Das politische
Wirken der Kirchen in der DDR und die Reaktionen des MfS
( Gekürzte Fassung veröffentlicht im "Deutschland-Archiv"
Nr. 4/94, Seite 374 – 391)
Gliederung:
Vorbemerkungen
Die Verfasser des nachstehenden Beitrages sind ehemalige Mitarbeiter des MfS, die in unterschiedlichen Positionen über viele Jahre hinweg u.a. auch mit Aufgaben auf dem Gebiet der Kirchen und Religionsgemeinschaften, darunter und Analyse von Informationen betraut waren.
Sie verstehen sich als authentische Zeitzeugen, wenn
auch mit der Einschränkung, dass sie das Wirken des MfS in den 50er Jahren,
darunter speziell in der Zeit bis 1955, als das MfS noch vollständig der
Aufsicht, Anleitung und Kontrolle des sowjetischen Geheimdienstes unterworfen
war, nicht aus eigenem Erleben beschreiben können.
Hinzu kommt, dass die Arbeitsmethoden des MfS,
insbesondere der Grundsatz, dass jeder Mitarbeiter nur das wissen sollte, was
er zur Erfüllung seiner Aufgaben wissen musste, einen vollständigen Überblick
über alle relevanten Fakten nicht zuließen und den Verfassern keine Dokumente
aus der Arbeit des MfS zur Verfügung stehen.
Die Verfasser sind sich ihrer subjektiven Sicht
bewusst und befinden sich in einem keineswegs abgeschlossenen
Erkenntnisprozess, in dem sie eingeübte Denkschemata, eine ganze Begriffswelt,
Ergebnisse jahrzehntelanger Arbeit immer wieder hinterfragen .
Angesichts devoter und eilfertiger Schuldbekenntnisse,
massiver Versuche der Verdrängung, tendenziösen Verfälschung und Umbewertung
historischer Ereignisse sowie eines sensationslüsternen
Enthüllungsjournalismus, worin die anhaltende Dämonisierung des .MfS
eingeschlossen ist, unternehmen sie mit der nachstehenden Ausarbeitung einen
ersten - zwangsläufig unvollkommenen Versuch, zur Erforschung der
geschichtlichen Wahrheit beizutragen.
Dieser Versuch wird Widerspruch hervorrufen und er
soll es auch, weil ohne den Streit widersprechender Auffassungen Vergangenheit
nicht aufgearbeitet werden kann.
Die Verfasser danken allen, die sie in ihrem Vorhaben
ermutigt und vor allem jenen, die durch konstruktive Kritik und wertvolle
Hinweise anregend und bereichernd auf die Erarbeitung des nachfolgenden Dokumentes
Einfluss genommen haben.
1. Zu den Wurzeln des Misstrauens
Nach der Zerschlagung des Faschismus standen auch die Kirchen in Deutschland vor der Notwendigkeit sich neu zu orientieren.
Sie hatten mehrheitlich mit der faschistischen
Diktatur kollaboriert. Die wenigen religiösen Sozialisten und kirchlichen
Mitarbeiter, die am antifaschistischen Widerstandskampf teilgenommen und ihn
überlebt hatten, konnten nach 1945 keinen bestimmenden Einfluss auf kirchliche
Grundpositionen ausüben.
So führte die
Rückbesinnung auf die traditionellen Werte und Ideale des bürgerlichen
Humanismus in den westlichen Besatzungszonen dazu, dass sich die Kirchen zu
staatstragenden Säulen entwickeln konnten und insbesondere halfen, das nach der
Zerschlagung, des Hitlerfaschismus entstandene geistig-weltanschauliche Vakuum
auszufüllen.
In einer völlig anderen Situation sahen sich die
Kirchen in der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR.
Sie hatten in einer gesellschaftlichen Ordnung zu
wirken, in der sie – außer dem Vorwurf der Kollaboration mit dem NS-Regime – zu befürchten hatten,
generell als Relikt einer überlebten Epoche angesehen zu werden.
Unter diesem Vorzeichnen wirkten sie in einem
gesellschaftlichen Umfeld, dem sie selbst Misstrauen entgegenbrachten und das
ihnen mit zumindest dem gleichen Misstrauen entgegentrat.
Es ist ein unzweifelhaftes Verdienst der sowjetischen
Militäradministration, trotz der auf beiden Seiten vorhandenen erheblichen
Vorurteile mit einer maßvollen Politik erste Voraussetzungen für ein
Nebeneinander von Kirche und staatlicher Macht geschaffen zu haben.
Dazu gehörten z.B. die Aufhebung der Beschränkungen
des religiösen Lebens aus der Zeit des Faschismus und der Verzicht auf die
Enteignung der Kirchen.
Die konsequente Verwirklichung des
bürgerlich-demokratischen Prinzips der Trennung von Staat und Kirche führte
aber im Vergleich mit den westlichen Besatzungszonen zu realen Verlusten an
Einfluss‑ und Wirkungsmöglichkeiten der Kirchen.
Damit wurde eine Ursache gesetzt, die im Kontext mit
zahlreichen weiteren Faktoren auf lange Sicht dazu führte, dass die Kirchen in
der DDR ihren Charakter als Volkskirchen verloren haben und nur noch
Minderheiten der Bevölkerung repräsentieren.[1]
Allerdings sind Prozesse der Säkularisierung in der
DDR nicht nur auf die atheistische Prägung der realsozialistischen Umwelt,
sondern auch auf Entwicklungen zurückzuführen, die in allen modernen
Industriestaaten gleichermaßen zu Geltung gelangten.
Das Misstrauen der jungen DDR-Staatsmacht gegenüber
den Kirchen in der DDR resultierte weniger aus den weltanschaulichen
Gegensätzen sondern hauptsächlich aus deren engen politischen und
organisatorischen Bindungen an die und finanziellen Abhängigkeiten von den
westdeutschen Kirchen.[2]
Zu beachten war auch, dass die Erklärung, von
Stuttgart, mit der sich die evangelischen Kirchen bezogen auf ihr Agieren in
der Zeit des Faschismus schuldig bekannt hatten, innerhalb dieser Kirchen zu
keinen bedeutsamen personellen Konsequenzen geführt hat .
Das von faschistischen Deutschland mit den Vatikan
abgeschlossene Konkordat wurde nach 1945 nicht außer Kraft gesetzt und bildete
bis zur. Ende der DDR das Haupthindernis für die Anerkennung der Staatsgrenze
zur Volksrepublik Polen als Kirchengrenze. (Diese Forderung wurde übrigens
nicht nur von der DDR sondern selbst durch polnische Bischöfe immer wieder
erhoben.
Die Aktivitäten von Staat und Kirche bestätigten in
den ersten Jahren das gegenseitige Misstrauen, waren aber auch von Illusionen
auf beiden Seiten bestimmt.
Auf der Seite der Kirchen wurden die politischen Verhältnisse
in der sowjetischen Besatzungszone und in den ersten Jahren der DDR zunächst
nur als ein vorübergehendes Übel, als eine kurzzeitige historische Episode,
betrachtet.
Kirchliche
Mitarbeiter aus den Westzonen wurden noch in den 50er Jahren wie Missionare in
die DDR entsandt, so z.B. der spätere Magdeburger Bischof KRUSCHE, der eigenen
Aussagen zufolge illusionär auch davon ausgegangen war, dass dieser Auftrag nur
von begrenzter Dauer sein werde. Auch die Ausbildung des Nachwuchses für kirchliche Ämter erfolgte
zunächst hauptsächlich in den westlichen Besatzungszonen und später in der BRD.[3]
Die staatliche Politik gegenüber den Kirchen wurde von
der Illusion getragen, dass mit der sozialistischen Entwicklung ein relativ
rasches Absterben der Kirchen verbunden sein werde, dem nicht sonderlich
nachgeholfen werden müsse. Die erste sozialistische Stadt der DDR - Stalinstadt, später umbenannt in
Eisenhüttenstadt - wurde ohne Kirchen erbaut.
Die 1952/1953 staatlicherseits erfolgte
kirchenkampfähnliche Verschärfung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche,
wie sie vor allem im Verbot der "Jungen Gemeinde" zum Ausdruck kam,
scheiterte wie andere Vorhaben der SED aus dieser Zeit an den
gesellschaftlichen Realitäten und wurde mit der Verkündung des "Neuen
Kurses" der SED unmittelbar vor dem 17. Juni 1953 korrigiert .
Obwohl das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im
Gesamtverlauf der Geschichte der DDR immer eine Mischung aus von beiden Seiten
ausgehender Konfrontation und Kooperation war, blieb es bei diesem einen: und
damit einzigen Versuch, Probleme mit den Kirchen in einer derart zugespitzten
Form lösen zu wollen.
Das am 08. Februar 1950 mit dem Ziel der
Gewährleistung der staatlichen Sicherheit der DDR gegründete Ministerium für
Staatssicherheit hatte unter den damaligen Bedingungen des Kalten Krieges bis
zur Mitte der 50er Jahre andere Sorgen und in Quantität und Qualität nicht
ausreichend Personal, um sich intensiv um die Kirchen zu kümmern.
Entsprechende Kräfte und Mittel des MfS waren
schwerpunktmäßig auf den Kampf gegen die Sekte ''Zeugen Jehovas"
konzentriert, die vom Obersten Gericht der DDR 1950 für illegal erklärt und wie
eine Agentenorganisation mit einer Hauptzentrale in den USA behandelt wurde.
Mit dem Abschluss des Militärseelsorgevertrages 1957
hatte die EKD unmissverständlich und endgültig ihren Platz im Kalten Krieg
bestimmt.1957 war auch der DDR-Vorschlag zur Bildung einer Konföderation beider
deutscher Staaten von der BRD-Seite ignoriert worden und damit auch die letzte
Chance einer Wiedervereinigung Deutschlands auf gleichberechtigter Grundlage.
Die EKD als gesamtdeutsche Klammer war zur Fiktion geworden.
So war es nur folgerichtig, dass die DDR das Amt des
Beauftragten der EKD bei der Regierung der DDR, welches von Propst GRÜBER.
wahrgenommen worden war, abschaffte. Es wurde eine Dienststelle des
Staatssekretärs für Kirchenfragen gegründet.
Von diesem
Zeitpunkt ab änderte sich der Auftrag des MfS gegenüber den Kirchen in der DDR.
Dazu erfolgte auch ein entsprechender Ausbau der personellen, inoffiziellen und
operativ-technischen Möglichkeiten des MfS.
Bis 1958 wurde der Mitarbeiterbestand der für die
politisch-operative Abwehrarbeit in Kirchen und Religionsgemeinschaften
zuständigen Abteilung 4 der Hauptabteilung V ( 1964 in Hauptabteilung XX
umbenannt ) auf etwa 20 Mitarbeiter erhöht[4]
Bis 1989 verdoppelte sich der Mitarbeiterbestand
dieser 4. Abteilung (einer von 10 Abteilungen) der Hauptabteilung XX
(Kurzbezeichnung HA XX/4) auf etwa 40 Mitarbeiter.
In den Bezirksverwaltungen des MfS existierten zuletzt
Referate 4 der Abteilungen XX in Stärke von 5-12 Mitarbeitern, insgesamt ca.
120 Mitarbeiter und in wichtigen Kreisdienststellen des MfS (Bezirksstädte,
Sitz von Kirchenleitungen, kirchenpolitische Schwerpunkte ) nochmals insgesamt
ca. l00 Mitarbeiter mit analogen Aufgabenstellungen.
Noch Mitte der 50er Jahre stand das MfS vor den
Kirchen, wie vor einer uneinnehmbaren Festung. Nur wenige, meist einflusslose
kirchliche Amtsträger, waren bereit mit dem Staatsapparat, der SED oder gar mit
dem MfS zu kooperieren. Erst die wachsende Einsicht, dass man in und mit diesem
Staat leben müsse, ließ Barrieren aufbrechen.
Dazu kam, dass mit ersten erfolgreichen Anwerbungen
einflussreicherer kirchlicher Persönlichkeiten sich der innere Zustand der
Kirchen für das MfS erschloss. Plötzlich wurde offenbar, dass kirchliche
Amtsträger ihren Dienst aus sehr differenzierten Motiven nachgingen, sich in
ihren politischen Ansichten z.T. kontrovers gegenüberstanden, sich ihrer
Herkunft und ihren persönlichen Beziehungen zur Außenwelt nach erheblich unterschieden,
mitunter auch Ärger mit ihren Vorgesetzten hatten, im Gerangel um den Aufstieg
in der kirchlichen Hierarchie manchmal auch nicht die feinsten Methoden
anwandten und ansonsten den gleichen Versuchungen unterlagen wie die schwarzen
Schafe ihrer Gemeinden oder jeder andere normal Sterbliche auch.
Es gibt wohl keinen Geheimdienst in der Welt, der
solche Kenntnisse nicht für seine Interessen, insbesondere auch für die
Anwerbung von Personen zur konspirativen Zusammenarbeit zu nutzen gewusst hätte[5]
Grundsätzlich wurden Werbungen von inoffiziellen
Mitarbeitern durch das MfS auf der Basis politischer Überzeugungen oder
zumindest auf der Grundlage gemeinsamer Interessen angestrebt. In
Ausnahmefällen wurde auch mit kompromittierendem Material, z.B. Erkenntnissen
zu moralischen Verfehlungen unterschiedlichster Art bis hin zur Nutzung von
Informationen aus Nazi-Archiven gearbeitet.
Aber auch bei unter
Druck bzw. durch Erpressung angeworbenen Personen wurde stets versucht, in
geduldiger Überzeugungsarbeit Positionen zu erreichen, die eine freiwillige
Zusammenarbeit und damit auch größere Effektivität und Zuverlässigkeit
zuließen. In der Regel wurden zumindest partielle Übereinstimmungen in
politischen Grundpositionen erreicht, wie in Fragen der aktiven Unterstützung
der auf Frieden, Abrüstung und Entspannung gerichteten Außenpolitik der DDR,.
dem der christlichen Nächstenliebe nahestehenden Ideal sozialer Gerechtigkeit,
einer auf das Wohl der Menschen und ihr solidarisches Verhalten bedachten
Politik oder der Herstellung eines konstruktiven, vertrauensvollen
Verhältnisses zu den Staatsorganen zum Nutzen der Kirchen und der Christen in
der DDR.
Dabei waren die Motive, Inhalt und Nutzen der
inoffiziellen Zusammenarbeit äußerst differenziert. Die Spannweite
reichte von IM, die längst mit der Kirche gebrochen hatten und dort nur
verblieben, um für das MfS weiter tätig zu sein bis zu IM, die sich nur
widerwillig in großen Abständen zu Gesprächen mit dem MfS bereit
fanden
und dabei noch sorgfältig abwägten, was sie offenbaren konnten und was nicht.
Hinzu kam, dass angesichts der gegenüber anderen
gesellschaftlichen Bereichen erheblich größeren Schwierigkeiten bei der Werbung
von IM im kirchlichen Bereich zunehmend Kompromisse eingegangen wurden, die
ansonsten in der Arbeit des MfS, -abgesehen von der Tätigkeit der Aufklärung-
nicht üblich waren.
So wurde
zunehmend darauf verzichtet, schriftliche Verpflichtungserklärungen
abzuverlangen und schließlich eine förmliche Verpflichtung nicht mehr zur
Bedingung gemacht, wenn eine kontinuierliche Gesprächsführung und
Informationsgewinnung zu erwarten war. Es wurde auch in Kauf genommen, dass die
Mehrzahl der kontaktierten kirchlichen Mitarbeiter ihre Vorgesetzten über
Gespräche mit dem MfS informierte und auf eine langfristige Herstellung vertraulicher
Beziehungen gesetzt.
Schließlich wurden auch zunehmend Überlegungen
angestellt, eine inoffizielle Zusammenarbeit anzubahnen, ohne dass das MfS
hierbei überhaupt in Erscheinung treten musste.
So blieb es den Mitarbeitern der Kirchenabteilung der
HA XX bzw. -Referate der Bezirksverwaltungen des MfS überlassen, zu welchem
Zeitpunkt sie Personen aus dem kirchlichen Bereich als IM registrierten.
Es versteht sich von selbst, dass angesichts des
Druckes auf diese Mitarbeiter, immer wieder neue IM zu rekrutieren, mitunter
großzügig vorgegangen wurde. Trotz der inneren Kontrollmechanismen des MfS
wurden auf diese Weise immer auch Personen als IM registriert, die dafür nicht
die erforderlichen Voraussetzungen erfüllten, weder geeignet noch gewillt waren
konspirativ mit dem MfS zusammenzuarbeiten.
Die aktuellen Debatten über wissentlich und
unwissentlich geführte IM gehen am Wesen der Sache vorbei und sind das Resultat
eingeübter Inquisition, die nicht nach Inhalt, Sinn und Nutzen der
Zusammenarbeit mit dem MfS fragt, sondern nach der Zusammenarbeit an sich.
Völlig außer acht gelassen wurde bisher, dass das MfS
besonders wertvolle IM überhaupt nicht als solche registrierte sondern zur
Wahrung ihrer Sicherheit, speziell zum Schutz vor Verrat aus den eigenen Reihen,
als Operative Vorgänge, die heute als ''Opferakten'' bezeichnet werden, führte.
Zu den Treppenwitzen der Geschichte gehört, dass der
Leiter der gleichnamigen Behörde, Herr GAUCK vermutlich selbst als IM geführt
worden wäre, wenn die Wende nicht einen bereits angebahnten Kontakt
unterbrochen hätte[6]
Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, auf alle
Probleme der inoffizieIlen Zusammenarbeit einzugehen, besonders auch unter dem
Gesichtspunkt der in den Medien geführten Kampagnen gegen tatsächliche und
vermeintliche IM des MfS.
Ein weites Feld ist z.B. die Zusammenarbeit der
Führungsoffiziere des MfS mit den inoffiziellen Mitarbeitern. Die IM waren
weder willfährige Werkzeuge ihrer Führungsoffiziere noch waren sie skrupellose
Finsterlinge. Das Verhältnis zwischen Führungsoffizieren und IM gestaltete sich
im Regelfall auf der Basis gegenseitiger Achtung, der Respektierung
individueller Besonderheiten und Vorstellungen des jeweiligen IM, der
gemeinsamen Beratung von Aufgaben und den dazu einzuschlagenden Wegen, der
vertrauensvollen Erörterung menschlicher Sorgen und Probleme und der Organisierung
echter Hilfe in schwierigen Situationen.
Zwischen IM und Führungsoffizieren entwickelte sich
vor allem bei einer längeren Zusammenarbeit fast immer ein Verhältnis
gegenseitigen Vertrauens, es entstanden inhaltsreiche Freundschaften, geführte
Gespräche wurden sowohl von IM als auch von ihren Führungsoffizieren als
Bereicherung eigener Vorstellungen und Anschauungen empfunden.
Nur auf diese Weise ist auch die nachweisbar hohe
Einsatzbereitschaft vieler IM zu erklären, die letztlich auf gefestigten Überzeugungen
von der Richtigkeit und Notwendigkeit des jeweiligen Handelns beruhte.
Zweifellos entschied auch das psychologische Geschick von Führungsoffizieren
mit über eine erfolgreiche Zusammenarbeit, ihre Fähigkeit Kontakte anzubahnen
und zu festigen, ihr Auftreten und ihr Umgang mit anderen Menschen, ihre Art
Gespräche zu führen usw.
Die Zusammenarbeit mit den IM war die wichtigste
Grundlage der Tätigkeit des MfS (nicht nur im Bereich der Kirchen sondern
generell) und blieb es auch trotz der in Qualität und Quantität wachsenden
operativ‑technischen Möglichkeiten, wie Postkontrolle, Telefonkontrolle,
Observation, konspirativen Ermittlungen und Durchsuchungen, Abhörtechnik usw.
und deren ständigen Vervollkommnung durch den Einsatz der modernsten (aus dem Westen
beschafften) elektronischen Technik.[7]
Das ergab sich nicht nur aus der Rolle der IM bei der
Informationsbeschaffung sondern auch aus der durch die IM möglichen
Einflussnahme im Sinne der Durchsetzung politischer und operativer Interessen.
Das MfS war auf diese Weise nicht nur passiver Empfänger von Informationen, es
konnte damit auch präventiv voraussehbare Entwicklungen bestimmen und lenken.
Im Gegensatz zu allen anderen gesellschaftlichen
Bereichen war die SED in den Kirchen nicht selbst präsent, verfügte sie dort
über keinen eigenen Apparat zur Durchsetzung ihrer Interessen im allgemeinen
und ihres Führungsanspruches im besonderen. Sie konnte über die Politik der
Kirchen nicht bestimmen und beschränkte sich auf eine Politik in Kirchenfragen,
also auf jene Probleme für die im Verhältnis zwischen Staat und Kirche
vergleichsweise wie im Verhältnis zu einer fremden Macht Klärungsbedarf
entstand.
Da der politischen
Machtausübung durch die SED in den Kirchen Grenzen gesetzt waren, wurde das MfS
beauftragt, mit seinen spezifischen Mitteln und Methoden Möglichkeiten der
politischen Kontrolle, der Neutralisierung politisch feindlicher Kräfte und
Aktivitäten und der politischen Beeinflussung im Sinne der Staatsziele der DDR
zu erschließen. Dabei waren die Kirchen zu keinem Zeitpunkt für das MfS als Religionsgemeinschaften von Interesse sondern immer nur als ein politischer
Faktor in der Gesellschaft, mit dem man rechnen musste.
Die politischen Vorgaben der SED-Führung
bestimmten grundsätzlich die Inhalte der Tätigkeit des MfS.
Zunehmend vom MfS unterbreitete eigene Vorschläge
waren stets an die SED-Führung - speziell an das für Kirchenfragen
zuständige Politbüro-Mitglied oder an den Generalsekretär der SED selbst
adressiert, unterlagen deren Bestätigung und waren letztlich auf politische
Machtsicherung der Herrschaft den SED-Politbüros und seines
Generalsekretärs gerichtet, was nicht nur in Übereinstimmung mit der
Verfassung der DDR stand sondern auch als unerlässliche Bedingung der
Verteidigung und Fortsetzung der sozialistischen Entwicklung in der DDR
angesehen wurde.
Das MfS organisierte seine Abwehrarbeit in den Kirchen
und Religionsgemeinschaften in enger Kooperation mit den anderen mit Kirchenfragen befassten Organen, vor
allem
-
der Arbeitsgruppe
Kirchenfragen im Apparat des ZK der SED
-
der Dienststelle des
Staatssekretärs für Kirchenfragen
sowie deren nachgeordneten Gliederungen in den
Bezirken und Kreisen der DDR, d.h. entsprechenden Mitarbeitern der Bezirks- und
Kreisleitungen der SED und den zuständigen Mitarbeitern der Bereiche Inneres
der Räte der Bezirke und Kreise.
Da es sich dabei insgesamt um überschaubare, durch
ihre spezifischen Aufgaben klar von anderen Entscheidungsträgern abgrenzbare
Struktureinheiten handelte und diese aufgrund ihrer Exotik auch eine relative
Selbständigkeit wahren konnten, entwickelte sich eine sehr enge, kameradschaftliche
Zusammenarbeit.
Politische Konzeptionen wurden häufig gemeinsam
beraten und arbeitsteilig verwirklicht, Berichte an die übergeordneten
Parteiorgane sorgfältig abgestimmt (wer wollte sich schon Ärger einhandeln)
und gegenseitig die jeweils bestmögliche Unterstützung gegeben.
Das Arbeitsfeld der für Kirchenfragen zuständigen
Parteifunktionäre war die Klärung politischer Grundsatzfragen, das der im
Staatsapparat tätigen Mitarbeiter für Kirchenfragen die praktische Gestaltung
der offiziellen staatlichen Beziehungen zu den Kirchen und
Religionsgemeinschaften.
Die Sonderrolle des MfS in diesem Dreiergespann ergab
sich aus seinem aus der Geheimdienstarbeit resultierenden Informationsvorsprung,
seiner Verantwortung für die Gewährleistung der staatlichen Sicherheit im
Staatsapparat, dem Einsatz von Offizieren im besonderen Einsatz in wichtigen
staatlichen Funktionen (der Parteiapparat war für das MfS tabu), seinen
Möglichkeiten zur flexiblen und unkonventionellen Lösung von Konflikten und den
über Erich MIELKE gegebenen direkten Informationszugang zum Generalsekretär
der SED.
So wie Erich MIELKE
zunächst Walter ULBRICHT und später Erich HONECKER direkt unterstellt war,
waren die Leiter der Bezirksverwaltungen bzw. Kreisdienststellen des MfS Mitglieder
der Bezirks- und Kreisleitungen der SED. Auch in den Bezirken und Kreisen der
DDR konnte also über das MfS das eigentliche politische Machtzentrum direkt
anvisiert werden.
Theoretisch konnten kirchenleitende Persönlichkeiten
auch ohne Kontakte zum MfS auskommen. Praktisch waren solche Kontakte jedoch
wichtig und nützlich, wenn Stufen der politischen Macht übersprungen, der Boden
für komplizierte Entscheidungen bereitet, gegenseitige Berechenbarkeit und die
manchen Vorgängen innewohnende Vertraulichkeit gewahrt werden sollten.
Um die Rolle des MfS zu verstehen, muss darauf
verwiesen werden, dass dieses Organ von der Partei- und Staatsführung der
DDR zunehmend eingesetzt wurde, um Aufgaben zu erfüllen, die normalerweise
Angelegenheit von Politikern gewesen wären, aber von diesen nicht wahrgenommen
wurden oder in den starren Grenzen einer dogmatischen Ideologie nicht
wahrgenommen werden konnten.
Durch die SED wurden die Kirchen als politischer
Gegner oder doch wenigstens als politischer Unsicherheitsfaktor betrachtet,
ihre ungenügende Anpassung an staatliche Erwartungen vielfach als Ergebnis
äußerer feindlicher Einflussnahme interpretiert.
Das MfS sollte durch seine Tätigkeit dieses
Erklärungsmuster stützen und besaß darüber hinaus den Vorteil, dass die
Ergebnisse seiner Arbeit, auch eingetretene Misserfolge, die offizielle Politik
nicht unmittelbar tangierten. Auch die erreichbare hohe Flexibilität und
Effektivität schienen die Orientierung auf das MfS zu rechtfertigen.
Innerhalb des MfS wurde der Verwässerung seiner
ursprünglichen Aufgabenstellung, die eine der Ursachen für die unnötige
Aufblähung des MfS-Apparates und den damit verbundenen Verlust der
Akzeptanz in der DDR-Bevölkerung war, nicht ernsthaft begegnet.
Es entwickelte sich vielmehr ein gewisser Stolz,
verbunden mit einem übersteigerten Verantwortungsgefühl, abrechenbare Beiträge
zur Politik der SED leisten zu können, darunter auch solche, die
augenscheinlich nur durch das MfS erreichbar waren.
Die damit verbundene Selbstbestätigung, das Anwachsen
des spezifischen Gewichtes des MfS im politischen Machtgefüge und nicht zuletzt
die Anerkennung und Würdigung durch die Parteiführung der SED spielten hierbei
keine untergeordnete Rolle.
In späteren Jahren kam noch hinzu, dass die Führung
unter HONECKER unangenehme Entwicklungen in der DDR systematisch verdrängte und
dadurch zunehmend unfähig wurde, herangereifte Probleme zu erkennen und zu
bewältigen. Auftretende Spannungen und Konflikte wurden de facto in die
Zuständigkeit des MfS delegiert, das zwar beruhigend und dämpfend wirken, die
gesellschaftlichen Ursachen aber nicht beseitigen konnte.
Auf dem Gebiet der Kirchenpolitik entstand auf diese
Weise zunehmend eine Situation, dass das Tätigwerden der Staatsorgane oder der
SED immer häufiger nur noch auf Vorschlag des MfS erfolgte, ansonsten aber
stets mit dem MfS abgestimmt wurde.
3. Besonderheiten der katholischen Kirche in der DDR
Die katholische Kirche in der DDR bestimmte ihre
Position einerseits als Minderheitskirche andererseits mit der Gelassenheit
einer Institution, die auf eine Geschichte von fast zweitausend Jahren
zurückblickt. Ihre weitgehend apolitische, allein dem kirchlichen Auftrag
verpflichtete Haltung ermöglichte es ihr größtmögliche Distanz zum
sozialistischen Staat zu halten, aber
gleichzeitig ihre Strukturen und ihre innere Geschlossenheit zu behaupten. Eine
Standortbestimmung der katholischen Kirche in der DDR als Kirche im Sozialismus
hat es trotz zaghaftester Ansätze zu keinem Zeitpunkt gegeben. Sie profitierte
zudem von allen Verbesserungen für die Lage der Kirchen, die vornehmlich von
den Evangelischen Kirchen erreicht wurden. Die stärker von religiösen Dogmen
und Traditionen geprägte, weltlichen Orientierungen insgesamt weniger
aufgeschlossen gegenüberstehende katholische Kirche organisierte auf diese
Weise ihr Überleben nicht nur im Sozialismus sondern auch in einem von den
evangelischen
Kirchen bestimmten Umfeld.
Verhandlungen mit Vertretern des Staates verliefen
weniger spektakulär, weniger konfliktgeladen und berechenbarer als bei
den evangelischen Kirchen. Dabei bestanden zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der
antikommunistischen Grundhaltung der katholischen Kirche, die z.B. von Papst
Johannes Paul II. bei seinen Auftritten in der Volksrepublik Polen mehr
als einmal in aller Deutlichkeit bekräftigt wurde.
Nicht das Verhalten der katholischen Kirche sondern
das politische Auftreten der evangelischen Kirchen, die zudem die Mehrheit der
Christen in der DDR repräsentierten, waren der entscheidende Maßstab für
die Politik der DDR in Kirchenfragen und damit auch für die darin
eingeschlossenen Aktivitäten und Reaktionen des MfS. Deshalb sollen die
folgenden Ausführungen vorrangig auf Sachverhalte beschränkt werden, die die
evangelischen Kirchen in der DDR betreffen.
4. Der Weg zum Bund Evangelischer Kirchen in der DDR
Die Entwicklung einer konstruktiven Kirchenpolitik in
der DDR ist untrennbar mit dem Wirken des langjährig für Kirchenfragen
zuständigen Politbüromitglieds der SED Paul VERNER verbunden. Ausgehend von der
Einschätzung, dass die Kirchen offensichtlich nicht in einer historisch kurzen
Zeit an Einfluss und Bedeutung verlieren werden und dass jeder Versuch, ihre
Existenz künstlich oder gewaltsam zu beenden nur zur inneren Festigung der
Kirchen, zur Entfaltung von Märtyrertum und zur Eskalation unnötiger Konflikte
führen würde, musste eine neue Konzeption gefunden werden.
Den Kirchen wurde
die Wahrung ihrer Interessen unter der Bedingung gestattet, dass sie keine
Aktivitäten entwickeln, die den politischen Interessen der SED zuwiderlaufen
könnten. Aus dieser politischen Grundlinie, die Kirchen als politischen
Störfaktor
auszuschalten, wurde der Auftrag für das MfS abgeleitet, den politischen
Missbrauch der Kirchen zu unterbinden. Dem entsprach im übrigen auch die in der
Verfassung der DDR von 1968 getroffene Regelung zur Stellung der Kirchen in
Staat und Gesellschaft der DDR, die unter Beteiligung der Kirchen an der
Diskussion des Verfassungsentwurfes zustande gekommen war.
Allerdings muss in diesem Zusammenhang darauf
verwiesen werden, dass staatlicherseits jegliche politische Äußerung der
Kirchen als Missbrauch betrachtet wurde, die Kirchen sollten
ausschließlich
religiöse und keine politischen Organisationen verkörpern. Damit waren ständige
Konflikte und Reibereien vorprogrammiert, da sich vor allem die
Evangelischen Kirchen nicht in die Rolle reiner Kultkirchen drängen
ließen und ihrer weltoffenen Grundorientierung gemäß sich auch zu
gesellschaftlichen Problemen äußern wollten und mussten.
Auch auf der Seite der Kirchen wuchsen Einsichten,
dass der Staat DDR nicht nur eine kurzlebige Episode darstellt sondern den
Rahmen für das kirchliche Wirken auf lange Sicht bestimmen werde. Spätestens
mit der Bau der Mauer 1961 und schließlich auch durch die neue Verfassungswirklichkeit
seit 1968 war in der damaligen Betrachtung deutlich geworden, dass die
Ergebnisse des II. Weltkrieges, der Besitzstand der Siegermächte nur um den
Preis einer kriegerischen Auseinandersetzung mit unabsehbaren Folgen verändert
werden konnte.
Kirche und Staat mussten wohl oder übel miteinander
auskommen, sich gegenseitig respektieren und zur Wahrung und Durchsetzung ihrer
Interessen den Weg von Kompromissen einschlagen.
Während die Kirchen darauf bedacht waren ihren
Handlungsspielraum - auch und besonders in politischen Angelegenheiten - zu erhalten und ständig auszudehnen, war die staatliche Seite bestrebt, einen
politischen Missbrauch kirchlichen Handelns nicht zuzulassen bzw. vorbeugend
auszuschließen.
Für ein politisches Wirken der Kirchen waren in der
DDR keinerlei Rechtsgrundlagen gegeben. Ansätze eines Verwaltungsrechts wurden
erst kurz vor Abdankung der DDR installiert.
Unter diesen Bedingungen blieben zähe, geduldige
Verhandlungen zwischen Staat und Kirche, das ständige Ausloten des Machbaren,
die ständig neue Erörterung auch geringfügigster Details der einzig gangbare
Weg für beide Seiten.
In dieser Praxis widerspiegelte sich auch insbesondere
in den letzten Jahren der DDR das Unvermögen der Parteiführung zur
grundsätzlichen Behandlung und Lösung politischer und gesellschaftlicher
Probleme. Selbst unbedeutendste Fragen wurden nicht selten durch den
Generalsekretär der SED und Vorsitzenden des Staatsrates der DDR. persönlich
entschieden und mussten immer wieder neu in Informationen erklärt und begründet
werden. Dem entsprach auch der Führungsstil Erich MIELKES, der alles selbst
wissen wollte und seine Mitarbeiter mit abwegigsten Nachfragen zur Verzweiflung
treiben konnte.
Wirkliche Politik wurde auf diese Weise durch
Geschäftigkeit ersetzt, Eigeninitiative und selbständiges verantwortliches
Handeln untergraben und ein ineffektives System der Rückversicherung bis in die
höchsten Ebenen in allen Bereichen installiert..
Bei den
Verhandlungen zwischen Staat und Kirchen wurden niemals nur Vorteile des
Staates erzielt sondern immer auch Ergebnisse zum Nutzen der Kirchen und der
Christen in der DDR. Was heute als Kungelei der Kirchenoberen mit dem Staat
verketzert wird, war unter den gegebenen Umständen die einzige Alternative, um
kirchliche Ziele zu erreichen und den Platz der Kirchen in der Gesellschaft zu
behaupten. Dabei können die Kirchen aus 40 Jahren Verhandlungen mit dem Staat
DDR eine durchaus positive Bilanz ziehen.
Insgesamt sind das politische Wirken der Kirchen in
der DDR ebenso wie die staatliche Politik in Kirchenfragen nur als ein ständiger
Lernprozess auf beiden Seiten erklärbar.
Politische Kraftakte der Kirchen, z.B. im Zusammenhang
mit der Jugendweihe, teilweise auch bei der Bildung der Landwirtschaftlichen
Produktionsgenossenschaften erwiesen sich als Bumerang, wenn sie die reale
Stimmung der Bevölkerungsmehrheit missachteten.
Die evangelische Landeskirche Thüringen übernahm die
Vorreiterrolle in einem Prozess der Normalisierung der Beziehungen zwischen
Staat und Kirche. Landesbischof MITZENHEIM und Bischof BRAECKLElN stehen für
den "Thüringer Weg'' der Respektierung der Staatsmacht der DDR als
Obrigkeit ( ... denn jede Obrigkeit ist von Gott ...) bei gleichzeitiger
Einforderung der Rechte der christlichen Bürger und der Kirchen dieses Staates.
Das MfS wäre niemals in der Lage gewesen den Kurs
einer Landeskirche zu bestimmen, wenn nicht einflussreiche Kräfte in dieser
Kirche auch ohne Zutun des MfS zu entsprechenden Einsichten gelangt wären. Das
MfS hat selbstverständlich seinen Beitrag geleistet, um diese Entwicklung nach
besten Kräften zu befördern.
Die Evangelische Kirche Thüringens war es dann auch,
die unter Berufung auf den von ihr eingeschlagenen Weg Leistungen des Staates
einforderte und erhielt, z.B. Mittel für die Renovierung und den Neubau von
Kirchen. Aber auch andere kirchliche Anliegen, wie Reisen kirchlicher
Amtsträger in das kapitalistische Ausland, die Ermöglichung des Studiums für
Kinder von Pfarrern bzw. aktiven Christen, Einfuhrgenehmigungen, die Aufhebung
von Einreisesperren für Personen aus den westlichen Kirchen, die u.a. zur
Unterbindung von deren Amtsausübung in der DDR verfügt worden waren, die
Erteilung bestimmter Druckgenehmigungen u.v.a.m. wurden zumeist wohlwollend
positiv entschieden. Nicht zuletzt wurde Bischof MITZENHEIM durch Hervorhebung
seiner Rolle bei der Aushandlung von Rentnerreisen in die BRD und mit ihm seine
Kirche deutlich aufgewertet.
Muss sich nun die Thüringer Kirche dafür
entschuldigen, dass sie das Leben der Kirchen und Christen in der DDR normaler
und erträglicher gestaltet hat? Hätte sie damals wissen müssen, dass 30 Jahre
später nur noch die Fortsetzung einer konsequenten Verweigerungshaltung, wenn
nicht sogar unerbittlicher Widerstand Verständnis und Anerkennung finden? Wäre
eine solche Haltung angesichts der Tatsache, dass sich die meisten Menschen,
auch die meisten Christen in der DDR irgendwie eingerichtet hatten, überhaupt
möglich gewesen? Solche Fragen sind nur unter Beachtung der konkreten
Bedingungen unter denen bestimmte Entscheidungen getroffen wurden, zu
beantworten. Jedes andere Herangehen ist nicht nur anmaßend sondern auch
ahistorisch und muss zwangsläufig zu falschen Ergebnissen führen, auch wenn diese
noch zu gut in ein aktuelles politisches Konzept passen.
Der nächste große Meilenstein in der Kirchenpolitik
der DDR war die mit der Bildung des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR
1969 vollzogene organisatorische Trennung von der Evangelischen Kirche
Deutschlands.
8 Jahre nach dem Mauerbau stellte sich die DDR als ein
konsolidierter, aufstrebender Staat dar. Die Situation in der Landwirtschaft
hatte sich stabilisiert, die LPG wurden mittlerweile von der Mehrheit der
Bauern akzeptiert und hatten spürbare positive Wandlungen in den Dörfern
bewirkt. Die Wirtschaft hatte sich vom ständigen Ausbluten durch die
Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte erholt und der bevorstehende
20.Jahrestag der DDR war Anlass einer eindrucksvollen Bilanz auf vielen Gebieten.
Im internationalen Maßstab war der Zusammenbruch der Hallstein-Doktrin
vorprogrammiert. Die Politik des roll back, des Zurückrollens des Sozialismus
schien auch nach dem Scheitern des "Prager Frühlings" 1968 nicht mehr
zeitgemäß. Änderungen des Status quo waren nicht in Sicht.
Auf welches Wunder sollten die Kirchen in der DDR
warten? Das weitere Leben in der DDR zwang sie zu Entscheidungen in Richtung
einer stärkeren Anerkennung jenes Staates, in dem sie wirkten und weiter wirken
wollten.
Schon Ende der 50er Jahre hat die Führung der SED die
organisatorische Trennung der Kirchen in der DDR von denen in der BRD als
strategisches Ziel anvisiert. Zur Durchsetzung dieser Zielstellung hatten die
Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED, das Staatssekretariat für
Kirchenfragen und die Kirchenabteilung des MfS entsprechende Konzeptionen
entwickelt, an deren Umsetzung hartnäckig und geduldig über lange Zeiträume
hinweg gearbeitet wurde.
Der Erfolg stellte sich schließlich ein, weil die realpolitischen Verhältnisse richtig eingeschätzt worden waren und es zur angestrebten Zielstellung keine vernünftige Alternative gab. Sollten die evangelischen Kirchen in der DDR abwarten, bis die DDR international allgemein anerkannt wird, ehe sie den Staat in dem sie wirken, mit dessen real existierender Staatsmacht, Gesetzen und Bevölkerung sie lebten, annehmen? Pragmatiker in der Kirchenführung wussten längst, wie sie nach dem Bau der Mauer mehr denn je auf eine Kooperation mit staatlichen Stellen angewiesen waren, um ureigenste kirchliche Interessen und die Interessen ihrer Gemeindemitglieder zu vertreten. Bei offener Grenze war es jederzeit möglich, die materielle und finanzielle Hilfe der BRD-Kirchen mehr illegal als legal zu organisieren, es war problemlos in die alten Bundesländer zu reisen oder internationale Kontakte zu pflegen usw.
Die durch die Grenzziehung entstandenen neuen Möglichkeiten der staatlichen Eingriffe und Kontrolle wurden jetzt genutzt und hinterließen ihre Spuren, auch wenn eine völlige Unterbindung der Beziellungen zu den westlichen Kirchen natürlich nicht durchsetzbar war.
Die Tatsache, dass die EKD-Synode 1966 an zwei Orten tagen musste, konnte nicht als eine befriedigende Lösung angesehen werden. Auch Pragmatiker in der Führung der EKD kamen zu der Einschätzung, dass der Vorwurf einer Steuerung der Evangelischen Kirchen in der DDR von außen den Spielraum für Verhandlungen mit dem Staat einschränkte und hatten gleichermaßen die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ wie die „Neue Ostpolitik“ vor Augen .
Noch stärker fiel ins Gewicht, dass die Probleme der praktischen, der alltäglichen kirchlichen Tätigkeit in beiden deutschen Staaten immer weiter auseinander drifteten, eigene Lösungen und Wege gefunden werden mussten.
Selbstverständlich wurde die organisatorische
Abtrennung der Evangelischen Kirchen in der DDR von der EKD als ein Geschenk
zum 20. Jahrestag der DDR gefeiert.
Es war aber nicht nur eitel Sonnenschein, der da von
den Evangelischen Kirchen herüberstrahlte. Es war ein deutlicher Gewinn auch
für sie.
Trotz härtesten Ringens war es nicht gelungen zu
verhindern, dass sich die Trennung von der EKD nur auf den organisatorischen
Bereich erstreckte. Die besondere geistig-weltanschauliche Einheit der
Christen in Deutschland war ausdrücklich festgeschrieben worden. Was vorher
locker verhindert oder behindert werden konnte, musste nun wieder zugelassen
werden: die Unterhaltung von Kontakten zwischen den Kirchen beider deutscher
Staaten.
Der entstandene Kirchenbund als eine Möglichkeit der
Zusammenfassung der Potenzen und einheitlichen Formulierung von Forderungen
der Evangelischen Kirchen in der DDR gegenüber dem Staat wurde ohne
Begeisterung aufgenommen. Erst nach etwa zwei Jahren wurden offizielle
staatliche Gespräche mit dem BEK geführt.
Argwöhnisch beobachtet wurden auch spätere Versuche
vor allem in der ersten Hälfte der 80er Jahre, den nur losen Kirchenbund von 8
evangelischen Landeskirchen, die zudem noch in Gruppen zu 3 bzw. 5
Landeskirchen in der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche bzw. der
Evangelischen Kirche der Union zusammengeschlossen waren, organisatorisch
fester
zusammenzufügen und als Vereinigte Evangelische Kirche
in Geschlossenheit dem Staat DDR gegenüberzustellen. Dieses Projekt scheiterte
an Widerstand der Berlin-Brandenburgischen Kirche.
Insgesamt handelte es sich bei der Bildung des Bundes
Evangelischer Kirchen in der DDR um einen Kompromiss zum Nutzen des Staates und
zum Nutzen der Kirchen.
Vor allem die Erfahrungen der Evangelischen Kirchen
mit diesem Kompromiss veranlassten die Katholische Kirche 1975 mit der Bildung
der Berliner Bischofskonferenz nachzuziehen, in der Anerkennung des Staates DDR
aber deutlich halbherziger und inkonsequenter, beginnend bei der Bezeichnung
(wenn auch mit der für die Außenpolitik der DDR günstigeren Einbeziehung
Westberlins) und endend mit der trotz intensiver Anmahnung nicht erfolgten
Regelung der Kirchengrenzen zur VR Polen und zur BRD.
Die Bildung des evangelischen Kirchenbundes 1969
stellt sich heute aus der Sicht des Untergangs der DDR als einer jener Umwege
dar, die gegangen werden mussten, um sich zu behaupten und neue Horizonte zu
erreichen. Sie ist in gewisser Weise vergleichbar mit der Entspannungspolitik,
zu der es ebenfalls keine Alternative gab und die mit der erzwungenen Öffnung
der sozialistischen Länder das Scheitern des realsozialistischen Systems
maßgeblich beförderte.[8]
Die Bildung des BEK
signalisierte aber 1969 zugleich ein Offenhalten von Optionen der weiteren
Existenz der Kirchen in einer sozialistischen Gesellschaft. Die
Evangelischen Kirchen in der DDR und speziell ihr hauptamtlicher Apparat
setzten sich aus Vertretern unterschiedlicher politischer Intentionen zusammen,
die nur in ihrer ganzen Differenziertheit zu verstehen sind.
Neben Amtsträgern, die ihr ganzes Leben lang der DDR
und dem Sozialismus konsequent ablehnend gegenüberstanden, gewannen zunehmend
auch solche Personen an Einfluss, die die sozialistische Entwicklung in der DDR
als eine Chance zur Verwirklichung christlicher Glaubensgrundsätze
guthießen und weitestgehend unterstützten. Zwischen diesen Polen lag eine
ganze Palette sich dynamisch verändernder, manchmal auch wechselnder und
widersprüchlicher
politischer Auffassungen, die in ihrer Pluralität das politische Handeln der
Kirchen bestimmten.
Extreme politische Haltungen zogen immer wieder
Disziplinierungsversuche nach sich. Allzu offen gegen die DDR-Gesellschaft
auftretende kirchliche Mitarbeiter mussten mit staatlichen Reaktionen rechnen,
diejenigen, die sich zu nachhaltig für die DDR engagierten, erregten Unwillen
in den Kirchen.
Im innerkirchlichen Kräfteverhältnis dominierten
solche Personen, die die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR kritisch
begleiteten, von einem Wächteramt aus reformerische Prozesse zu befördern
suchten und in dem Maße an Einfluss gewannen, in dem sich die SED von ihren selbst
proklamierten Idealen und Zielen entfernte.
Dabei ist zu beachten, dass nach vielfältigen
Erkenntnissen aus der operativen Tätigkeit des MfS auch solche kirchlichen
Amtsträger,
die sich dem DDR-Regime scheinbar wohlwollend anboten, intern eine durchaus
kritische und distanzierte Haltung einnahmen. Grundlage ihres Handelns war die
pragmatische Einsicht, dass ein erfolgreiches Wirken im Sinne der eigenen
Vorstellungen am effektivsten in einem entspannten Verhältnis zwischen Staat
und Kirche möglich wurde.
5. Die Hauptkonflikte zwischen Staat und Kirche
Nach dem Höhepunkt von 1969 begannen für Staat und
Kirche in der DDR gleichermaßen die Mühen der Ebene. So wurde den Kirchen
manches, aber keineswegs alles gestattet, seitens des Staates manches aber auch
nicht alles geduldet.
Staatlicherseits wurde in diesem Zusammenhang immer
wieder versucht, die mehrfach überarbeitete Veranstaltungsverordnung als
eine Art Wunderwaffe einzusetzen. Einerseits erwartete man von den Kirchen,
dass sie alle nicht religiösen Veranstaltungen anmelden bzw. genehmigen lassen
sollten, andererseits wollte der Staat bei Einladungen und Auftritten
ausländischer - einschließlich westdeutscher - Personen in den
Kirchen ein Mitsprache- und Vetorecht.
Waren ein Orgelkonzert in der Kirche oder eine
Schriftstellerlesung religiöse Veranstaltungen? Wen durften Kirchen überhaupt
einladen? Was blieb den Staatsorganen übrig, wenn sich die Kirchen einfach über
Meldepflichten und Verbote hinwegsetzten? Die Anzahl leerer Drohungen, die
dabei ausgesprochen wurde, wiegt die Zahl eigenmächtiger Handlungen kirchlicher
Amtsträger auf. Weil niemand sein Gesicht verlieren wollte, beschränkte man
sich auf kleinere Korrekturen und die höfliche Bekundung gegenseitigen
Respekts.
Das zur Erhaltung der
Staatsräson dabei immer wieder bemühte MfS war gut beraten, Möglichkeiten und
Grenzen der Staatsmacht stets sichtbar zu machen, verhinderte durch seine
Tätigkeit oftmals die Zuspitzung konfrontativer Situationen und wurde zunehmend
von Staatsapparat und Kirche gleichermaßen konsultiert, um bereits im Vorfeld
von Entscheidungen abzuwiegeln.
Eines der Hauptkonfliktfelder bildete die kirchliche
Jugendarbeit, die für die Kirchen zu einer Frage ihrer weiteren
Existenz geworden war, aus staatlicher Sicht aber immer wieder das
Erziehungsmonopol in der monolithisch organisierten Gesellschaft tangierte.
Die sog. offene Jugendarbeit, der Versuch, Jugendliche mit weltlichen Themen,
jugendgemäßer Musik und Freizeitgestaltung an die Kirche zu binden, wurde
staatlicherseits als Eingriff in ureigenste Rechte angesehen, der unerbittlich
auch mit Hilfe des MfS zu unterbinden war.
Von Hygiene-Kontrollen bei Freizeitrüsten bis zu
mehr oder weniger geschickten Intrigen gegen Träger kirchlicher Jugendarbeit
wurden alle Register gezogen, um eine Ausweitung moderner und daher
erfolgreicherer Methoden kirchlicher Jugendarbeit zu verhindern.
Verbündete fanden Staatsapparat und MfS hierbei auch
in konservativen, der traditioneIlen kirchlichen Arbeit verhafteten Pfarrern,
die den nicht auszuschließenden Eklat mancher kirchlichen Experimente in der
Jugendarbeit scheuten und mit Skepsis verfolgten, dass es zwar manchmal gelang
eine erhebliche Anzahl von Jugendlichen in kirchliche Veranstaltungen
einzubeziehen, aber der größte Teil davon letztlich doch keine dauerhaften
Beziehungen zur Kirche herstellte.
Am erfolgreichsten im Sinne kirchlicher Jugendarbeit
agierten jene kirchlichen Amtsträger, die in geduldigen Verhandlungen mit
staatlichen Organen, bei Respektierung und systematischer Relativierung
staatlicher Auflagen und Forderungen unter religiöser Thematik, jedoch ohne
Verzicht auf weltliche Bezüge und jugendgemäße Gestaltung selbst überregionale
Formen und Methoden kirchlicher Jugendarbeit in den Rang von Gewohnheitsrechten
erhoben. Was einmal erlaubt wurde, musste immer wieder erlaubt werden, über
traditionelle Veranstaltungen brauchte nicht mehr grundsätzlich verhandelt
werden, sondern lediglich über aktuelle Neuerungen, ihre Einpassung in die
jeweilige Tagespolitik.
Spektakuläre Auftritte bewegten vor allem die
westlichen Medien, die nachprüfbaren Erfolge kompromissbereiter und
kompromissfähiger kirchlicher Amtsträger veränderten die Verhältnisse in der
DDR langsam, aber stetig zugunsten der Kirchen.
Diese Prozesse verliefen im Gebiet der DDR nicht
gleichmäßig und logisch nachvollziehbar für ähnliche Vorhaben und Situationen.
Subjektive Einflüsse und Ambitionen auf Bezirks- und Kreisebene agierender
Partei- und Staatsfunktionäre und von weisungsberechtigten Mitarbeitern
des MfS führten je nach deren Engagement in der Politik in Kirchenfragen zu
positiven und negativen Abwandlungen zentral erlaubter und gewünschter
Handlungsmuster.
Auch die
Verhandlungsführer der Kirchen zeigten sich in unterschiedlichem Maße
taktischen Finessen vertraut bzw. gewachsen.
Ohne Ergebnis blieben die hartnäckigen Forderungen
kirchlicher Amtsträger nach grundsätzlichen Gesprächen zu Fragen der Volksbildung.
Dazu hatten die Kirchen umfangreiches Material gesammelt, von Schulbuchanalysen
bis zu Fällen der Benachteiligung christlicher Schüler oder den Ausschluss
ihrer Eltern aus der Arbeit der Elternvertretungen.
Soweit solche Vorfälle als individuelle Beispiele
vorgetragen wurden, konnte oftmals auch mit Hilfe des MfS eine positive Klärung
zugunsten kirchlicher Wünsche herbeigeführt werden.
Generelle Lösungen scheiterten an der Haltung des
Ministeriums für Volksbildung, das in Übereinstimmung mit der SED-Führung
solche Vorstöße als Einmischung in staatliche Angelegenheiten auffasste und
schon wegen der exponierten Stellung von Margot HONECKER auch Anregungen des
MfS jederzeit ignorieren konnte.[9]
In den Beziehungen zwischen Staat und Kirche nahmen
Fragen der Wehrdienstverweigerung einen breiten Raum ein. Ihre
Behandlung ist zugleich ein exemplarisches Beispiel für die konstruktive Überwindung von Konfliktsituationen auf dem Weg von Kompromissen und
Zugeständnissen.
Dabei war die Verhandlungsposition der Kirchen
durchaus nicht günstig. Wer die Militärseelsorge in der BRD nicht infrage
stellte, konnte sich schwerlich als Hort des reinen Pazifismus profilieren.
Außerdem hatten die Kirchen in ihrer Geschichte oft genug Armeen und Kriege
gesegnet und selbst die Bibel ist keine pazifistische Schrift.
Unmittelbar nach dem Bau der Mauer war in der DDR 1961 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt worden. Bereits 1964 wurde auf Drängen der Kirchen die Möglichkeit des Bausoldatendienstes als Wehrersatzdienst innerhalb der NVA geschaffen, eine in den anderen sozialistischen Ländern und selbst in manchen bürgerlichen Demokratien damals nicht gegebene Chance für Pazifisten, die zudem nicht an eine Gewissensprüfung geknüpft war. Von dieser Möglichkeit machten ursprünglich je Einberufungsjahrgang ca. 400, später bis zu 1000 Wehrpflichtige Gebrauch . Eine Analyse der sozialen Struktur dieses Personenkreises ergab, dass er sich zu ca. 80 % aus den Söhnen von Handwerkern zusammensetzte sowie aus Personen, die beabsichtigten eine kirchliche Laufbahn einzuschlagen. Diese jungen Männer waren also unabhängig von staatlichem Wohlwollen hinsichtlich der künftigen Berufsausbildung, des Studiums oder sonstiger Karrierewünsche. Sie kamen aus Kreisen, die auch sonst ein Rückgrat der Kirchen in der DDR bildeten, auch was das Kirchensteueraufkommen betraf.
Die praktische Durchsetzung der
Bausoldatenregelung war von Kraftproben auf Seiten der Bausoldaten wie auch
ihrer Ausbilder begleitet. Schrittweise gestalteten sich akzeptablere Verhältnisse
für beide Seiten. So nahm z.B. der spätere Pfarrer EPPELMANN mehrere
Monate Strafarrest in Kauf, weil er sich weigerte den Fahneneid zu leisten. Der
Einsatz der Bausoldaten fand in späteren Jahren nicht mehr wie anfangs an
militärischen Anlagen, z.B. beim Bau von Schießständen statt. Der Besuch von Gottesdiensten,
der Besitz von religiösen Schriften u.ä. wurden nach und nach geregelt. In den
letzten Jahren wurde auf die Konzentration der Bausoldaten in größeren
Einheiten verzichtet, sie wurden vor allem zu Hilfsarbeiten in Stäben
herangezogen, wo sie relativ isoliert von anderen Einheiten blieben.
In geringerer Anzahl, je Einberufungsjahrgang ca. 100
Personen traten sog. Totalverweigerer auf, Personen, die jeden Wehrdienst
verweigerten und dafür eine Haftstrafe in Kauf nahmen. In der Mehrzahl handelte
es sich hierbei um Angehörige der Sekte "Zeugen Jehova", die im
Vertrauen auf den ihnen prophezeiten Weltuntergang sich gleichgültig ihrem
Schicksal fügten.
In den letzten Jahren der DDR traten zunehmend junge
Menschen, die sich für eine kirchliche Laufbahn entschieden hatten, als
Totalverweigerer auf, um sich für ihre künftige Tätigkeit zu profilieren. Mit
Besorgnis registrierte das MfS, dass sich unter diesen Anwärtern für den
kirchlichen Dienst zunehmend Personen befanden, die keinerlei erkennbare religiöse
Motivation für ihre Berufswahl hatten und sich vornehmlich nur deshalb der
Kirche zuwandten, weil sie hofften, auf diese Art aktiven Widerstand
gegen die DDR leisten zu können.
Die um internationale Reputation bemühte DDR-Führung
reagierte auf die Zunahme der Totalverweigerungen in absoluter Hilflosigkeit.
So wurden in den letzten ca. 4 Jahren der Existenz der DDR Personen, die bei
den Musterungen angekündigt hatten, den Wehrdienst generell verweigern zu
wollen, einfach nicht mehr eingezogen, es musste also niemand mehr wegen
Wehrdienstverweigerung inhaftiert werden.
Dadurch wurde die Totalverweigerung zu Methode der
Wahl, die Anzahl der Totalverweigerer stieg zuletzt auf ca. 2000 Personen eines
Einberufungsjahrganges und ein weiteres Steigen dieser Zahl wurde nur durch den
Zusammenbruch der DDR verhindert.
Die Kirchen in der DDR förderten die teilweise oder
völlige Wehrdienstverweigerung nach besten Kräften und waren z.B. nicht bereit
den Wehrdienst als gleichwertiges Friedenszeugnis gegenüber der
Wehrdienstverweigerung oder dem Bausoldatendienst zu respektieren. Beschlüsse
von Bundessynoden der Evangelischen Kirchen in der DDR, wie "Absage an
Prinzip, Geist, Logik und Praxis der Abschreckung" (1983) oder
"Bekennen in der Friedensfrage" (1987) wurden angesichts fehlender
analoger Beschlüsse der Kirchen in der BRD als Provokationen gegenüber der
sozialistischen Staatsmacht aufgefasst.
Ein weiteres wichtiges konfliktgeladenes Feld der
Staat-KircheBeziehungen in der DDR war die kirchliche
Patenschaftsarbeit, die später in kirchliche Partnerschaftsbeziehungen
umbenannt wurde, in ihrem Kern aber die Förderung der Begegnungen von
Vertretern der Kirchen und Gemeinden der BRD mit den Kirchen und Gemeinden der
DDR geblieben ist.
Es handelte sich dabei um die kirchliche Variante
dessen, was im MfS als gegnerische Kontaktpolitik/Kontakttätigkeit bezeichnet
wurde: Die vom westdeutschen Staat massiv geförderte Begegnung der Bürger
beider deutscher Staaten bei Ausschluss staatlicher Einflussnahme der DDR.
Dem Wesen nach ging es um die praktische
Umsetzung der Konzeption eines Wandels durch Annäherung. Der Staat BRD konnte
darauf vertrauen, dass die Mehrzahl seiner Bürger in solchen Begegnungen
antikommunistische Positionen vertrat oder zumindest das eigene System
verteidigte.
Der Staat DDR suchte seine Bürger vor solchen
Kontakten, von denen erwiesenermaßen eine destabilisierende Wirkung ausging,
abzuschirmen.
Das ließ sich jedoch nicht mit der durch die
Entspannungspolitik erzwungenen Öffnung der DDR vereinbaren, so dass dem MfS die
nicht lösbare Aufgabe zufiel jährlich etwa 8 Millionen Einreisende aus
kapitalistischen Staaten unter Kontrolle zu halten, negative Auswirkungen für
den inneren Zustand der DDR abzuwehren und das Wirken feindlicher Elemente zu
entlarven.
Die Wirkungen der vielfältigen und differenzierten Kontakte, die in ihrer absoluten Mehrheit den Charakter menschlicher Begegnungen und des individuellen Meinungs- und Gedankenaustausches hatten, entzogen sich im allgemeinen einer strafrechtlichen oder an anderen Rechtsnormen zu messenden Bewertung. Das ihnen innewohnende Konzept des Offenhaltens der deutschen Frage, die Rechtfertigung der Politik der BRD gegenüber der DDR, die Erkundung und Ausforschung des inneren Zustandes der DDR und nicht zuletzt die direkte und indirekte Einflussnahme bzw. Wirkung auf die DDR-Burger und speziell auch auf die Kirchen und ihre Entscheidungen waren politische und keine geheimdienstlichen Probleme, auch wenn sich immer wieder geheimdienstliche
Aktivitäten[10]
in der Vielzahl der menschlichen Begegnungen versteckten und tarnten.
Mit dem Verzicht der Parteiführung auf ein politisches
Vorgehen und der Delegierung des Problemfeldes Kontakttätigkeit/Kontaktpolitik
an das MfS und seiner Erklärung zu einer Hauptrichtung der Abwehrarbeit seitens
des MfS wurde nicht nur eine ständige Aufblähung des Apparates des MfS
begründet sondern auch dessen Arbeit zunehmend ineffizienter, da immer mehr
Kräfte und Mittel aufgewandt wurden, Umfang und Umstände von Kontakten zu
registrieren und zu beschreiben oder Anregungen für die Perfektionierung
staatlicher Vorschriften und -Meldepflichten sowie die Kontrolle ihrer
Durchsetzung zu geben.[11]
Allein die Abschirmung der immer weiter wachsenden
Zahl der Mitarbeiter des MfS und ihrer engeren Verwandten vor Westkontakten
erforderte einen riesigen Aufwand und setzte sich mit der Überprüfung und
Kontrolle von hunderttausenden Personen in sicherheitsrelevanten Bereichen
fort. Die Mehrzahl der vom MfS hinterlassenen Akten ist Ergebnis derartiger
Sicherheitsüberprüfungen, der misstrauischen Betrachtung jeglicher Verbindungen
in das nichtsozialistische Ausland, die im Prinzip das Gefühl der eigenen
Unterlegenheit in der Systemauseinandersetzung reflektierte.
Für die Arbeit des
MfS im Bereich der Kirchen und Religionsgemeinschaften trat eine Art
Gewöhnungseffekt ein. Es war klar, dass es keine Gemeinde, keine kirchliche
Stelle gab, die nicht in irgendeiner Weise Kontakte in die BRD oder das kapitalistische
Ausland unterhielt. Der Nachweis einer über die allgemeine geistig-weltanschauliche
Beeinflussung hinausgehenden Wirkung, so z.B. der Inspirierung oder
Unterstützung strafrechtlich relevanter Handlungen konnte in den seltensten
Fällen geführt werden .
6.Kirchen und Außenpolitik der DDR
Durch Partei, Staatsapparat und MfS wurde z .T.
erfolgreich versucht, Auftritte kirchlicher Persönlichkeiten im internationalen
Maßstab im Sinne der Außenpolitik der DDR zu nutzen. Die Themen, um die es
dabei ging, sind auch aus heutiger Sicht keinesfalls ehrenrührig:
Abrüstung, Entspannung, Sicherung des Friedens.
Hierzu ist anzumerken, dass sich die westdeutschen
Kirchen diesen Themen nur widerwillig und reserviert genähert haben und auf
diesem Gebiet z .T. konträr zur Haltung der Kirchen in der DDR, aber auch zu
internationalen kirchlichen Gremien und zu Kirchen anderer kapitalistischer
Länder standen.
Unbedingt erwähnt werden muss, dass die kirchlichen
Kontakte der oberen Ebene sowohl durch die Regierung der DDR als auch seitens
der Regierung der BRD genutzt wurden, um inoffizielle politische Absprachen zu
treffen, sich gegenseitig zu konsultieren und offizielle Arrangements
vorzubereiten. Die Kirchen bürgten hierbei für Diskretion und Seriösität.
Auf diese Weise war es den Regierungen beider
deutscher Staaten möglich in weit größerem Ausmaß ihre Politik abzustimmen und
zusammenzuarbeiten als dass der Kalte Krieg und die fortlaufend geführten
Propagandaschlachten zuließen. Sie umgingen dabei auch die Aufsicht ihrer
jeweiligen Führungsmächte in den Bündnissen, denen sie angehörten.
Vor allem aber war es möglich sachlich und vernünftig
aufeinander einzugehen und die üblichen Rituale der gegenseitigen Verketzerung
beiseite zu lassen. Die Balance an der Nahtstelle zweier sich unversöhnlich
gegenüber stehender Weltsysteme konnte auf diese Weise durch die Kirchen mit
abgestützt werden.
Das moralische Recht der Kirchen, in Not geratenen,
verfolgten oder bedrängten Menschen zu helfen, wurde seitens des MfS stets
respektiert.
Die geringsten Konflikte zwischen Staat und Kirchen
entstanden auf den Gebieten von Diakonie bzw. Caritas.
Die hier vorhandene unumgängliche Kooperation, die auf
beiden Seiten weitgehend von politischen Ambitionen frei war, wurde deshalb
auch auf Felder ausgedehnt, in denen nur durch diskretes, allein der
Menschlichkeit verpflichtetes Handeln Fortschritte möglich waren.
So wurde z.B. das Problem des Häftlingsfreikaufes
gelöst, an dem zunächst die BRD-Seite das größere Interesse hatte. Die
Einschaltung des Diakonischen Werkes in diese Angelegenheit erfolgte, was heute
meist vergessen wird, auch auf ausdrücklichen Wunsch der verantwortlichen
Politiker der BRD.
Völlig unsinnig ist
es, den Häftlingsfreikauf einseitig als ökonomische Unterstützung der DDR mit
Milliardenbeträgen darzustellen. Vielmehr handelte es sich um eine Aktivität,
bei der die BRD ihre ökonomische Überlegenheit ausspielte, um die Staatsmacht
in der DDR langfristig zu destabilisieren.
Immer mehr Personen in der DDR, vorwiegend aus dem
Kreis der Antragsteller auf Übersiedelung in die BRD nahmen daraufhin nämlich
den Weg über eine Verurteilung durch die DDR-Organe in Kauf, wurden so
ermutigt, sich mit den gröbsten Provokationen über Recht und Gesetz in der DDR
hinwegzusetzen.
Der Freikauf von Häftlingen war nur ein Akkord auf der
Klaviatur der immer mehr perfektionierten ökonomischen Erpressung der DDR, er
schuf ebenso wie jeder neue Kredit immer wieder neue Abhängigkeiten.
Damit soll keinesfalls geleugnet werden, dass die DDR-Führung,
indem sie sich auf ein Geschäft mit Menschen einließ, sich moralisch auf eine
Stufe mit jenen Herrschern in der deutschen Geschichte stellte, die ihre
Landeskinder an fremde Staaten verkauf ten.
7.Die "Kaderpolitik" des MfS in den Kirchen
Entsprechend den ihm gestellten Aufgaben konzentrierte
das MfS sich darauf in den Kirchen im allgemeinen und den kirchenleitenden
Gremien im besonderen die staatsloyale Basis zu stärken oder eine solche zu
schaffen .
Gradmesser für das Erreichte waren die Synoden der
Evangelischen Kirchen, d.h. Grad und Umfang der Kritik an der DDR-Politik
in den geführten Diskussionen und letztlich in den gefassten Beschlüssen .
Die Einflussnahme auf politische Aussagen der Kirchen
ging allerdings keinesfalls nur vom MfS aus.
Nicht nur das MfS bildete aus Anlass von Synoden
Einsatzstäbe oder Einsatzgruppen.[12]
Vor Ort waren zumeist auch Vertreter der Ständigen
Vertretung der BRD in der DDR, eine beachtliche Zahl westlicher Korrespondenten
und hochrangige Gäste aus den BRD-Kirchen bzw. aus Kirchen des westlichen
Auslandes oder internationaler kirchlicher Gremien, von denen so manche ihre
Tätigkeit nicht nur auf den Austausch und die Sammlung von Informationen
sondern auch auf die Beeinflussung der Ergebnisse der jeweiligen Synoden
ausrichteten.
Umfang und Ergebnisse derartigen Handelns entziehen
sich gegenwärtig noch einer öffentlichen Bewertung, die entsprechenden
Panzerschränke sind ins Gegensatz zu denen des MfS noch verschlossen.
So hatten die Aussagen aller Synoden der Evangelischen
Kirchen in der DDR Kompromisscharakter. Sie trugen stets den Interessen widerstreitender
Flügel in den einzelnen Kirchen aber auch staatlichen Interessen der DDR und
der BRD, wenn auch von Fall zu Fall in unterschiedlichem Maße Rechnung, waren
niemals eindeutig auf einer der gegensätzlichen Positionen oder umgingen
bestimmte Bekenntnisse ganz.
Für konkrete Aussagen standen auch immer konkrete
Personen, die sich wiederum selbst oder mit Unterstützung einer Lobby, die von
den jeweiligen Partnern in Ost oder West eifrig mit aufgebaut bzw. befördert
wurde, um Mehrheiten in den Synoden, in deren Ausschüssen oder in
kirchenleitenden Gremien bemühten.
Die jeweils
erreichten Ergebnisse konnten je nach Erwartung relativ bewertet werden,
typischerweise hob jede Seite das hervor, was ihr am besten in das eigene
Konzept passte.
Die Manie führender Politiker der DDR, sich über die
Schwierigkeiten und Probleme im eigenen Lande aus den westlichen Medien zu
informieren, brachte das MfS immer wieder in Erklärungszwang und bewirkte, dass
in den internen Informationen im Sinne der DDR-Politik positive Aussagen
aufgewertet, negative Äußerungen bagatellisiert oder in ihrer Bedeutung
herabgesetzt wurden, allerdings ohne objektiv wahre Fakten zu verfälschen.
Mit großem Aufwand und in der Regel langfristig
vorbereitet wurde versucht, Personalentscheidungen der Kirchen zu beeinflussen,
immer mit dem Ziel "progressive oder realistische", kompromissbereite
Kräfte zu fördern und "reaktionäre kirchliche Amtsträger", dem Staat
unbequeme Personen, zurückzudrängen.
In gewisser Hinsicht fungierten die Versuche, über
Personalentscheidungen wirksam zu werden als eine Art Politikersatz, waren sie
Ausdruck der Unfähigkeit, tragfähige politische Konzepte zu erarbeiten und
planmäßig zu gestalten. Sie stehen im Kontext zur Personalpolitik der SED, die
zunehmend nicht mehr das politische Profil von Kadern sondern ihre Ergebenheit
gegenüber der Parteiführung zum Kriterium für den Aufstieg in der SED, Staat
und Gesellschaft erhoben hatte.
Der Einfluss des MfS war zu keinem Zeitpunkt so groß,
dass es bestimmen konnte, wer bestimmte kirchliche Positionen besetzt. Zwischen
Wünschen und ihrer Realisierung bestanden schon erhebliche Unterschiede. Im
Ergebnis von Analysen der konkreten Interessenlagen, sozialen Beziehungen,
objektiven Widersprüchen und der sich daraus ableitenden Möglichkeiten ihrer
Nutzung konnten aber aussichtsreiche Kandidaten bestimmt und deren künftiges
Auftreten prognostiziert, Argumente für eine Unterstützung oder Ablehnung
gesammelt und geschickt verbreitet werden.
Erfahrungsgemäß hatten Personen mit extremen
Auffassungen für oder gegen den Staat DDR die geringsten Chancen, in ein
kirchliches
Amt gewählt zu werden, gesucht wurden immer Kompromisskandidaten, ausgleichend
und vermittelnd wirkende Personen, an deren Wahl auch kirchlicherseits
Interesse bestand.
Sowohl aus der Sicht der Kirche als auch aus der Sicht
des Staates ließ sich Politik von extremen Positionen aus nicht gestalten.
8. Das Grundsatzgespräch vom 06.03.1978
Immer wieder versuchten kirchliche Amtsträger der evangelischen
Kirchen in der DDR ihr Verhältnis zum sozialistischen Staat auf bestimmte
Formeln zu bringen. Kritische Distanz, kritische Solidarität, schließlich auch
der Begriff von der Kirche im Sozialismus wurden gefunden, um den Platz in der
sozialistischen Gesellschaft zu bestimmen. Alle diese Begriffe haben zwei
Aussagen gemeinsam: den Anspruch der Kirche als legitime nicht-sozialistische
Organisation akzeptiert zu werden und in der sozialistischen Gesellschaft auch
politisch wirken zu können.
Es handelte sich
dem Wesen nach um eine Standortbestimmung durch eine Koexistenzformel, die eine
weite Auslegung möglich machte. Niemals war von einer Kirche für den
Sozialismus die Rede und auch staatlicherseits wäre eine "sozialistische
Kirche" ein Widerspruch in sich selbst gewesen.
Gerade deshalb erwies sich die Formel von einer Kirche
im Sozialismus als tragfähiges Fundament für weitergehende Kompromisse zwischen
Staat und Kirche. Das Grundsatzgespräch zwischen Erich HONECKER als
Staatsratsvorsitzenden und führenden Vertretern der Evangelischen Kirchen in
der DDR vom 06.03.1978 bewies, wie ein derartiger Kompromiss beiden Seiten
nutzen konnte.
Indem die Kirchen den Staat DDR offiziell nicht mehr
infrage stellten, trugen sie zwar einerseits zu seiner Stabilisierung bei,
schufen sich aber andererseits weitreichende Möglichkeiten für die kirchliche
Arbeit bis hin zu einem größeren Gewicht ihrer Äußerungen zu
gesellschaftspolitischen Problemen und bei der Anmahnung und Durchsetzung der
Chancengleichheit für christliche Bürger.
Neue bzw. erweiterte staatliche Zuschüsse für die
Rentenversorgung der Pfarrer, für kirchliche Krankenhäuser und
Kindereinrichtungen,
Heime für alte und behinderte Menschen, ein kirchliches Bauprogramm,
Erleichterungen in staatlichen Genehmigungsverfahren, Kirchensendungen in
Fernsehen, zusätzliche Sendungen im Rundfunk u.v.a.m. waren nach der Bildung
des Kirchenbundes 1969 längst überfällige Schritte der weiteren Normalisierung
des Umgangs zwischen Staat und Kirche, Ausdruck gegenseitiger Achtung und eines
maßvollen Miteinanders, zu dem es zum damaligen Zeitpunkt auch im Kontext zur
internationalen Entwicklung und zur Gestaltung der Beziehungen zwischen beiden
deutschen Staaten keine erkennbare Alternative gab.
Der Einschätzung Erich HONECKERs, der das Gespräch vom
6.3.l978 als Krönung und Anfang gewertet hatte, konnten auch die
Kirchenvertreter
zustimmen.
Mit diesem Gespräch wurden die Grundlagen für eine
konstruktive weitere Gestaltung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche
gelegt, die deshalb keineswegs konfliktfrei verliefen, wie das am Beispiel der
Einführung des Wehrunterrichtes kurz nach dem o.g. Grundsatzgespräch deutlich
wurde.
Kirchliche Vertreter vermieden, daraus unüberbrückbare
Gegensatze zu entwickeln und erreichten durch stille Diplomatie, dass der
Wehrunterricht für christliche Schüler und Eltern erträglich wurde und nicht
zum Anlass von Ausgrenzungen eskalierte.
9. Die Lutherehrung 1983 und die nachfolgenden
Großveranstaltungen
In den Lutherehrungen von 1983 fanden die Beziehungen
zwischen Staat und Kirche in der DDR einen erneuten Höhepunkt.
Natürlich war die DDR bestrebt mit den Lutherehrungen
ihr internationales Ansehen aufzupolieren, besonders in jenen Ländern, von
deren Kreditvergabe die DDR-Wirtschaft immer abhängiger wurde.
Entgegen den
ursprünglichen Wünschen des Staates wahrten die Kirchen bei diesen Ehrungen
ihre relative Selbständigkeit. Sie konnten aber auf eine Zusammenarbeit mit
staatlichen Organen nicht verzichten, wenn der 500. Geburtstag Luthers in dem
auch von ihnen gewünschten großen Rahmen stattfinden sollte.
Transportprobleme, Verkehrsregelungen, Übernachtungskapazitäten, die Nutzung öffentlicher Straßen und Plätze bis zu
Müllabfuhr und Toilettenwagen, Einreiseformalitäten, Druckgenehmigungen, die
Renovierung von Gedenkstätten usw. bildeten eine Fülle von Verhandlungsgegenständen
mit staatlichen Organen.
Überall wo diese Verhandlungen in die Sackgasse zu
geraten drohten, wurde das MfS beauftragt oder gebeten einzugreifen, um das
übergeordnete beiderseitige Anliegen nicht zu gefährden.
Im Ergebnis eines z.T. harten Ringens konnten die
staatlichen Organe der DDR als Erfolg verbuchen, dass die Kirche die
Lutherehrungen
nicht für offensichtliche oder spektakuläre Kritiken an der DDR ausnutzte.
Der Erfolg der Kirche bestand vordergründig darin,
dass Luther, der in der Geschichtsschreibung der DDR lange Zeit als Unperson
galt und weit hinter Thomas Müntzer rangierte, wieder auf den ihm zustehenden
Platz gestellt worden war.
Wie auch bei Bismarck oder Friedrich II. hatten die
Historiker der DDR sich mit der Konzeption durchgesetzt, die Geschichte so zu
beurteilen wie sie wirklich war und die Persönlichkeiten der Geschichte im Wirken
in ihrer Zeit zu betrachten, sie also nicht der Bewertung der gerade
herrschenden Ideologie zu unterwerfen.
Rehabilitiert wurde 1983 nicht nur die Person Luthers.
Ebenso wichtig war der Beitrag der Reformation zur deutschen Kulturgeschichte,
die darin verwurzelten Maßstäbe für die Erziehung und Bildung unveräußerlicher
Werte der deutschen Nation und die Bestätigung ihrer Gültigkeit für die Bürger
der DDR.
Für die Kirchen in der DDR bedeuteten die
Lutherehrungen einen wichtigen Fortschritt bei der Festigung ihres Platzes in
der DDR-Gesellschaft und darin eingeschlossen auch ihrer Rolle als
Dialogpartner des Staates.
Wenn in den Folgejahren die Kirchen immer wieder
beschworen wurden, das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Staat und Kirche
nicht aufs Spiel zu setzen, so war das nur das staatliche Eingeständnis, dass
bestimmte Maßnahmen und Entscheidungen nicht mehr gegen die Kirchen
durchzusetzen waren.
Das ergab sich z.T. auch aus der internationalen
Entwicklung, insbesondere dem KSZE-Prozess, innerhalb dessen die
westlichen Staaten die Rechte und Möglichkeiten der Kirchen immer gebührend
behandelt hatten. In diesen Fragen bot die DDR im Unterschied zu anderen
sozialistischen Ländern relativ wenige Angriffspunkte, bestimmte weitergehende
Forderungen westlicher Staaten wären lösbar und mit der Politik der DDR in
Kirchenfragen vereinbar gewesen.
Seitens des MfS wurden im Zusammenhang mit den laufenden KSZE-Verhandlungen wiederholt Stellungnahmen für die SED-Führung erarbeitet, in denen die Konsequenzen eines Eingehens auf die westlichen Forderungen untersucht wurden und für den kirchlichen Bereich überwiegend die Akzeptanz aus der Sicht sicherheitspolitischer Interessen erklärt wurde.
Das Lutherjahr schuf für die Kirchen jene
Präzedenzfälle, auf die sie sich bei der Forderung nach der Zulassung weiterer
kirchlicher Großveranstaltungen berufen konnten. Auf diese Weise konnte z.B.
anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins 1987 gegen die Auffassung von
Politbüro-Mitglied JAROWINSKI ein Kirchentag in der Hauptstadt der DDR
durchgesetzt werden, 1988 vier weitere Kirchentage, seitens der
katholischen Kirche ein Katholikentreffen in Dresden und 1989 der Kirchentag
in Leipzig.
Wenn der Verlauf dieser Veranstaltungen im ganzen
gesehen für die Staatsorgane der DDR erträglich war, so ist das ein Verdienst
jener Organisatoren aus dem kirchlichen Bereich, die den gewonnenen Spielraum
öffentlichen Wirkens nicht um den Preis kleinlicher Provokationen,
kurzsichtiger, auf Eklat bedachter Aktionen wieder verlieren wollten und sich
dabei mit der Masse der Veranstaltungsteilnehmer eins wussten. Es ist zugleich
das Verdienst jener Staatsfunktionäre, darunter auch der Mitarbeiter des MfS,
die auf einzelne Auftritte und Situationen mit Geduld und Augenmaß, Toleranz
und Sachkenntnis reagierten und sich dabei nicht selten mit dem Sektierertum,
der Borniertheit und Machtbesessenheit untergeordneter Funktionäre auseinander
zu setzen hatten.
Großen Anteil an staatsloyalen Aussagen der
Kirchentage haben übrigens Vorstände und Mitglieder der CDU der DDR, die in
Abordnungen von z.T. mehreren hundert Personen die Kirchentagskongresse
bevölkerten, die DDR-Politik offensiv vertraten und gegen andere Auffassungen
verteidigten. Innerhalb des MfS wurde von diesen CDU-Mitgliedern immer
mit größter Hochachtung gesprochen, stellten sie sich doch der kontroversen
Diskussion und hatten dabei kluge und überzeugende Argumente parat, die sie
wohltuend von manchen platten und dogmatischen SED-Agitatoren
unterschieden, ganz zu schweigen von jenen Parteifunktionären, die sich vor
jeglicher politischen Auseinandersetzung scheuten.
Auch außerhalb der Kirchentage wurden CDU-Mitglieder
in unterschiedlichen kirchlichen Veranstaltungen als gesellschaftliche Kräfte
aktiv, die im Sinne der DDR-Politik wirkten und dabei gegenüber anderen
Personengruppen auch den Vorzug hatten, dass sie sich im kirchlichen Milieu
bewegen und aus christlichen Anschauungen heraus argumentieren konnten.
10. Kirche und Antragsteller auf Übersiedelung in die
BRD
Der sich immer weiter vergrößernde Abstand im
Lebensstandard beider deutscher Staaten führte dazu, dass eine wachsende Zahl
von DDR-Bürgern bestrebt war, ihr Land zu verlassen.
Ein Bericht der Konferenz der Kirchenleitungen der
Evangelischen Kirchen in der D0R aus dem Jahre 1984 benannte als Ursachen
wachsender Ausreiseersuchen die fehlenden Reisemöglichkeiten, negative
Inlandserfahrungen, unbewältigte persönliche Probleme sowie die
Wohlstandsfaszination des Westens.[13]
Diese Situation wurde durch die immer offenkundigere
Erstarrung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der DDR und
eine völlig verfehlte Medienpolitik im Kontext zur Politik GORBATSCHOWs in der
UdSSR weiter verschärft.
Die Analysen des MfS belegen eindeutig: die
überwiegende Mehrzahl der DDR-Bürger, die auf illegalem Wege oder über
Antragstellung und legale Ausreise ihr Land verlassen wollte und verlassen hat,
hatte dafür vorwiegend wirtschaftliche Motive, sie wollte partizipieren am
westlichen Konsum, Reisemöglichkeiten eingeschlossen. Es waren im Prinzip die
gleichen egoistischen Motive, die nach 1989, also nach Wegfall der vorherigen
politischen Gründe noch fast eine Million Menschen der ehem. DDR bewegten,
ihren Wohnsitz in Richtung Westen zu verlassen und die in noch verschärfter
Version zum Ansturm von Wirtschaftsflüchtlingen auf die BRD führen.
Ob und inwiefern Auffassungen, wie sie auch von
Konsistorialpräsident STOLPE vertreten wurden, wonach die DDR ihren Bürgern
nur Reisen in das westliche Ausland gestatten sollte, um das Problem der
Antragstellung auf Übersiedelung zu lösen, eine reale Grundlage hatten, lässt
sich auch aus heutiger Sicht nicht endgültig beantworten. Alle zum damaligen
Zeitpunkt gestarteten Versuche zur Verbesserung der Reisemöglichkeiten führten
zu immer neuen Begehrlichkeiten bei immer mehr DDR-Bürgern.
Die Zahl der Antragsteller wuchs ständig weiter. Auch
die großzügige Genehmigung von mehreren 10.000 Anträgen im Jahre 1984 erwies
sich nur als Öffnung einer Schleuse, in die immer wieder neue Personen
drängten. Ein genehmigter Antrag zog immer 4 neue Anträge nach sich.
Das Schicksal dieser Personen war Werbung für sich.
Die reiche BRD hatte die arme, wirtschaftlich erfolglose DDR in Würgegriff. Es
entstand eine Lage, in der die Herrschenden nicht mehr in der gewohnten Weise
regieren konnten und die Beherrschten sich nicht mehr regieren lassen wollten.
Die DDR-Regierung und die SED fanden kein Mittel, um die wirtschaftlichen
Probleme zu meistern und sie erwiesen sich auch als unfähig, unter den
Bedingungen der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung einen neuen Konsens
herzustellen.
So wurden das MfS und die anderen Sicherheitsorgane
eingesetzt, ein im Wesen gesellschaftliches und ökonomisches Problem mit
geheimdienstlichen und repressiven Mitteln zu lösen - ein untauglicher
Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt.
Keine Entlastung brachte auch eine Ende 1988 erlassene
Reiseverordnung, die u.a. die Antragstellung auf Ausreise regeln sollte.
Abgesehen von der Halbherzigkeit dieser Regelung - sie erwies sich als
nicht durchsetzbar. Schon 14 Tage nach Erlass wurden entgegen den besonderen
Ausschließungsgründen für eine Ausreise Botschaftsbesetzer klammheimlich
abgeschoben.
Die Staatsautorität wurde so durch die subjektiven
Entscheidungen der Parteiführung immer weiter ausgehöhlt, die Unfähigkeit eines
Politbüros, dass sich in den letzten 10 Jahren DDR nicht einmal mit diesem
Problem befasst hatte, offenbar, vom optischen Eindruck einer
altersstarrsinnigen, vergreisenden Führung ganz zu schweigen.
In dieser Situation wurden die Kirchen in der DDR als
Stabilisierungsfaktor beschworen, aber gleichzeitig brüskiert. HONECKER
weigerte sich, mit Bischof LEICH über dieses Thema zu sprechen, ein bornierter
Kleinkrieg - eine Art Stellvertreterkrieg – gegen Kirchenzeitungen wurde
eröffnet und auf Drängen des Staatssekretärs für Kirchenfragen und des MfS
beendet, man war hin und hergerissen, ob man kirchliche Beratung für
Antragsteller zulassen sollte oder nicht usw. usf.
Die Konzeptionslosigkeit der Partei- und
Staatsführung der DDR wurde immer deutlicher. Das MfS verfügte zwar über eigene
Konzeptionen, konnte diese aber nicht ohne Zustimmung der SED-Führung umsetzen
und war andererseits auch nicht bereit, die Position eines der Politik
dienenden Organs zu verlassen und gegen den Willen der führenden Partei eigene
Aktivitäten zur Veränderung gesellschaftlicher Zustände zu ergreifen.
In einer Reihe von Fällen entwickelten sich Kirchen zu
Treffpunkten von Antragstellern auf Ausreise in die BRD, in Leipzig wurden sie
sogar zum Ausgangspunkt der sog. Montagsdemonstrationen, die anfangs fast
ausschließlich eine Angelegenheit dieses Personenkreises waren.
Alles in allem haben die Kirchen in der DDR die
Ausreisebewegung eher befördert als eingeschränkt, dabei mitunter taktiert und
beschwichtigt und vor allem die Genehmigung der Ausreise für viele ehem. DDR-Bürger
durchgesetzt.
Völlig anders die Reaktion der Kirchen gegenüber den
eigenen Mitarbeitern. Einer Vereinbarung der evangelischen Kirchen in beiden
deutschen Staaten zufolge wurden Seelsorger, die Anträge auf Übersiedelung
gestellt hatten, in der BRD nicht als Pfarrer in den kirchlichen Dienst
übernommen. Solche Antrage wurden einerseits durch die DDR-Organe aus
verständlichen Gründen großzügig genehmigt, hätten andererseits aber an der
Substanz der Kirchen in der DDR gezehrt.
Der Seelsorger hatte bei seiner Gemeinde zu bleiben,
für Ärzte galt eine vergleichbare moralische Verpflichtung anscheinend nicht.
11. Kirche und Opposition in der DDR
Die schwersten und am längsten anhaltenden Angriffe
gegen die Kirchen in der DDR kamen und kommen von vermeintlichen oder
tatsächlichen Oppositionellen der ehem. DDR. Sie werfen den Kirchen vor, zu
wenig für sie und zu viel für oder gemeinsam mit dem Staat getan zu haben.
Unter Berücksichtigung der Erfahrungen von 1956 in
Ungarn und 1968 in der CSSR hatte das MfS über viele Jahre Intellektuelle und
Kulturschaffende als mögliches Potential konterrevolutionärer Entwicklungen
angesehen. Zwei Jahre nach der Ausbürgerung BIERMANNs stand aber fest, dass
mögliche innenpolitische Gegner ein Leben in der BRD vielfach dem Widerstand in
der DDR vorzogen.
Das Potential staatsfeindlicher bzw. oppositioneller
Bestrebungen wurde durch Ausreisen aus der DDR immer wieder ausgedünnt.
Ehemalige DDR-Bürger wurden in der BRD nicht zu in ihre alte Heimat
zurückwirkenden Emigranten sondern - von Ausnahmen abgesehen - zu
BRD-Bürgern.
Auch westliche
Geheimdienste kamen zu der Schlussfolgerung, dass die reale Basis für
innenpolitischen Widerstand in der DDR relativ gering und wenn überhaupt nur in
den Kirchen bzw. unter deren Schutz zu finden sei.
Eine organisierte politische Opposition in der DDR
entwickelte sich erst Anfang der 80er Jahre. Es hatte zuvor zwar schon dem
Wesen nach illegale Zusammenschlüsse von Bausoldaten und ehem. Bausoldaten
gegeben, die z.B. jährlich in Leipzig und an anderen Orten sog. Zentraltreffen
organisierten, die sich darum bemühten, durch sog. Alt-Neu-Treffen
künftige Bausoldaten auf ihren Dienst vorzubereiten und in kirchlichen
Gemeinden für die Verweigerung des aktiven Wehrdienstes warben.
Der Kernbereich ihrer Tätigkeit richtete sich aber
nicht auf eine generelle Opposition zur Staatspolitik, sondern auf eine
bestimmte Form des Widerstandes in einem abgrenzbaren Bereich.
Als 1980 sich die ersten pazifistischen Gruppen unter
dem Dach der Kirchen zu organisieren begannen, geschah dies vor dem Hintergrund
der Erfahrungen von Solidarnosc in der VR Polen.
Es handelte sich von Beginn an um einen Versuch zur
Schaffung einer politischen Opposition außerhalb der politischen Strukturen der
DDR und in bewusster Gegenüberstellung zu diesen.
Die fast ausschließlich im kirchlichen Rahmen
agierenden oppositionellen Gruppen wurden von der westlichen Propaganda
regelmäßig in einem Atemzug mit der "Charta 77" in der CSSR und
"Solidarnosc" in der VR Polen genannt und als Ausdruck wachsender
demokratischer Potentiale in den sozialistischen Ländern gewertet.
Das waren sie selbstverständlich bis zu einem gewissen
Grade auch und je größer der Abstand zum Untergang der DDR wird, um so
unverständlicher erscheint, warum es nicht möglich war mit Menschen, von denen
nicht wenige den Fortbestand einer reformierten DDR anstrebten, einen
vernünftigen Konsens zu finden.
Genauso falsch wie die Einschätzung, dass das
Entstehen und Wirken oppositioneller Gruppen in der DDR das Werk äußerer Feinde
gewesen sei sind aber auch die heutigen Propagandaklischees, wonach sich die
BRD in der Zeit des Kalten Krieges als eine Art Förderverein für die DDR
betätigt habe.
Die Anstrengungen der Geheimdienste, verschiedener
Politiker, Kirchenvertreter, Diplomaten und Journalisten, politischer
Gruppierungen und Verbände der BRD waren sehr wohl darauf gerichtet, die
innenpolitische Stabilität der DDR zu untergraben und dazu u.a. auch ihre
Verbindungen zu oppositionellen Kräften in der DDR zu nutzen.
Das dabei vorherrschende strategische Ziel war
keinesfalls nur eine Veränderung oder Reformierung der DDR sondern deren
Liquidierung.
Eine Strategiekonferenz des amerikanischen
Außenministeriums orientierte 1982 ausdrücklich auf die aktive Unterstützung
oppositioneller Kräfte in den sozialistischen Ländern und der amerikanische
Kongress stellte in einem Projekt ''Demokratie" Milliardensummen für
Propagandaaufwendungen und die Unterstützung von oppositionellen Bestrebungen
in den sozialistischen Ländern bereit.
Westliche Geheimdienste waren bestrebt, einen
Zusammenschluss oppositioneller Kräfte über die Grenzen der sozialistischen
Länder hinweg zu organisieren. Diese Bemühungen blieben aber von einzelnen
Treffen und Kontakten abgesehen ohne besondere Ergebnisse und wurden durch die
koordinierte Tätigkeit der Sicherheitsorgane der der sozialistischen Länder
unterbunden.
Es waren zweifelsohne vor allem taktische Manöver, die
die Gruppen bewogen, sich zunächst vornehmlich pazifistischen Themen
zuzuwenden.
Die Staatsorgane der DDR wurden vor die Alternative
gestellt bei einem Vorgehen gegen diese Gruppen ihre Glaubwürdigkeit in ihren
außenpolitischen Anstrengungen um die Sicherung des Friedens und die Vertiefung
der Entspannungspolitik zu verlieren.
Damit soll keine Wertung der Ehrlichkeit
pazifistischer Anschauungen der Mitglieder oppositioneller Gruppierungen
getroffen werden oder über ihr Vorhaben, äußere Entspannung auf innenpolitische
Verhältnisse zu übertragen.
Ein Staat, der auf der Alleinherrschaft einer Partei
basierte, musste jede Bestrebung politische Organisationsformen außerhalb
seines Einflusses zu etablieren als Bedrohung auffassen, als Einstieg in die
Zerstörung des herrschenden Systems.
Die weitere Entwicklung bestätigte auch, dass es um
mehr als um Pazifismus ging. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die
Staatsorgane der DDR das Wirken der oppositionellen Gruppen dulden mussten, kam
es zu einer ständigen Eskalation der inhaltlichen Ausgestaltung, bei der
zunächst das Umweltthema verstärkt aufgegriffen und schließlich die westliche
Menschenrechtsposition ( Überbewertung der persönlichen Freiheitsrechte bei
Negierung der sozialen Rechte ) thematisiert wurde, letzteres aber nur von
einigen wenigen Gruppen.
In organisatorischer Hinsicht erfolgte die regionale
und überregionale Zusammenführung der verschiedenen Gruppen bis hin zur
Veranstaltung DDR-weiter Treffen und der Bildung von Koordinierungsgremien,
wie zu des Fortsetzungsausschusses "Frieden konkret".
Mit der Organisierung verschiedenster Veranstaltungen,
z.B. von "Friedenswerkstätten" und Unterschriftensammlungen zu
Appellen und Aufrufen, erfolgten stets neue Versuche die eigene Basis zu
erweitern und die Öffentlichkeit der DDR zu erreichen.
Gleichzeitig entstand ein Geflecht von Beziehungen zu
politischen Kräften in der BRD, vor allem aus der Partei "Die Grünen'', zu
im Verdacht geheimdienstlicher Steuerung stehenden Einzelpersonen vorwiegend in
Westberlin sowie zu in der DDR tätigen westlichen Diplomaten und
Korrespondenten, die sich über ihre Kontakte zu den kirchlichen Friedens-,
Menschenrechts- oder Umweltgruppen nicht nur Informationen beschafften
sondern auch manche ihrer Storys selbst inszenierten.[14]
Das MfS hatte von Anfang an darauf orientiert, die
oppositionellen Gruppen hauptsächlich mit politischen Mitteln zu bekämpfen, um
die Außenpolitik der DDR nicht zu stören.
Obwohl in Grundsatzreferaten immer wieder gefordert
wurde, die politische Arbeit zu vertiefen und die Massen zu überzeugen, erwies
sich die Führung der SED bis zuletzt als unfähig diesem Anspruch wenigstens
ansatzweise gerecht zu werden und politische Mittel auch tatsächlich
einzusetzen.
Die von Schönfärberei geprägte Medienpolitik entfernte
sich immer mehr von der DDR-Wirklichkeit und war unfähig Diskussionen zu
unangenehmen Themen oder auch nur zu herangereiften Problemen zu führen. Viele
Funktionäre von Partei und Staat wichen Gesprächen mit den Bürgern aus oder
beschränkten sich darauf diese zu belehren.
Das MfS offenbarte auch und gerade in diesem
Spannungsfeld seine schizophrene Situation.
Zum einen folgte es seinem Auftrag als "Schild
und Schwert der Partei" die oppositionellen Gruppen in ihrer Wirksamkeit
einzuschränken. Andererseits wurde gerade im MfS sehr bald klar, dass die
Auffassung auf Dauer nicht aufrechterhalten werden konnte, wonach man keinen
Dialog mit den Gruppen führen könne, weil das zu deren gesellschaftlichen
Aufwertung, zur faktischen gesellschaftlichen Anerkennung führen würde.[15]
Aber auch als diese Auffassung teilweise, bei
Fortbestehen gegensätzlicher Positionen in dieser Frage im MfS, korrigiert
wurde und den Bezirks- und Kreisleitungen der SED namentliche Listen von
Mitgliedern dieser Gruppen zur Führung von Gesprächen übergeben wurden, kam
kein Dialog zustande.
Das MfS war stets bemüht in differenzierter Weise mit
den oppositionellen Gruppen und ihren Mitgliedern umzugehen. So wurden z.B.
immer wieder neue Vorschläge unterbreitet und z.T. auch realisiert, die
kirchlichen Umweltgruppen in staatliche Umweltaktivitäten einzubeziehen,
ihrem Wirken einen konstruktiven Charakter zu verleihen.
Einladungen zu gemeinsamen Baumpflanzaktionen mit
Kräften der Nationalen Front, die Einbeziehung kirchlicher Kreise in sog.
Landschaftstage und zuletzt selbst die Ermöglichung von Vorsprachen von
Vertretern sog. Umweltgruppen beim Umweltministerium der DDR erfolgten z.B. auf
Initiative des MfS.
Das MfS bemühte sich, Gespräche von Vertretern des
Staatsapparates und der SED mit kirchlichen Amtsträgern und unter Führung der
SED den Einsatz gesellschaftlicher Kräfte, wie Wissenschaftler, Studenten,
Mitglieder der CDU, des DFD u.a. in kirchlichen Veranstaltungen zu
organisieren, oft nur mit mäßigem Erfolg, aber bei durchaus vorhandener
Lernfähigkeit.
Das MfS analysierte die Ursachen und Probleme der
Organisierung homosexueller Personenkreise in kirchlichen Gruppen und
kam zu dem Schluss, dass hierbei nicht vordergründig Opposition zum
sozialistischen Staat sondern nachvollziehbare Interessenlagen maßgebend waren.
Auf seine Initiative hin wurden deutliche Verbesserungen der Lage Homosexueller
in der DDR durchgesetzt, wie die Ermöglichung von Kontaktanzeigen in Zeitungen,
der Ehrung homosexueller Opfer der Nazi-Barbarei, der Zulassung von
Veranstaltungen
u.a.m. bis hin zur Aufhebung des § 151 des StGB der DDR, der Homosexuelle in
gleicher Weise diskriminierte wie der gültige § 175 des Strafgesetzbuches der
BRD.
Dennoch konnte das
MfS die fehlende Bereitschaft der SED-Führung, politisch auf Opposition
und Kritik zu reagieren, nicht ausgleichen. Es wurde immer wieder beauftragt
administrative Mittel und Methoden anzuwenden, vor allem dann, wenn oppositionelle
Kräfte über den Rahmen der Kirchen hinaus die Öffentlichkeit erreichen wollten.
Es sollte jedoch erwähnt werden, dass in den 80er
Jahren in der DDR kein einziger politischer Prozess gegen Oppositionelle geführt
wurde und diese - wenn überhaupt - nur in Ausnahmefällen festgenommen
bzw. nur kurzzeitig inhaftiert wurden.
Der Tatbestand der staatsfeindlichen Gruppenbildung
bzw. des verfassungsfeindlichen Zusammenschlusses wurde in der DDR überhaupt
nicht als selbständiger Tatbestand angewandt, der Tatbestand der
staatsfeindlichen Hetze in den letzten 4-5 Jahren der Existenz der DDR
nur noch in seltenen Fällen.[16]
Den oppositionellen Gruppen gehörten nach
Einschätzungen des MfS nie mehr als 2000, nach Einschätzungen der Kirche 3000
Personen an mit einem aktiven Kern von ca. 100 Personen. Das MfS hatte diese
Gruppen soweit unter Kontrolle, dass von ihnen keine überraschenden Aktionen
ausgehen konnten. Sie hatten kein politisches Programm, welches die
Bedürfnisse und Interessen der Mehrheit der Bevölkerung widerspiegelte und
keine politische Integrationsfigur .
Dennoch bildete das Wirken der oppositionellen Gruppen
in den evangelischen Kirchen über ein Jahrzehnt hinweg den Gegenstand härtester
Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche. In praktisch allen Gesprächen
mit kirchlichen Amtsträgern wurde die Disziplinierung dieser Gruppen gefordert
und in allen diesen Gesprächen stellten sich die Kirchenvertreter vor diese
Gruppen, wiegelten ab, gingen auf kleinere Kompromisse ein, mit denen sie die
Lebensfähigkeit und eine ständige Erweiterung des Handlungsrahmens der Gruppen
absicherten, ohne deren Wirken jemals zur Disposition zu stellen.
So bildete z.B. das Auftreten von Pfarrer EPPELMANN
einen ständigen Stein des Anstoßes. Pfarrer EPPELMANN hatte nicht nur durch
die von ihm organisierten Bluesmessen mit z.T. bis zu 2000 Teilnehmern auf sich
aufmerksam gemacht sondern auch mit erhobener Faust am Grabe von Robert
HAVEMANN gestanden. 1982 trat er mit einem "Berliner Appell" hervor,
in dem praktisch die einseitige Entmilitarisierung der DDR gefordert wurde.
Unter diesen Appell wurden dann auch einige hundert Unterschriften gesammelt.
Trotzdem gelang es ihm nicht als Führer der Opposition in der DDR anerkannt zu
werden. Bei der Wahl in ein Koordinierungsgremium ("Frieden
konkret") fiel er mit insgesamt nur 8 Stimmen durch.
Er war jedoch einer
der wenigen in der Opposition in der DDR, der entgegen der auf die Politik der
"Grünen" in der BRD fixierten Mehrheit, CDU-nahe Positionen
vertrat und wurde deshalb mangels profilierterer Vertreter von CDU-Parlamentariern
der BRD, amerikanischen Senatoren und bei Reisen in die BRD auch von der CDU-Spitze
hofiert. In den USA war er nach Einschätzung von Staatssekretär GYSI bekannter
als mancher Bischof der DDR, von seinen Kontakten zur Residentur des
amerikanischen Geheimdienstes CIA in der amerikanischen Botschaft in der DDR
einmal ganz abgesehen.
Es gab für das MfS genügend Anlässe bei der
Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg wegen
Aktivitäten EPPELMANNs zu intervenieren, manchmal auch erfolgreich, z.B. als
dieser bei seinen Bluesmessen einen Auftritt einer nazistisch orientierten Punk-Band
organisiert hatte.
Für das MfS erfüllte Pfarrer EPPELMANN die Rolle eines
Fliegenfängers. Obwohl als Führungspersönlichkeit ungeeignet und deshalb
weniger gefährlich zog er eine Vielzahl von Kontakten auf sich und führte
zahlreiche politische Gespräche, die durch die vom MfS eingeleiteten
Kontrollmaßnahmen fast lückenlos bekannt wurden. Wo das MfS nicht dabei war,
veranlasste die persönliche Eitelkeit EPPELMANNs diesen, den Inhalt bestimmter
Gespräche an Orten oder gegenüber Personen weiterzugeben, die sie dann dem MfS
zugänglich machten. So machte das MfS aus der Not eine Tugend. Da man
EPPELLMANN gewähren lassen musste, war man schließlich froh, dass an seiner
Stelle niemand agierte, der größeren Schaden hätte anrichten können.
Zu einer konfrontativen Situation kam es, als
Mitglieder kirchlicher Friedenskreise das Symbol "Schwerter zu
Pflugscharen", welches seit 1981 auch für die jährlichen
Friedensdekaden der Evangelischen Kirchen verwandt worden war, für sich
reklamierten und in der Öffentlichkeit mit entsprechenden Aufnähern auftraten.
Die zur politischen Auseinandersetzung unfähige Parteiführung entschied
dagegen administrativ vorzugehen und sowohl die Volkspolizei als auch
Volksbildung und Berufsausbildung einzusetzen.
Im MfS hatte es in diesem Zusammenhang auch andere
Vorschläge gegeben, z.B. FDJler mit dem gleichen Symbol auszustatten oder das
Tragen der Symbole auf den kirchlichen Raum zu begrenzen. Die Hardliner
gewannen und nach ca. 6 Wochen waren nur noch einzelne Personen übrig,
die das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen" in der Öffentlichkeit
trugen, wie der Schweriner Bischof RATHKE, Bischof FORCK in Berlin oder die
Tochter des Pfarrers von Grünheide MEINL.
Die Staatsmacht hatte zwar ihr Gesicht verloren aber
nach der Disziplinierung von ca. 700 Personen sich durchgesetzt. Dieses
Verfahren von 1983 wurde später wiederholt, als Antragsteller auf Übersiedelung
mit weißen Schleifen an ihren Autoantennen ihr Zusammengehörigkeitsgefühl
demonstrieren wollten. Auch diesmal handelte es sich um eine Machtprobe, die am
Wesen des Problems vorbeiging.
Obwohl der Staat seine Macht gezeigt und schon allein
dadurch Wirkung erzielt hatte, standen leitende Vertreter der Evangelischen
Kirchen in der DDR weiter schützend vor den kirchlichen Gruppen und weigerten
sich hartnäckig und erfolgreich zugleich, den zum gleichen Zeitpunkt laufenden
Aktivitäten eines überregionalen, DDR-weiten Zusammenschlusses das
schützende Dach der Kirchen zu entziehen.
Wenn später ein
einheitliches, koordinierten Auftreten der kirchlichen Gruppen dennoch nur in
engen Grenzen erreicht wurde, so ist das einerseits auf die Einflussnahme des
MfS, andererseits aber auch auf die Profilierungssucht der jeweils aktivsten
Gruppenmitglieder zurückzuführen, die mit einer chaotischen Basisdemokratie am
besten bedient wurde.
In diesen Auseinandersetzungen zeigte sich, in welchem
Maße die Kirchen seitens des Staates wegen ihres gewachsenen gesellschaftlichen
Einflusses respektiert werden mussten, wie es unmöglich geworden war, ihre
Haltung zu ignorieren. In genau diesen Grenzen konnten die Kirchen die Gruppen
schützen, Grenzen, die stets neu verteidigt und erweitert wurden, die das
Machbare ausdrückten im Gegensatz zu manchen sich wild gebärdenden Vertretern
der Gruppen und Mitarbeitern der Kirchen.
Mitunter geriet die kirchliche Hierarchie selbst in
die Schusslinie der unter ihrem Schutz agierenden Gruppen. Die Bewegung "Kirche
von unten" oder die Arbeitskreise "Solidarische Kirche'' übten
offene Kritik an den konservativen kirchlichen Strukturen. Dadurch sahen sich
kirchliche Stellen im eigenen Interesse genötigt gegenzusteuern, während sich
das MfS zurückhielt.
Von Chaos und Anarchie geprägte Auftritte, wie
anlässlich des "Kirchentages von unten" 1987 erwiesen sich nicht nur
als Angriffe gegen kirchliche Strukturen sondern stießen stets auch auf das
Unverständnis der Mehrheit der mit der Kirche verbundenen Christen. Manche
Stände oppositioneller Gruppen z.B. anlässlich von Kirchentagen schadeten der
Kirche mehr als dem Staat. Es ist deshalb eine mehr als schiefe Optik, das
Handeln der allen Kirchenmitgliedern verpflichteten Kirchenleitungen nur danach
zu beurteilen, wie es sich die Vertreter der Gruppen gern gewünscht hätten.
Hätten die Kirchen in ihrem Rahmen alles zugelassen
oder unterstützt, hätten sie ihre Kompromissfähigkeit eingebüßt und einen
Kirchenkampf riskiert, der sie nicht nur in einen Konflikt mit ihren
Mitgliedern gebracht, sondern vor allem auch ihre Schutzfunktion für die
Gruppen infrage gestellt hätte.
Als 1986 Vertreter der unter kirchlichem Schutz
wirkenden "Initiative für Frieden und Menschenrechte" eine
Sympathieerklärung für die ungarische Konterrevolution von 1956
veröffentlichten, wurde die Ohnmacht und politische Konzeptionslosigkeit der
DDR-Führung offenkundig. Entgegen den eigenen Gesetzen erfolgte keine
politische oder rechtliche Reaktion, wohl auch in der Erkenntnis, dass die
ungarischen Genossen auf dem besten Wege waren, ihre Geschichte neu zu schreiben
. Die Weichen für den endgültigen Niedergang der Staatsmacht der DDR waren
damit gestellt.
Der Staatsbesuch Erich HONECKERs in der BRD 1987
vergrößerte die politischen Zwänge zur Duldung oppositioneller Aktivitäten. So
erschien in diesem Jahre als erste illegale Publikation der oppositionellen
Gruppen der periodisch erscheinende "Grenzfall", der schon vom
Titel her provozieren sollte und ungeniert Materialien antisozialistischer
Gruppierungen in anderen sozialistischen Ländern propagierte.
Obwohl es das Beste gewesen wäre, sich mit dem Inhalt dieser Publikation öffentlich auseinander zu setzen, war ein solches Vorgehen unter den Verhältnissen der DDR, die z.B. eine polemische Diskussion selbst in Parteiversammlungen der SED so gut wie ausschlossen und sich später sogar noch bis zum Verbot der sowjetischen Zeitschrift "Sputnik" steigerten, nicht möglich.
Vorschläge des MfS, gegen den
"Grenzfall" mit den Mitteln des Ordnungsrechts vorzugehen -
immerhin erschien er gesetzwidrig ohne Druckgenehmigung - wurden im
Vorfeld des BRD-Besuches von Erich HONECKER aus politischen Erwägungen,
die den Grad der Abhängigkeit und Erpressbarkeit der DDR ausdrückten, nicht
bestätigt. Über die Anwendung des Rechts in politischen Sachen entschied
allein Erich HONECKER nach subjektivem Ermessen. Das führte nicht zur
Rechtlosigkeit der Bürger der DDR wohl aber zur Aushebelung des Rechtssystems.
Während des BRD-Besuches des
Staatsratsvorsitzenden der DDR wurde die Spirale der Erpressung neuer Freiräume
für die Opposition der DDR weiter angezogen. Die eigenständige Teilnahme
kirchlicher Gruppen am Olof-Palme-Friedensmarsch von
Stralsund bis Dresden und darüber hinaus in die CSSR mit eigenen pazifistischen
und nach damaligen Verständnis staatsfeindlichen Losungen und Transparenten
bildete ein Novum in der DDR-Geschichte.
In Berlin musste die Staatsnacht zähneknirschend sogar
eine selbständige pazifistische Demonstration mit mehreren hundert Teilnehmern
zulassen. Der Staat konnte und die Kirche wollte nicht eingreifen.
Die Opposition hatte sich auf diese Weise ein
erhebliches Stück Öffentlichkeit erkämpft und eine Grenze überschritten, die
durch das MfS und die anderen Staatsorgane jahrelang verteidigt worden war. Die
Maxime, das Wirken oppositioneller Gruppen auf den kirchlichen Bereich zu
begrenzen wurde erstmalig wirkungsvoll außer Kraft gesetzt.
12. Der Weg in den Untergang der DDR
Der Verlauf des Olof-Palme-Friedensmarsches
zeigte die ganze Schwäche des politischen Systems der DDR. Die vorherrschende
Reaktion von staatsverbundenen Bürgern auf die für sie ungewohnten Losungen war
der Ruf nach der Polizei und das Unverständnis warum diese nicht eingriff. Nur
einige wenige Genossen der SED fertigten spontan Losungen an, wie
"Wehrdienst ist auch Friedensdienst" oder suchten das offensive
politische Gespräch mit den kirchlichen Teilnehmern. Die meisten waren
überhaupt nicht gewohnt, sich mit anderen Argumenten sachlich auseinander zu
setzen, hatten sich angewöhnt in Phrasen zu reden oder waren
gänzlich uninformiert. Die größten demokratischen Defizite bestanden
innerhalb der SED selbst, die ihre Mitglieder durch Parteidisziplin
gleichgeschaltet
und mehr als alle anderen Bürger entmündigt hatte.
Die SED-Führung erwies sich als unfähig, die
entstandene Lage zu analysieren und auf dem Weg der Demokratisierung eine
innenpolitische
Stabilisierung herbeizuführen.
Andererseits hatte der Verlauf des Olof-Palme-Friedensmarsches
auch Hoffnungen begründet, vor allem bei jenen, die die Probleme der DDR-Gesellschaft
sahen, aber trotz all dieser Probleme an eine Perspektive der sozialistischen
Ideen glaubten.
Durch diesen Marsch, den BRD-Besuch
Erich HONECKERs, das Ideologie-Papier SPD-SED und nicht zuletzt
durch den damaligen Kurs GORBATSCHOWs war Bewegung in das erstarrte System
gekommen, die aber nicht zu einem erhofften Kurswechsel sondern dazu führte,
dass die erschreckte Führung versuchte, diese Entwicklung rückgängig zu machen
und das infolge des Fehlens anderer Möglichkeiten vor allem mit Hilfe des MfS.
Nach dem HONECKER-Besuch in der BRD versuchten
Partei, MfS und die anderen Staatsorgane weitere öffentliche Demonstrationen
oppositioneller Gruppen zu verhindern, wozu - wenn auch insgesamt nur
schüchtern und inkonsequent - vor allem die Mittel des Ordnungsrechtes,
aber auch kurzzeitige Inhaftierungen, zeitweilige Blockierungen und Hausarrest
für einzelne Personen eingesetzt wurden.
Es gelang auch zunächst öffentliche Demonstrationen
weitgehend zu unterbinden bzw. bereits im Anfangsstadium aufzulösen. Das führte
aber zu einem wachsenden Stau von Aggressionen auf Seiten der Zugeführten wie
auch der Sicherheitskräfte aus den Reihen von VP und MfS.
Verliefen die ersten Auflösungen von Ansammlungen noch
völlig gewaltfrei, so wurden später schon Zuführungsbusse demoliert und
emotionsgeladene staatsfeindliche Parolen skandiert.
Die weiteren Entscheidungen der Parteiführung wurden
von Angst und Unfähigkeit diktiert. Das MfS musste als Vollstrecker dieser
Politik wieder einmal herhalten und härtere Maßnahmen einsetzen. Ausdruck
hierfür waren empfindliche Ordnungsstrafen und der Rückgriff auf
strafrechtliche Maßnahmen, speziell aus dem Tatbestand der Zusammenrottung, der
in seiner ursprünglichen Diktion zur Unterbindung rowdyhafter Ausschreitungen,
also nicht als politischer Tatbestand geschaffen worden war.
Diese verfehlten jedoch ihre Wirkung und anstelle der
erhofften Abschreckung trat eine Eskalation des Widerstandes. Den
Sicherheitskräften
standen nicht mehr isolierte Gruppen gegenüber, nicht mehr nur die zu allen
Provokationen bereiten Antragsteller auf Übersiedelung (Ausreißer) sondern auch
von der DDR-Politik enttäuschte DDR-Bürger, die ihren Gehorsam
gegenüber der Staatsmacht abgestreift und alle Hoffnungen auf eine positive
Entwicklung in der DDR aufgegeben hatten (Protestler) inklusive Vertretern der
Opposition.
Der Damm war schließlich gebrochen, als die
Sicherheitskräfte aufgaben und nicht mehr eingriffen, als sie in nüchterner
Einschätzung der realen Lage die Gewaltfreiheit der nachfolgenden Veränderungen
zuließen.
Es ist und bleibt das Verdienst der Kirchen in dieser
sich anbahnenden und entfaltenden Krisensituation Verhandlungspartner des
Staates geblieben zu sein und damit entscheidend zur Berechenbarkeit des
Staates wie auch der auf Veränderung drängenden Kräfte beigetragen zu haben,
was Deutschland vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen bewahrt hat.[17]
Doch zurück zum historischen Verlauf. Im November 1987
war es dann soweit, dass eine "zentrale Entscheidung" zu Maßnahmen
gegen die Publikation "Grenzfall" erging, mit der allerdings der vom
MfS vorgesehene Ablauf ignoriert wurde.[18]
Ein erster Versuch die Herstellung des
"Grenzfall" durch ordnungsrechtliche Maßnahmen zu unterbinden schlug
fehl.
Als Pfarrer SIMON von der Zionskirchgemeinde den
staatlichen Vertretern Zugang zur "Umweltbibliothek" gewährte,
war er sicher, dass diese zuvor geordnet geräumt worden war.
Der zweite Versuch erfolgte unter Teilnahme eines
Staatsanwaltes und war ein erneuter Fehlschlag. Die auf frischer Tat gestellten
Personen waren gerade dabei die "Umweltblätter" zu vervielfältigen,
der "Grenzfall" sollte anschließend dran kommen. Eine Serie von
Niederlagen war damit vorprogrammiert. Diese begannen damit, dass der Staatsanwalt
die ebenfalls illegal hergestellten "Umweltblätter" nicht
beanstandete und damit de facto legalisierte, wie auch die Ausstattung der
"Umweltbibliothek" mit Büchern und Schriften, die an den Grenzen der
DDR zur damaligen Zeit von den Zollorganen regelmäßig eingezogen wurden.
Die für mehrere Tage erfolgte Inhaftierung der
Beteiligten konnte mangels überzeugender Beweise und im Ergebnis interner
Auseinandersetzungen im MfS nicht aufrechterhalten werden, ihre Freilassung
wurde zum Triumph der Vertreter der Gruppen, die sich noch in der Nacht der
Festnahme als Mahnwache in der Zionskirche festgesetzt hatten und den
westlichen Medien ein einmaliges Spektakel lieferten.
Kirchenleitende Personen versuchten in dieser
Situation zu vermitteln und begrenzten auf diese Weise die staatlichen
Reaktionen, verhinderten aber auch
Handlungen der Gruppen, die zu unkalkulierbaren Risiken geführt hätten.
Die Vorgänge um die Zionskirche hätten als Lehre
genügen sollen, aber die von Subjektivismus geprägte fehlerhafte Politik der
SED-Führung wurde fortgesetzt.
Antragsteller auf Übersiedelung hatten den Plan
gefasst, die alljährliche Demonstration zu Ehren von Karl Liebknecht und
Rosa Luxemburg im Januar 1988 für ihre Zwecke zu missbrauchen. Das
Luxemburg-Zitat von der Freiheit der Andersdenkenden musste herhalten, um
deren Träger beim Staat so unbeliebt zu machen, dass die Ausreise endlich
genehmigt wird.
Obwohl bereits im Vorfeld zahlreiche Anträge genehmigt
und eine Anzahl potentieller Demonstrierer unter Kontrolle gestellt worden war,
erfolgten noch ca. 65 Festnahmen aus der Demonstration heraus, davon ca. 60
Antragsteller und etwa 5 Personen aus der Opposition, darunter Vera
WOLLENBERGER und Stefan KRAWCZIK.
Die oppositionellen Gruppen hatten zuvor mehrheitlich
gemeinsame Aktionen mit den Antragstellern abgelehnt.[19]
Vorschläge aus den Reihen des MfS, vor der
Demonstration durch eine Pressekonferenz in die Offensive zu gehen, waren
missachtet worden. Stattdessen wurden Pläne geschmiedet, zur strafrechtlichen
Abrechnung mit den führenden Köpfen der Opposition überzugehen. Besonnene
Kräfte innerhalb des MfS versuchten erfolglos das voraussehbare Fiasko deutlich
zu machen, die beiden Erichs blieben bei ihrem Entschluss und scheiterten nach
14 Tagen.
Dafür waren weniger die Fürbittgottesdienste mit
Teilnehmerzahlen von bis zu 1000 Personen ausschlaggebend sondern vor allem die
internationalen Reaktionen. Erich HONECKER wollte schließlich auch weiter als
großer Staatsmann in die Welt reisen und hätte sich zu gern auch in den USA
empfangen lassen.
An den nun
erforderlichen Kompromiss wirkten kirchliche Stellen maßgeblich mit. So kam es
zu der wundersamen Umwandlung von Strafandrohungen von 10 Jahren in
Studienreisen in das westliche Ausland, ein weiteres Eingeständnis, dass
Gesetze der DDR durch politische Entscheidungen negiert werden konnten.
Heute wird den Kirchen ihre Mitwirkung an dem
damaligen Kompromiss zum Vorwurf gemacht. Das ist ungerecht. Obwohl der
Destabilisierungseffekt bereits eingetreten war, galt es mehr zu bedenken als
nur das Schicksal von Bärbel BOHLEY, die bei diesem Kuhhandel im übrigen gut
weggekommen ist. Die maßgeblichen Verhandlungsführer der Evangelischen Kirchen
hatten ihre Stellung gegenüber der Parteiführung der SED weiter aufwerten
können, was für die weitere Zukunft nicht unwichtig war.
Noch war es zu früh, gesellschaftliche Veränderungen in
der DDR rigoros einzufordern, aber strategische Denker in den Kirchen stellten
bereits vorsichtig die Weichen und gingen wohl auch davon aus, dass ihre Zeit
jetzt gekommen sei.
Symptomatisch hierfür waren die Ökumenischen
Versammlungen von Christen und Kirchen in der DDR für Gerechtigkeit, Frieden
und die Bewahrung der Schöpfung in Dresden und Magdeburg.
Das unterentwickelte konzeptionelle und
programmatische Potential der oppositionellen Gruppen wurde durch Vordenker aus
den Reihen der Kirchen aufgestockt und es entstanden Dokumente, die ein
alternatives Gesellschaftsprogramm enthielten, dass sich bewusst am Reformkurs
der UdSSR orientierte und - gerade weil es Probleme enthielt, denen sich
eigentlich die SED hätte stellen müssen - deren Unfähigkeit zur Führung der
Gesellschaft entlarvte.
Schon 1987 hatte Konsitorialpräsident STOLPE an der
Universität Greifswald erklärt, die SED möge sich gefälligst der von ihr
beanspruchten geistigen Führung widmen und ihre Führung nicht nur durch die
Besetzung von Posten unter Beweis stellen.
Mit den Ökumenischen Versammlungen der Jahre 1988 und
1989 wurde nicht nur ein geistiges Bündnis der Kirche mit der Opposition
geschlossen, es wurde zugleich versucht auch auf andere Religionsgemeinschaften,
insbesondere die katholische Kirche auszustrahlen.
Natürlich handelte es sich um vorsichtige Vorstöße,
aber sie wiesen eine Richtung, waren als Vorlauf für künftige Entwicklungen
angelegt, von deren Dynamik und Rigorosität später nicht nur die Kirchen
überrascht werden sollten.
Die letzte große Dummheit der DDR-Führung ist
als Fälschung der Ergebnisse der Wahlen vom Mai 1989 in die Geschichte
eingegangen. Obwohl das MfS spätestens im Februar 1989 darüber informiert
hatte, dass in einem breiten Umfang mit der Kontrolle der Wahlen über die
Teilnahme an den öffentlichen Stimmauszählungen und deren Auswertung seitens
oppositioneller Gruppen gerechnet werden müsse, konnte die SED-Führung in
ihrer Borniertheit und Ignoranz nicht auf den Anspruch verzichten, dass auch
diese Wahlen - wie alle anderen zuvor - Ausdruck des gewachsenen
Vertrauens in die Politik der SED sein sollten.
Dabei hatte sie noch nicht einmal wahrgenommen, wie es in den eigenen Reihen bereits gärte, wie sie durch das Sputnik-Verbot viele SED‑Mitglieder vor den Kopf gestoßen hatte und dass der eingeleitete Kampf gegen Nörgler und Meckerer sich als Bumerang erwies.
Vor allem aber zeigte sich die SED-Führung
unfähig, die Realitäten im Lande, vor allem die wirtschaftliche Misere, die
Auswirkungen einer verfehlten Informationspolitik und die Reisewünsche der
Bevölkerung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, von der Suche nach Lösungswegen
ganz zu schweigen.
Die Kontrolle der Wahlergebnisse wurde nur durch die
aktive Mitarbeit zahlreicher kirchlicher Amtsträger und von Mitgliedern aus
kirchlichen Gemeinden möglich. Das Potential der Opposition hätte dazu nicht
ausgereicht.[20]
Es war wieder das MfS, dass die von der SED
verschuldete Pleite bereinigen sollte. Doch das spielte beim Übergang zum
allgemeinen Zusammenbruch der DDR schon nur noch eine untergeordnete Rolle. Die
jeweils zum 7. des Monates in Erinnerung an den Wahlbetrug stattfindenden
Demonstrationen eskalierten schließlich von Juni bis Oktober und besiegelten
den Untergang der DDR zum 40. Jahrestag ihres Bestehens ebenso wie die
Leipziger Montagsdemonstrationen u.a.m.
13. Die Kirchen unmittelbar nach der Wende
Die Kirchen in der DDR erwiesen sich auch nach dem
Sturz der politischen Machtverhältnisse in der DDR auf der Höhe ihrer Aufgaben.
Kirchliche Amtsträger waren die entscheidenden Organisatoren immer wieder
neuer Demonstrationen bis in die kleinsten Orte der DDR, mit denen der
politisch destabile Zustand solange erhalten wurde, bis sich die Sowjetunion im
Dezember 1989 endgültig von der DDR losgesagt hatte.
Die Kirchen stellten die Moderatoren des Runden
Tisches, dessen Hauptziel erreicht war mit der Unumkehrbarkeit freier und
geheimer Wahlen in der DDR.
Die Kirchen bestätigten sich als Kaderschmiede für die
neuen politischen Parteien und später für die Übernahme der Staatsmacht in der
DDR, sie verhandelten noch mit dem Staat DDR während sie auf erprobten Kanälen
bereits ihre neue Rolle sondierten. Sie waren bei der Überwindung der
gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR weitaus wichtiger und erfolgreicher als
die sog. Opposition, die ohne sie überhaupt nicht lebensfähig gewesen wäre.[21]
Die Kirchen in der DDR sind aus 40 Jahren Kampf und Anpassung, Widerstand und Loyalität, Konfrontation und Kooperation, Einmischung und Abstinenz in politischen Fragen durch ein überwiegend kluges Taktieren gestärkt hervorgegangen, haben ihren Platz in der Gesellschaft behauptet und waren der wichtigste innenpolitische Faktor auf dem Weg zurück in das vereinte kapitalistische Deutschland.
Die Verfasser treffen diese Feststellung, obwohl sie
auch wissen, dass nicht alle kirchlichen Mitarbeiter bzw. Mitglieder
christlicher
Gemeinden die heutige Entwicklung gewünscht haben und die jetzige Ordnung auch
nicht als Gipfel der menschlichen Vernunft betrachten. Die Differenziertheit
der politischen Auffassungen in den Kirchen wird bleiben ebenso wie der Umgang
mit ihnen innerhalb der Kirchen, der immer auch Maßstäbe für die Gesellschaft
setzt.
a ) Die Maßnahmen und Reaktionen des MfS gegenüber den
Kirchen sind nur in ihren inneren Zusammenhängen mit den konkreten historischen
Umständen, den innen- und außen-, vor allem aber
deutschlandpolitischen Bedingungen, den Wirkungen des Kalten Krieges und dem
Verhalten der Kirchen selbst zu verstehen. Sie erfolgten niemals losgelöst von
den politischen Vorgaben der Partei- und Staatsführung und waren in allen
wesentlichen Punkten von dieser angewiesen bzw. bestätigt.
Seitens des MfS war eine ständige und enge
Zusammenarbeit mit den Organen der SED und dem Staatsapparat gewährleistet.
b) Für die Tätigkeit des MfS im kirchlichen Bereich
standen nicht Verfolgung oder Repression im Vordergrund, sondern die möglichst
vorausschauende Bewältigung politisch relevanter Konflikte und die Ausschaltung
eines allerdings sehr eng gefassten politischen Missbrauchs der Kirchen.
c) Die Möglichkeiten des MfS in den Kirchen wuchsen
mit der Annahme der Herausforderung einer sozialistischen Alternative durch
kirchliche Mitarbeiter und Christen, die inoffiziellen Mitarbeiter des MfS
wurden überwiegend auf der Basis politischer Überzeugungen gewonnen.
d ) Die Aufarbeitung der Geschichte der DDR gestaltet
sich gegenwärtig nicht nur wegen des noch unzureichenden historischen Abstandes
schwierig und unbefriedigend, sie leidet auch unter neuen, einer
Siegermentalität oder Opportunismus geschuldeten Verdrängungsmechanismen und
den nicht möglichen fairen Vergleich mit den Handlungen der anderen Seite der
Systemauseinandersetzung .
e) Die Kirchen in der DDR waren zu keinem Zeitpunkt
"Stasi-Kirchen". Das MfS konnte politische Ziele nur in Sinne einer
Politik als Kunst des Möglichen durchsetzen oder befördern, Kompromisse
vorbereiten und durchsetzen helfen, bei denen die Kirchen souveräner Partner
blieben.
Die heuchlerisch geführte "Stasi-Debatte"
ist ihrem Wesen nach auf die Vernichtung aller Ideen und Ausschaltung aller
Personen gerichtet, die einstmals in sozialistischen Idealen Optionen für die
Kirchen gesehen haben, sie ist vulgärer Antikommunismus in neuem Gewand.
f) Die Rolle der Opposition in der DDR wird
gegenwärtig überbewertet. Nur kurze Zeit vor und nach der Wende stellte die
Opposition eine ernstzunehmende politische Kraft dar, was nicht Ergebnis ihres
Wirkens sondern einer zeitweiligen Suche vieler Bürger nach neuen
Orientierungen war. Weder vor noch nach der Wende konnte die Opposition durch
politische Programmatik überzeugen, war in sich zerrissen, wurde und wird
politisch missbraucht.
[1] Dem Ergebnis einer Volkszählung von 1964 zufolge gab es zum damaligen Zeitpunkt in der DDR ca. 12 Millionen Christen und ca. 5 Millionen Atheisten. Nach optimistischen Schätzungen wurden in der DDR 1989 noch ca. 6 Millionen Mitglieder der Evangelischen Kirchen und etwas mehr als eine Million Katholiken gezählt. Nur ein Bruchteil davon hatte eine enge kirchliche Bindung, prozentual mehr Katholiken als Mitglieder der evangelischen Gemeinden, bei einem deutlichen Übergewicht der über 50-Jährigen. Im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" Nr. 14/93 vom 05.04.1993, werden in einen Artikel auf Seite 80 für die katholischen Kirchen in der DDR 920.000 und für die evangelischen Kirchen in der DDR 4 Millionen Mitglieder angegeben.
[2] In den 80er Jahren erreichten die Zuwendungen der westdeutschen Kirchen für die Kirchen in der DDR (inkl. Aufwendungen für Restaurierung und Neubau von Kirchen ) jährliche Größenordnungen zwischen 40 und 100 Millionen DM.
[3]
"Wo sollten sie denn sonst ausgebildet werden?" wurden die Verfasser
gefragt. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass die Ausbildung auf der anderen
Seite des durch den Kalten Krieg gezogenen "eisernen Vorhanges"
erfolgte.
[4]
Die HA XX/4 wurde von 1958 - 1970 durch Oberst Hans LUDWIG geleitet, der
danach als Stellvertreter des Leiters der HA XX weiter für deren Anleitung
zuständig war. Er schied Anfang der 80er Jahre aus dem aktiven Dienst aus.
Seine Nachfolger als Abteilungsleiter waren Oberstleutnant Franz SGRAJA und
Oberst Joachim WIEGAND.
[5]
"Ihr wolltet doch ein sozialistischer Geheimdienst sein, worin habt Ihr
Euch dann von anderen Geheindiensten unterschieden ?" wurden die
Verfasser gefragt.
Eine umfassende Antwort dazu wäre ein Beitrag für sich. Nach
Ansicht der Verfasser bestehen punktuelle Unterschiede zu Methoden mancher
westlicher Geheimdienste.
So wurden durch das MfS keine ''agents provocateurs"
eingesetzt, die z. B. bei linksautonomen Demonstrationen als erste Steine
werfen oder andere dazu auf putschen, um der Polizei Vorwände für ein
Eingreifen zu liefern.
Inoffiziellen Mitarbeitern des MfS war es generell untersagt,
Straftaten zu provozieren. Eine im Interesse der Wahrung ihrer Konspiration
notwendige Teilnahme an kleineren Straftaten (die verdeckten Ermittler lassen
grüßen) war bis zuletzt nicht eindeutig entschieden.
Zur Erreichung von Geständnissen wurde seitens des MfS auf inhumane Mittel, wie Folter, Einsatz von Lügendetektoren oder Wahrheitsdrogen verzichtet. Entsprechende Diffamierungskampagnen entbehren der Grundlage oder betreffen Übergriffe einzelner Personen, die auch zu DDR-Zeiten unter Strafe standen.
Der Hauptunterschied zu westlichen Geheimdiensten bestand nach Ansicht der Verfasser jedoch in den mit dem Einsatz geheimdienstlicher Mittel anvisierten Zielen und den davon bestimmten Motiven und Idealen der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter, d.h. dem Kampf für eine antifaschistische, friedliche, humane und sozial gerechte Welt.
[6] Der Bericht über die Kontaktanbahnung zu Herrn GAUCK, der in dem Vorschlag gipfelt, einen IM-Vorlauf anzulegen, ist u.a. 1991 in der Zeitung ''Die 'Welt" abgedruckt worden.
[7] In der Sendung des NDR 1, Radio MV "Forum" am 12.05.1993, 18.00 - 19.00 Uhr äußerte sich der Leiter des Verfassungsschutzes von Mecklenburg-Vorpommern Volkmar SEIDEL zu seiner Behörde.
Danach bezieht der Verfassungsschutz 60% seiner Informationen aus der Auswertung offiziell zugänglicher Quellen, wie Publikationen oder öffentliche Veranstaltungen, 20% aus dem Austausch mit den anderen Verfassungsschutzbehörden und 20% aus nachrichtendienstlichen Mitteln, zu denen er V-Leute, Observationen, Postkontrolle und das Abhören von Telefonen rechnete. Er verwies auch auf das enge Zusammenwirken mit dem der Polizei zugeordneten Staatsschutz.
[8] Kurt MAETZIG zog 1993 in einem Fernsehgespräch einen interessanten Vergleich. Würde man heute eine Grenze durch den tropischen Regenwald ziehen und in einem Teil nach vernünftigen Maßstäben mit entsprechenden Beschränkungen wirtschaften und in dem anderen Teil wie bisher die Umwelt zerstören, wohin würden wohl die Holzfäller usw. ziehen?
[9] Die Ignoranz und Intoleranz der in der Volksbildung der DDR bezogenen Haltung zu Religionen, Kirchengeschichte, Bibel oder religiöser Kunst kann aus heutiger Sicht nur als kleinkariert bezeichnet werden und wirkte gemessen am Ziel einer humanistischen Erziehung kontraproduktiv.
[10] Die staatliche Förderung von Reisen in die DDR war u.a. an die Auflage gebunden, dass über die betreffenden Gruppenreisen Berichte an die Verfassungsschutzbehörden der BRD gefertigt werden mussten.
[11] Die Verschärfung des politischen Strafrechtes der DDR 1979 stellt sich als ein Versuch dar, auf die im Entspannungsprozess entstandenen neuen Bedingungen zu reagieren. Die Praxis zeigte aber sehr bald, dass die verschärften oder ausgeweiteten und präzisierten Straftatbestände ungeeignet waren, die anstehenden gesellschaftlichen Probleme zu lösen. Das neue Strafrecht wurde deshalb auch nur bezogen auf Antragsteller auf Übersiedelung in die BRD praktisch wirksam und blieb ansonsten auf einzelne Versuche beschränkt, staatliche Macht zu demonstrieren. Oft genug wurde aus politischen Gründen auf eine Anwendung verzichtet, normiertes Recht durch "zentrale Entscheidungen" Erich HONECKERs ersetzt.
[12] Bei Synoden und anderen kirchenpolitisch bedeutsamen Ereignissen wurden regelmäßig gemeinsame Arbeitsgruppen der SED, des Staatsapparates und des MfS gebildet, in denen Vertreter der zentralen, bezirklichen und ggf. auch der örtlichen Organe zusammenarbeiteten und Tätigkeit von der Vorbereitung solcher Ereignisse bis zu ihrer abschließenden Wertung gemeinsam organisierten und abstimmten.
Bei größeren Veranstaltungen in der Öffentlichkeit wurde die Zusammenarbeit auf andere zuständige Staatsorgane, insbesondere das Ministerium des Inneren und die nachgeordneten Dienststellen der Deutschen Volkspolizei ausgedehnt.
Die Organe der Volkspolizei waren übrigens auch für die Zulassung, Nichtzulassung bzw. Einhaltung der Verbote von Religionsgemeinschaften und Sekten zuständig und arbeiteten auf diesem Gebiet eng mit dem MfS zusammen.
[13] Vgl. "6.März, 1978 - 1988 ein Lernweg" von Bischof i.R. Werner KRUSCHE, herausgegeben vom Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR - Sekretariat 1988.
[14] In der Publikation "Spiegel - Spezial" 1/1993, StasiAkte "Verräter", Bürgerrechtler TEMPLIN: Dokumente einer Verfolgung, Dokumente Teil 3 ist nachstehender Auszug eines IM-Berichtes zu von TEMPLIN geplanten Aktivitäten anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins als Kopie veröffentlicht:
". . . Im Pkw äußerte sich TEMPLIN euphorisch über eine geplante Aktion am 4.7. 87, die sich gegen den Festumzug richtet . Wenn dieser nach 14.00 Uhr das Gelände der Marienkirche erreicht, so führte TEMPLIN aus, dann soll vom Kirchturm ein "riesiges" Transparent entrollt werden mit der Aufschrift "Jubelzirkus - nein Danke". Die Westmedien würden an günstigen Positionen vor Ort stehen und darauf warten."
[15] Mit einer inhaltlich gleichen Argumentation lehnte das Bundesamt für Verfassungsschutz ein Dialog-Angebot des Insiderkomitees zur Aufarbeitung der Geschichte des MfS ab.
[16] Nach Kenntnis der Verfasser wurden in den 80er Jahren weniger als 5% aller in der DDR eingeleiteten Ermittlungsverfahren durch die Untersuchungsorgane des MfS bearbeitet. Davon entfielen ca. 80% auf Versuche des illegalen Verlassens der DDR bzw. der Erpressung der legalen Ausreise durch Antragsteller auf Übersiedelung in die BRD.
Etwa 10% der vom MfS bearbeiteten Ermittlungsverfahren betrafen Delikte der Spionage und des Landesverrates, die restlichen 10% verteilten sich auf eine Vielzahl von Beschuldigungen, insbesondere Wirtschaftsstraftaten (vor allem Vertrauensmissbrauch), Militärstraftaten, Nazi- und Kriegsverbrechen und politische Delikte im. engeren Sinne bzw. solche aus deren außerhalb des 2. Kapitels StGB erfassten Vorfeldes, wie z.B. Öffentliche Herabwürdigung u.ä., aber auch Verfahren nach Tatbeständen der allgemeinen Kriminalität.
[17] Der gewaltfreie Verlauf der Wende 1989 wird heute fast ausschließlich der "Bürgerrechtsbewegung" zugeschrieben. Ohne deren Anteil schmälern zu wollen sei aber darauf hingewiesen, dass wohl auch die Vernunft der Sicherheitsorgane, die im Gegensatz zu den "Bürgerrechtlern'' im Besitz von Waffen waren, zum friedlichen Ende des sozialistischen Experimentes DDR beigetragen hat.
[18] Das MfS wollte insbesondere alle Maßnahmen in kirchlichen Räumen vermeiden.
[19] In der Publikation "Spiegel-Spezial" 1/1993 ( siehe Fußnote 14 ), Dokumente Teil 4 ist belegt, dass es zur Teilnahme an der Demonstration zur Liebknecht-Luxemburg,-Ehrung am 17.01.1988 innerhalb der oppositionellen Gruppierungen keinen Konsens gab. Initiatoren waren die Gruppe "Staatsbürgerschaftsrecht", ein Zusammenschluss von Antragstellern auf Übersiedelung in die BRD, sowie einzelne Oppositionelle, unter ihnen am aktivsten das Ehepaar TEMPLIN.
[20] Die Kontrolle der Wahlergebnisse vom Mai 1989 ergab, dass die Wahlbeteiligung der Bürger um 10-15% zu hoch angesetzt war und der tatsächliche Anteil der Stimmen für die Kandidaten der Nationalen Front zwischen 88 und 92% lag.
Nur in einem einzigen Stimmlokal, dem der Hochschule für Bildende Kunst in Berlin-Weißensee, wurden weniger als 50% der Stimmen für die Kandidaten der Nationalen Front abgegeben.
[21]
Wie es der Opposition in der DDR ohne den Schutz der Kirchen ergangen wäre,
lässt sich an den Gründungsversuchen einer maoistischen Gruppierung "KPD-ML"
belegen. Diese Gruppierung wurde durch das MfS mit aller Konsequenz bis zur
völligen Bedeutungslosigkeit aufgelöst.