weitere Zukunft nicht unwichtig war.

 

Noch war es zu früh, gesellschaftliche Veränderungen in der DDR rigoros einzufordern, aber strategische Denker in den Kirchen stellten bereits vorsichtig die Weichen und gingen wohl auch davon aus, dass ihre Zeit jetzt gekommen sei.

Symptomatisch hierfür waren die Ökumenischen Versammlungen von Christen und Kirchen in der DDR für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung in Dresden und Magdeburg.

Das unterentwickelte konzeptionelle und programmatische Potential der oppositionellen Gruppen wurde durch Vordenker aus den Reihen der Kirchen aufgestockt und es entstanden Dokumente, die ein alternatives Gesellschaftsprogramm enthielten, dass sich bewusst am Reformkurs der UdSSR orientierte und - gerade weil es Probleme enthielt, denen sich eigentlich die SED hätte stellen müssen - deren Unfähigkeit zur Führung der Gesellschaft entlarvte.

 

Schon 1987 hatte Konsitorialpräsident STOLPE an der Universität Greifswald erklärt, die SED möge sich gefälligst der von ihr beanspruchten geistigen Führung widmen und ihre Führung nicht nur durch die Besetzung von Posten unter Beweis stellen.

Mit den Ökumenischen Versammlungen der Jahre 1988 und 1989 wurde nicht nur ein geistiges Bündnis der Kirche mit der Opposition geschlossen, es wurde zugleich versucht auch auf andere Religionsgemeinschaften, insbesondere die katholische Kirche auszustrahlen.

Natürlich handelte es sich um vorsichtige Vorstöße, aber sie wiesen eine Richtung, waren als Vorlauf für künftige Entwicklungen angelegt, von deren Dynamik und Rigorosität später nicht nur die Kirchen überrascht werden sollten.

Die letzte große Dummheit der DDR-Führung ist als Fälschung der Ergebnisse der Wahlen vom Mai 1989 in die Geschichte eingegangen. Obwohl das MfS spätestens im Februar 1989 darüber informiert hatte, dass in einem breiten Umfang mit der Kontrolle der Wahlen über die Teilnahme an den öffentlichen Stimmauszählungen und deren Auswertung seitens oppositioneller Gruppen gerechnet werden müsse, konnte die SED-Führung in ihrer Borniertheit und Ignoranz nicht auf den Anspruch verzichten, dass auch diese Wahlen - wie alle anderen zuvor - Ausdruck des gewachsenen Vertrauens in die Politik der SED sein sollten.

Dabei hatte sie noch nicht einmal wahrgenommen, wie es in den eigenen Reihen bereits gärte, wie sie durch das Sputnik-Verbot viele SED‑Mitglieder vor den Kopf gestoßen hatte und dass der eingeleitete Kampf gegen Nörgler und Meckerer sich als Bumerang erwies.

Vor allem aber zeigte sich die SED-Führung unfähig, die Realitäten im Lande, vor allem die wirtschaftliche Misere, die Auswirkungen einer verfehlten Informationspolitik und die Reisewünsche der Bevölkerung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, von der Suche nach Lösungswegen ganz zu schweigen.

 

Die Kontrolle der Wahlergebnisse wurde nur durch die aktive Mitarbeit zahlreicher kirchlicher Amtsträger und von Mitgliedern aus kirchlichen Gemeinden möglich. Das Potential der Opposition hätte dazu nicht ausgereicht.[20]

 

Es war wieder das MfS, dass die von der SED verschuldete Pleite bereinigen sollte. Doch das spielte beim Übergang zum allgemeinen Zusammenbruch der DDR schon nur noch eine untergeordnete Rolle. Die jeweils zum 7. des Monates in Erinnerung an den Wahlbetrug stattfindenden Demonstrationen eskalierten schließlich von Juni bis Oktober und besiegelten den Untergang der DDR zum 40. Jahrestag ihres Bestehens ebenso wie die Leipziger Montagsdemonstrationen u.a.m.

 

13. Die Kirchen unmittelbar nach der Wende

 

Die Kirchen in der DDR erwiesen sich auch nach dem Sturz der politischen Machtverhältnisse in der DDR auf der Höhe ihrer Aufgaben. Kirchliche Amtsträger waren die entscheidenden Organisatoren immer wieder neuer Demonstrationen bis in die kleinsten Orte der DDR, mit denen der politisch destabile Zustand solange erhalten wurde, bis sich die Sowjetunion im Dezember 1989 endgültig von der DDR losgesagt hatte.

Die Kirchen stellten die Moderatoren des Runden Tisches, dessen Hauptziel erreicht war mit der Unumkehrbarkeit freier und geheimer Wahlen in der DDR.

Die Kirchen bestätigten sich als Kaderschmiede für die neuen politischen Parteien und später für die Übernahme der Staatsmacht in der DDR, sie verhandelten noch mit dem Staat DDR während sie auf erprobten Kanälen bereits ihre neue Rolle sondierten. Sie waren bei der Überwindung der gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR weitaus wichtiger und erfolgreicher als die sog. Opposition, die ohne sie überhaupt nicht lebensfähig gewesen wäre.[21]

Die Kirchen in der DDR sind aus 40 Jahren Kampf und Anpassung, Widerstand und Loyalität, Konfrontation und Kooperation, Einmischung und Abstinenz in politischen Fragen durch ein überwiegend kluges Taktieren gestärkt hervorgegangen, haben ihren Platz in der Gesellschaft behauptet und waren der wichtigste innenpolitische Faktor auf dem Weg zurück in das vereinte kapitalistische Deutschland.

Die Verfasser treffen diese Feststellung, obwohl sie auch wissen, dass nicht alle kirchlichen Mitarbeiter bzw. Mitglieder christlicher Gemeinden die heutige Entwicklung gewünscht haben und die jetzige Ordnung auch nicht als Gipfel der menschlichen Vernunft betrachten. Die Differenziertheit der politischen Auffassungen in den Kirchen wird bleiben ebenso wie der Umgang mit ihnen innerhalb der Kirchen, der immer auch Maßstäbe für die Gesellschaft setzt.

 

14. Fazit

 

a ) Die Maßnahmen und Reaktionen des MfS gegenüber den Kirchen sind nur in ihren inneren Zusammenhängen mit den konkreten historischen Umständen, den innen- und außen-, vor allem aber deutschlandpolitischen Bedingungen, den Wirkungen des Kalten Krieges und dem Verhalten der Kirchen selbst zu verstehen. Sie erfolgten niemals losgelöst von den politischen Vorgaben der Partei- und Staatsführung und waren in allen wesentlichen Punkten von dieser angewiesen bzw. bestätigt.

Seitens des MfS war eine ständige und enge Zusammenarbeit mit den Organen der SED und dem Staatsapparat gewährleistet.

 

b) Für die Tätigkeit des MfS im kirchlichen Bereich standen nicht Verfolgung oder Repression im Vordergrund, sondern die möglichst vorausschauende Bewältigung politisch relevanter Konflikte und die Ausschaltung eines allerdings sehr eng gefassten politischen Missbrauchs der Kirchen.

 

c) Die Möglichkeiten des MfS in den Kirchen wuchsen mit der Annahme der Herausforderung einer sozialistischen Alternative durch kirchliche Mitarbeiter und Christen, die inoffiziellen Mitarbeiter des MfS wurden überwiegend auf der Basis politischer Überzeugungen gewonnen.

 

d ) Die Aufarbeitung der Geschichte der DDR gestaltet sich gegenwärtig nicht nur wegen des noch unzureichenden historischen Abstandes schwierig und unbefriedigend, sie leidet auch unter neuen, einer Siegermentalität oder Opportunismus geschuldeten Verdrängungsmechanismen und den nicht möglichen fairen Vergleich mit den Handlungen der anderen Seite der Systemauseinandersetzung .

 

e) Die Kirchen in der DDR waren zu keinem Zeitpunkt "Stasi-­Kirchen". Das MfS konnte politische Ziele nur in Sinne einer Politik als Kunst des Möglichen durchsetzen oder befördern, Kompromisse vorbereiten und durchsetzen helfen, bei denen die Kirchen souveräner Partner blieben.

Die heuchlerisch geführte "Stasi-Debatte" ist ihrem Wesen nach auf die Vernichtung aller Ideen und Ausschaltung aller Personen gerichtet, die einstmals in sozialistischen Idealen Optionen für die Kirchen gesehen haben, sie ist vulgärer Antikommunismus in neuem Gewand.

 

f) Die Rolle der Opposition in der DDR wird gegenwärtig überbewertet. Nur kurze Zeit vor und nach der Wende stellte die Opposition eine ernstzunehmende politische Kraft dar, was nicht Ergebnis ihres Wirkens sondern einer zeitweiligen Suche vieler Bürger nach neuen Orientierungen war. Weder vor noch nach der Wende konnte die Opposition durch politische Programmatik überzeugen, war in sich zerrissen, wurde und wird politisch missbraucht.

 

 



[1] Dem Ergebnis einer Volkszählung von 1964 zufolge gab es zum damaligen Zeitpunkt in der DDR ca. 12 Millionen Christen und ca. 5 Millionen Atheisten. Nach optimistischen Schätzungen wurden in der DDR 1989 noch ca. 6 Millionen Mitglieder der Evangelischen Kirchen und etwas mehr als eine Million Katholiken gezählt. Nur ein Bruchteil davon hatte eine enge kirchliche Bindung, prozentual mehr Katholiken als Mitglieder der evangelischen Gemeinden, bei einem deutlichen Übergewicht der über 50-Jährigen. Im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" Nr. 14/93 vom 05.04.1993, werden in einen Artikel auf Seite 80 für die katholischen Kirchen in der DDR  920.000 und für die evangelischen Kirchen in der DDR 4 Millionen   Mitglieder angegeben.

[2] In den 80er Jahren erreichten die Zuwendungen der westdeutschen Kirchen für die Kirchen in der DDR (inkl.   Aufwendungen für Restaurierung und Neubau von Kirchen ) jährliche Größenordnungen zwischen 40 und 100 Millionen DM.

[3] "Wo sollten sie denn sonst ausgebildet werden?" wurden die Verfasser gefragt. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass die Ausbildung auf der anderen Seite des durch den Kalten Krieg gezogenen "eisernen Vorhanges" erfolgte.

 

[4] Die HA XX/4 wurde von 1958 - 1970 durch Oberst Hans LUDWIG geleitet, der danach als Stellvertreter des Leiters der HA XX weiter für deren Anleitung zuständig war. Er schied Anfang der 80er Jahre aus dem aktiven Dienst aus. Seine Nachfolger als Abteilungsleiter waren Oberstleutnant Franz SGRAJA und Oberst Joachim WIEGAND.

 

[5] "Ihr wolltet doch ein sozialistischer Geheimdienst sein, worin habt Ihr Euch dann von anderen Geheindiensten unterschieden ?" wurden die Verfasser gefragt.

 Eine umfassende Antwort dazu wäre ein Beitrag für sich. Nach Ansicht der Verfasser bestehen punktuelle Unterschiede zu Methoden mancher westlicher Geheimdienste.

 So wurden durch das MfS keine ''agents provocateurs" eingesetzt, die z. B. bei linksautonomen Demonstrationen als erste Steine werfen oder andere dazu auf putschen, um der Polizei Vorwände für ein Eingreifen zu liefern.

 Inoffiziellen Mitarbeitern des MfS war es generell untersagt, Straftaten zu provozieren. Eine im Interesse der Wahrung ihrer Konspiration notwendige Teilnahme an kleineren Straftaten (die verdeckten Ermittler lassen grüßen) war bis zuletzt nicht eindeutig entschieden.

Zur Erreichung von Geständnissen wurde seitens des MfS auf inhumane Mittel, wie Folter, Einsatz von Lügendetektoren oder Wahrheitsdrogen verzichtet. Entsprechende Diffamierungskampagnen entbehren der Grundlage oder betreffen Übergriffe einzelner Personen, die auch zu DDR-Zeiten unter Strafe standen.

Der Hauptunterschied zu westlichen Geheimdiensten bestand nach Ansicht der Verfasser jedoch in den mit dem Einsatz geheimdienst­licher Mittel anvisierten Zielen und den davon bestimmten Motiven und Idealen der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter, d.h. dem Kampf für eine antifaschistische, friedliche, humane und sozial gerechte Welt.

[6] Der Bericht über die Kontaktanbahnung zu Herrn GAUCK, der in dem Vorschlag gipfelt, einen IM-Vorlauf anzulegen, ist u.a. 1991 in der Zeitung ''Die 'Welt" abgedruckt worden.

 

[7] In der Sendung des NDR 1, Radio MV "Forum" am 12.05.1993, 18.00 - 19.00 Uhr äußerte sich der Leiter des Verfassungsschutzes von Mecklenburg-Vorpommern Volkmar SEIDEL zu seiner Behörde.

Danach bezieht der Verfassungsschutz 60% seiner Informationen aus der Auswertung offiziell zugänglicher Quellen, wie Publi­kationen oder öffentliche Veranstaltungen, 20% aus dem Austausch mit den anderen Verfassungsschutzbehörden und 20% aus nachrichtendienstlichen Mitteln, zu denen er V-Leute, Observationen, Postkontrolle und das Abhören von Telefonen rechnete. Er verwies auch auf das enge Zusammenwirken mit dem der Polizei zugeordneten Staatsschutz.

 

[8] Kurt MAETZIG zog 1993 in einem Fernsehgespräch einen interessanten Vergleich. Würde man heute eine Grenze durch den tropischen Regenwald ziehen und in einem Teil nach vernünftigen Maßstäben mit entsprechenden Beschränkungen wirtschaften und in dem anderen Teil wie bisher die Umwelt zerstören, wohin würden wohl die Holzfäller usw. ziehen?

 

[9] Die Ignoranz und Intoleranz der in der Volksbildung der DDR bezogenen Haltung zu Religionen, Kirchengeschichte, Bibel oder religiöser Kunst kann aus heutiger Sicht nur als kleinkariert bezeichnet werden und wirkte gemessen am Ziel einer humanistischen Erziehung kontraproduktiv.

 

[10] Die staatliche Förderung von Reisen in die DDR war u.a. an die Auflage gebunden, dass über die betreffenden Gruppenreisen Berichte an die Verfassungsschutzbehörden der BRD gefertigt werden mussten.

 

[11] Die Verschärfung des politischen Strafrechtes der DDR 1979 stellt sich als ein Versuch dar, auf die im Entspannungsprozess entstandenen neuen Bedingungen zu reagieren. Die Praxis zeigte aber sehr bald, dass die verschärften oder ausgeweiteten und präzisierten Straftatbestände ungeeignet waren, die anstehenden gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Das neue Strafrecht wurde deshalb auch nur bezogen auf Antragsteller auf Übersiedelung in die BRD praktisch wirksam und blieb ansonsten auf einzelne Versuche beschränkt, staatliche Macht zu demonstrieren. Oft genug wurde aus politischen Gründen auf eine Anwendung verzichtet, normiertes Recht durch "zentrale Entscheidungen" Erich HONECKERs ersetzt.

[12] Bei Synoden und anderen kirchenpolitisch bedeutsamen Ereignissen wurden regelmäßig gemeinsame Arbeitsgruppen der SED, des Staatsapparates und des MfS gebildet, in denen Vertreter der zentralen, bezirklichen und ggf. auch der örtlichen Organe zusammenarbeiteten und Tätigkeit von der Vorbereitung solcher Ereignisse bis zu ihrer abschließenden Wertung gemeinsam organisierten und abstimmten.

Bei größeren Veranstaltungen in der Öffentlichkeit wurde die Zusammenarbeit auf andere zuständige Staatsorgane, insbesondere das Ministerium des Inneren und die nachgeordneten Dienststellen der Deutschen Volkspolizei ausgedehnt.

Die Organe der Volkspolizei waren übrigens auch für die Zulassung, Nichtzulassung bzw. Einhaltung der Verbote von Religionsgemeinschaf­ten und Sekten zuständig und arbeiteten auf diesem Gebiet eng mit dem MfS zusammen.

 

[13] Vgl. "6.März, 1978 - 1988 ein Lernweg" von Bischof i.R. Werner KRUSCHE, herausgegeben vom Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR - Sekretariat 1988.

 

[14] In der Publikation "Spiegel - Spezial" 1/1993, Stasi­Akte "Verräter", Bürgerrechtler TEMPLIN: Dokumente einer Verfolgung, Dokumente Teil 3 ist nachstehender Auszug eines IM-Berichtes zu von TEMPLIN geplanten Aktivitäten anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins als Kopie veröffentlicht:

". . . Im Pkw äußerte sich TEMPLIN euphorisch über eine geplante Aktion am 4.7. 87, die sich gegen den Festumzug richtet . Wenn dieser nach 14.00 Uhr das Gelände der Marienkirche erreicht, so führte TEMPLIN aus, dann soll vom Kirchturm ein "riesiges" Transparent entrollt werden mit der Aufschrift "Jubelzirkus - nein Danke". Die Westmedien würden an günstigen Positionen vor Ort stehen und darauf warten."

 

[15] Mit einer inhaltlich gleichen Argumentation lehnte das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Dialog-Angebot des Insiderkomitees zur Aufarbeitung der Geschichte des MfS ab.

 

[16] Nach Kenntnis der Verfasser wurden in den 80er Jahren weniger als 5% aller in der DDR eingeleiteten Ermittlungsverfahren durch die Untersuchungsorgane des MfS bearbeitet. Davon entfielen ca. 80% auf Versuche des illegalen Verlassens der DDR bzw. der Erpressung der legalen Ausreise durch Antragsteller auf Übersiedelung in die BRD.

Etwa 10% der vom MfS bearbeiteten Ermittlungsverfahren betrafen Delikte der Spionage und des Landesverrates, die restlichen 10% verteilten sich auf eine Vielzahl von Beschuldigungen, insbesondere Wirtschaftsstraftaten (vor allem Vertrauensmissbrauch), Militärstraftaten, Nazi- und Kriegsverbrechen und politische Delikte im. engeren Sinne bzw. solche aus deren außerhalb des 2. Kapitels StGB erfassten Vorfeldes, wie z.B. Öffentliche Herabwürdigung u.ä., aber auch Verfahren nach Tatbeständen der allgemeinen Kriminalität.

 

[17] Der gewaltfreie Verlauf der Wende 1989 wird heute fast ausschließlich der "Bürgerrechtsbewegung" zugeschrieben. Ohne deren Anteil schmälern zu wollen sei aber darauf hingewiesen, dass wohl auch die Vernunft der Sicherheitsorgane, die im Gegensatz zu den "Bürgerrechtlern'' im Besitz von Waffen waren, zum friedlichen Ende des sozialistischen Experimentes DDR beigetragen hat.

 

[18] Das MfS wollte insbesondere alle Maßnahmen in kirchlichen Räumen vermeiden.

 

[19] In der Publikation "Spiegel-Spezial" 1/1993 ( siehe Fußnote 14 ), Dokumente Teil 4 ist belegt, dass es zur Teilnahme an der Demonstration zur Liebknecht-Luxemburg,-Ehrung am 17.01.1988 innerhalb der oppositionellen Gruppierungen keinen Konsens gab. Initiatoren waren die Gruppe "Staatsbürgerschaftsrecht", ein Zusammenschluss von Antragstellern auf Übersiedelung in die BRD, sowie einzelne Oppositionelle, unter ihnen am aktivsten das Ehepaar TEMPLIN.

 

[20] Die Kontrolle der Wahlergebnisse vom Mai 1989 ergab, dass die Wahlbeteiligung der Bürger um 10-15% zu hoch angesetzt war und der tatsächliche Anteil der Stimmen für die Kandidaten der Nationalen Front zwischen 88 und 92% lag.

Nur in einem einzigen Stimmlokal, dem der Hochschule für Bildende Kunst in Berlin-Weißensee, wurden weniger als 50% der Stimmen für die Kandidaten der Nationalen Front abgegeben.

 

[21] Wie es der Opposition in der DDR ohne den Schutz der Kirchen ergangen wäre, lässt sich an den Gründungsversuchen einer maoistischen Gruppierung "KPD-ML" belegen. Diese Gruppierung wurde durch das MfS mit aller Konsequenz bis zur völligen Bedeutungslosigkeit aufgelöst.