Junge Welt

30.10.2007 / Thema / Seite 10

Mit zweierlei Maß

Gute Geheimdienste - böse Geheimdienste?

Werner Großmann

Wenn der Uneingeweihte von Geheimdiensten hört, liest oder über sie spricht, verbindet sich in der Regel damit etwas Mysteriöses, Undurchsichtiges, eben etwas Geheimes. Erstaunen und Achtung verbindet sich genauso mit Bekanntgewordenem, wie auch Fragen, Erschrecken, Vermutungen, Spekulationen und Angst. Für viele etwas Unheimliches, für viele aber auch etwas Allgegenwärtiges, Notwendiges. Ebenso verhält es sich mit der Klassifizierung »gut« oder »böse«. Gut verbindet sich meist mit bekanntgewordenen Aktionen, gepaart mit Staunen und Anerkennung oder auch Erschrecken, böse eigentlich nur, wenn es Gefahr für den Betrachter selbst geben könnte.

So entsteht schon die Frage, ob ein Geheimdienst überhaupt gut sein kann, oder ob er generell als böse, weil eben undurchsichtig, eingeschätzt werden muß. Oder kann er gar beides sein? Auch die Frage stellt sich, was denn das für Menschen sind, die in oder für einen Geheimdienst arbeiten, gute oder böse, kluge, intelligente, gebildete, politisch engagierte, selbständig denkende oder einfach nur menschliche Roboter, schlichtweg ihrem Job verpflichtete Ausführende und Handelnde.

Versuchen wir, Klarheit zu schaffen: Ein Geheimdienst ist eine Institution eines Gemeinwesens (Staat) für seinen äußeren und inneren Schutz, seine äußere und innere Sicherheit. Die für die äußere Sicherheit zuständigen Dienste werden in der Regel als Aufklärungs- oder Nachrichtendienste, die für die innere Sicherheit mit den unterschiedlichsten Namen als Abwehr bezeichnet oder verstanden. Im allgemeinen spricht man auch einfach von Spionage (bezogen auf den außenpolitischen Bereich) und Gegenspionage (im Innern). Beides existiert seit es Menschen gibt, die sich in Gemeinschaften organisieren. Vom Nachrichten- oder Aufklärungsdienst spricht man als dem Zweitältesten Gewerbe der Welt. Als Beispiel wird stets auf das Alte Testament verwiesen, wo es im 4. Buch Mose, Kapitel 13 heißt: »Und der Herr redete mit Moses und sprach: »Sende Männer aus, daß sie das Land Kanaan auskundschaften^..)«.

In der weiteren Betrachtung diese Gegenstandes möchte ich mich, auch aus eigener Erfahrung heraus, auf die außenpolitischen Nachrichtendienste beschränken.

Diese haben im Prinzip in allen Staaten die gleiche Aufgabe: Beschaffung politischer, militärischer, wissenschaftlich-technischer, wirtschaftlicher Informationen und solchen aus Geheimdiensten anderer Länder, um ihrer Staatsführung deren Lage, deren Politik, deren außenpolitische Absichten transparent zu machen. Das sagt zunächst einmal nichts über Gutes oder Böses aus. Das Recht, solche Dienste zu unterhalten, hat jeder Staat, es ist Ausdruck seiner Souveränität.

Das erste Kriterium, ob diese Dienste nun als gut oder böse einzuordnen sind, ist also die Gesellschaft, ist der Staat, denen sie dienen. Denn ein Geheimdienst ist eben nicht ein unabhängiges, eigenständiges Organ, kein »Staat im Staate«, sondern eine Institution, die im Auftrage des Staates arbeitet, die dessen Weisungen ausführt, die ihm dient. Ein Geheimdienst ist also Auftragnehmer, Ausführender, Berichterstatter, schlichtweg Dienstleister. Er hat im Prinzip keinen bestimmenden Einfluß auf die praktische Politik des Staates, wenn das auch in der kapitalistischen Gesellschaft nicht voll zutrifft, weil hier politisch konkurrierende Kräfte durchaus in der Lage sind, die Geheimdienste in unterschiedlichster Weise zu mißbrauchen. Ob ein Geheimdienst als gut oder böse zu qualifizieren ist, hängt also von der Gesellschaft, dem Staat ab, von denen er unterhalten wird, denen er verpflichtet ist.

Die UdSSR und ihre Feinde

Da wir uns heute hier mit dem 90. Jahrestag der Oktoberrevolution in Rußland beschäftigen, ist es wohl angebracht, uns an die Anfänge der jungen Sowjetmacht zu erinnern. Die Sowjetmacht war von Anfang an gezwungen, sich konterrevolutionärer Angriffe äußerer und innerer Feinde zu erwehren, die eigene Unabhängigkeit und territoriale Sicherheit zu gewährleisten. Dazu waren auch Geheimdienste notwendig. So wurde bereits am 20. Dezember 1917 die »Allrussische Außerordentliche Kommission für den Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage« (WTscheka) gebildet. Zunächst waren hierin Abwehr und Aufklärung gleichermaßen Aufgabengebiete. Bald wurde jedoch klar, daß eine Auslandsaufklärung notwendig wurde. Der für die Sowjets nachteilige Brester Frieden 1918 und die Niederlagen Rußlands im Polenkrieg 1920/1921 machten das Defizit des Wissens über den Gegner deutlich. Deshalb wurde auf Weisung Feliks Dscherschinskis am 20.12.1920 ein Befehl über die Bildung einer Auslandsaufklärung als Sonderabteilung der WTscheka erlassen.

Das war die Gründung der über Jahrzehnte dann so erfolgreichen Auslandsaufklärung der Sowjetunion, seit 1954 l. Hauptverwaltung des KG B benannt. Erfolgreich vor allem auch im Kampf gegen den deutschen Faschismus und später im Kalten Krieg zwischen Ost und West, zwischen NATO und Warschauer Vertrag. Aus meiner Sicht, und sicher nicht nur aus meiner, kann und muß man diesen Geheimdienst in die Kategorie »gut« einordnen, denn er diente einer Gesellschaftsordnung, die den Aufbau des Sozialismus als Ziel hatte und damit ein Leben ohne Ausbeutung, in sozialer Sicherheit und Frieden. Das »gut« gilt für die Aufklärung der Sowjet­union über den gesamten Zeitraum, trotz der Stalinschen Verbrechen im Inland. Gleiches gilt für den zweiten Geheimdienst der Sowjetunion, dem militärischen Aufklärungsdienst, »GRU« genannt. Weltweit bekannt dessen erfolgreichster Kundschafter, Richard Sorge. Daß Stalin dessen Informationen mißachtete, war ein verhängnisvoller politisch-strategischer Fehler. Darunter haben aber wohl alle Geheimdienste, ob nun als gut oder böse einzuschätzende, zu leiden. Sie sind eben nicht politikbestimmend.

Nach der Oktoberrevolution in Rußland und der Bildung der Sowjetunion nahmen die westlichen, vom Antikommunismus geprägten Staaten den Kampf gegen die Gefahr aus dem Osten auf. So unterstützten die Entente-Länder England und Frankreich die Weißgardisten im Bürgerkrieg gegen die Sowjetmacht. Den Hitlerfaschismus duldeten sie zunächst nicht nur, sondern unterstützten ihn sogar durch das Münchner Abkommen 1938 und ermöglichten damit die Annexion Österreichs, des Sudeten- und Memellandes.

Eine militärische Unterstützung der Sowjetunion seitens der Westmächte im Kampf gegen den deutschen Faschismus erfolgte, solange dieser noch im Vormarsch auf sowjetischem Gebiet war, nur halbherzig. Die sogenannte zweite Front wurde erst 1944 errichtet, als die Sowjetarmee schon im Begriff war, den deutschen Faschismus endgültig niederzuringen und die Westalliierten die Gefahr sahen, daß ihr Anteil am europäischen Territorium zu klein werden könnte.

Vom faschistischen Deutschland aus arbeiteten insbesondere zwei Dienste gegen die UdSSR. Einmal das »Amt VI« (Auslandsnachrichtendienst) des 1939 unter Heinrich Himmler gebildeten Reichssicherheitshauptamtes und der 1942 unter Reinhard Gehlen gegründete Nachrichtendienst »Fremde Heere Ost«. Von Großbritannien aus wie eh und je der britische Auslandsnachrichtendienst »SIS«, besser bekannt als »MI 6«.

Für uns ist wohl außer Zweifel, daß diese Dienste, wie eben ihre Staaten auch, in die Kategorie »böse« einzuordnen sind.

Die Dienste im Kalten Krieg

Unmittelbar nach dem Sieg über den Faschismus begannen die Westmächte den Kampf gegen die Sowjetunion und die sich herausbildenden Volksdemokratien Osteuropas, einschließlich der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, zu forcieren. Der Kalte Krieg begann. Ihre Geheimdienste arbeiteten insbesondere von Westberlin aus, um in den Ostländern Spione zu werben und solche dort zu stationieren. Gehlen, zwischenzeitlich in den USA, arbeitete unter den Fittichen der Central Intelligence Group (CIG), der Vorläuferorganisation der CIA, von da aus bis 1946, dann ab 1947 bereits wieder in Westdeutschland, unter Führung der CIA als Organisation Gehlen (OG). 1956 wurde der Dienst offizielles Regierungsorgan als Bundesnachrichtendienst (BND). Sein Stammpersonal waren ehemalige faschistische Generale und Offiziere. Sein Kampf gegen den Kommunismus wurde 1945 nicht eingestellt, nur kurzzeitig unterbrochen, um dann in noch größerer Dimension weitergeführt zu werden. Nach heutigen Erkenntnissen unterhielt die OG zum Zeitpunkt der Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) 1950 und der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) 1951 über 600 Spione in der Sowjetzone und dann in der DDR. Nicht alles Spitzenleute, aber solche hatte er eben auch in der Regierung, so eine Sekretärin des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl und den zeitweiligen stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats, Hermann Kastner. Die Sekretärin wurde alsbald von der DDR-Abwehr enttarnt, Kastner floh in den Westen.

Der britische MI 6 hatte einen Stenographen der Regierung geworben. Etwa kein Grund für die DDR, sich solcher feindlichen Angriffe zu erwehren? Grund genug, einen außenpolitischen und einen militärischen Nachrichtendienst in der DDR zu gründen, die HVA im MfS und den Bereich Aufklärung der Nationalen Volksarmee (NVA).

Nachdem die Westmächte das Potsdamer Abkommen gebrochen, Deutschland gespalten, die BRD gegründet, wiederaufgerüstet und in die NATO eingegliedert hatten, bestimmte der Kalte Krieg das Klima zwischen West und Ost, zwischen NATO und Warschauer Vertrag. Die DDR war mit Spionage, Sabotage, Terror, Wirtschafts­und Handelsembargo konfrontiert. Schon 1954/1955 gab es im Amt Blank (in den Jahren 1950 bis 1955 die Vorläuferorganisation des Verteidigungsministeriums der BRD, benannt nach dessen Leiter, dem CDU-Politiker Theodor Blank - d. Red.) Planspiele zur militärischen Einverleibung der DDR. Die regelmäßigen Wintex/Cimex-Übungen der NATO, um nur ein Beispiel zu nennen, sahen stets auch den Atomschlag auf Städte im Osten vor, so die letzte - noch 1989 - auch auf Dresden. Es ist hier nicht der Platz weitere Beispiele zu nennen. Allein die Tatsache, daß der BND in all den Jahren etwa mit 10000 Spionen in der DDR gearbeitet hat, ist wohl Beweis genug, daß es der BRD letztlich um die Liquidierung der DDR ging und nicht, wie der DDR und ihrem Nachrichtendienst HVA unterstellt, um die Beseitigung der Bundesrepublik. Die HVA arbeitete streng auf der Grundlage der Verfassung ihres Staates, und die DDR hatte bereits in ihrer ersten Verfassung 1949 die Erhaltung und Sicherung des Friedens als das höchste Ziel ihrer Außenpolitik formuliert. Das Grundgesetz der BRD galt nach dem Willen ihrer Herrschenden für das gesamte deutsche Volk, hatte also eine aggressive Zielrichtung. Die Frage »gut« oder »böse« ist wohl auch diesbezüglich leicht zu beantworten.

Ethik und Moral

Ein zweites Kriterium spielt für die Einschätzung »gut« oder »böse« eine entscheidende Rolle. Das ist die Ethik und Moral. Ethik gesamtbegrifflich verstanden als Handeln und Wollen, Moral als Verhaltensweise, als gut oder böse. Ein Philosoph würde sicher feinere Unterscheidungen vornehmen, ich bin aber keiner und reduziere es eben auf das Genannte.

In der praktischen Tätigkeit von Geheimdiensten findet das seinen Ausdruck in deren angewandter Methodik. Nehmen wir die US-Dienste, die heute etwa insgesamt 200000 Mitarbeiter und ein jährliches Budget von 30 Milliarden Dollar haben, als Beispiel: Sie sind verantwortlich für etwa 600 durchgeführte oder vorbereitete Mordanschläge gegen Fidel Castro. Von 1949 bis 1991 für insgesamt 35 Mordanschläge gegen führende Persönlichkeiten. Stellvertretend seien genannt Patrice Lumumba, Premierminister Zaires, Che Guevara, Kuba, Salvador Allende, Präsident Chiles. Nennen wir weiter als Beispiele die Politik gegenüber Afghanistan und Irak. Erst führen die USA Osama bin Laden als Agenten und unterstützen ihn im Kampf gegen die Sowjetunion. Dann machen sie ihn zum Erzfeind und nutzen ihn als Symbol des »islamischen Terrors« gegen die freie Welt. Wenn man immer wieder glauben machen will, daß die US-Dienste den Aufenthaltsort von bin Laden bis heute nicht ausmachen und ihn deshalb nicht liquidieren konnten, so ist das m.E. eine gezielte Lüge. Man läßt ihn weiter leben, man braucht ihn als Beweis für die Notwendigkeit des »Kampfes gegen den Terrorismus«. Genauso ungeklärt sind die Wahrheiten über den Anschlag vom 11. September 2001 auf die Twin Towers in New York. Die Weltherrschaftspläne der USA verlangen all dies. Hat man nicht auch Saddam Hussein im Krieg gegen den Iran geführt und unterstützt, um später mit Hilfe von bewußt inszenierten Falschinformationen über angebliche Atomwaffenproduktion im Irak einen Kriegsgrund zu finden und ihn zu liquidieren? Es ist einfach nicht glaubhaft, daß z. B. die Dienste der BRD, Großbritanniens und Frankreichs, erst recht Israels diese Erkenntnisse nicht hatten. Auch diese und ihre Staatsführungen tragen Mitschuld an den Verbrechen gegen das irakische Volk. Wenn den US-Diensten im Interesse der weltweiten Macht- und Einflußpolitik solcher Kriegsverbrecher wie George W. Bush, Dick Cheney und Donald Rumsfeld gestattet wird zu morden, zu töten, zu foltern, zu erpressen, zu desinformieren und zu lügen und Dienste anderer NATO-Staaten sich daran beteiligen oder auch nur bewußt wegsehen, machen sie sich mitschuldig an Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen. Gerade die Bundesrepublik maßt sich ständig an, die Einhaltung der Menschen rechte besonders in Rußland und China anzumahnen. Welch ein Hohn angesichts ständiger Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land und deren Duldung in imperialen Interessen.

Interessant ist auch ein Vergleich der Haltung der beiden deutschen Staaten und ihrer Nachrichtendienste zu Befreiungsbewegungen in anderen Ländern. Der von den USA geplante und 1973 durchgeführte Militärputsch in Chile war auch vorher dem BND bekannt. Wir erhielten schließlich die Informationen dazu von unseren Quellen im BND. Hielt der BND das Wissen zurück? Sicher nicht! Die Bundesregierung ließ gewähren und tat zunächst nach der Ermordung von Präsident Allende längere Zeit nichts, weiteren vom Tode Bedrohten zu helfen. Sie verweigerte Zuflucht in der Botschaft. Anders die DDR, anders das MfS, anders die HVA. Die Botschaft nahm sofort nach dem Militärputsch gefährdete Personen auf und half bei der Ausreise in die DDR, die HVA auch auf illegale Weise. Unmittelbar nach dem Putsch waren bereits 600 Chilenen, darunter 150 Kinder, in der DDR. Später insgesamt etwa 1 500, darunter die heutige Präsidentin Chiles, Michelle Bachelet, die in der DDR einen Studienabschluß erlangen konnte. Auch der Befreiungskampf des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) gegen das südafrikanische Apartheidregime erhielt seitens der DDR und der HVA aktive Unterstützung. Der BND stützte das Apartheidregime. Noch Anfang der 1990er Jahre gingen die bundesdeutschen Strafverfolgungsorgane gegen ein in der BRD lebendes führendes ANC-Mitglied und Freundes von Nelson Mandela vor, weil er mit der HVA in Verbindung gewesen war. Erst ein Machtwort Mandelas gegenüber Helmut Kohl beendete die Verfolgung. Wenn sich heute Angela Merkel im Blitzlichtgewitter an der Seite Mandelas sonnen kann, dann hat sie dies auch der DDR, hat sie dies auch der HVA zu verdanken, nicht der BRD, nicht dem BND. Aber die HVA gehört ja nun nach der Deutungshoheit im heutigen Deutschland zu den Bösen. Was für ein Widersinn, was für eine politische Schizophrenie! Das gleiche Engagement der DDR gab es gegenüber der Befreiungsbewegung in Mocambique, Frelrmo. Der BND unterstützte die konterrevolutionäre Renamo. Für weitere Beispiele reicht hier der Platz nicht.

»Böse« HVA?

Der politischen Vorgabe der Delegitimierung der DDR folgend, wird der »böse« Charakter der HVA mit Verschiedenem begründet. Zunächst das Allerschlimmste: Sie war ein Geheimdienst eines »Unrechtsstaates«. Unrechtsstaat ist ein Kampfbegriff, keine juristische Kategorie. Weiter, die HVA war integraler Bestandteil des MfS, also kein Auslandsnachrichtendienst wie z. B. der BND, da in die »innere Repression« eingebunden. Abgesehen davon, daß es m. E. völlig unerheblich ist, ob Dienste unter einem Dach, wie z.B. eben auch in Israel, arbeiten oder unter der Koordination von zentralen Regierungsstellen, wie in den USA oder der BRD, eine Zusammenarbeit mit der inneren Sicherheit gibt es immer. Was verfolgen denn Herr Schily und vor allem jetzt Herr Schäuble?! Eine solche Vernetzung wie bereits heute in der BRD gab es in der DDR gar nicht. Ein weiteres Argument der HVA-Gegner: Der Dienst unterlag keiner parlamentarischen Kontrolle. Stimmt, aber einer strengen politischen, die u.a. jedwede Gewaltanwendung verbot. Auf die sogenannte parlamentarische Kontrolle, die sogar Mitglieder der Kontrollkommission gelegentlich als »Witz« bezeichnen, lohnte es sich besonders einzugehen, um diese als »demokratisches Deckmäntelchen« zu entlarven. Hier fehlt dazu der Platz. Nur so viel: Wenn man Geheimdienste will, dann muß man sie auch geheim arbeiten lassen, Gesetzestreue immer vorausgesetzt. Und die ist kontrollierbar. Das hat die HVA getan und z. B. keinen illegalen Waffenhandel oder Plutoniumschmuggel wie der BND durchgeführt. Ein weiteres gewichtiges Argument gegen die HVA ist, daß sie eben nicht für den Frieden gearbeitet, sondern die Liquidierung der BRD als Ziel verfolgt habe.

Zu ersterem habe ich mich schon geäußert, zu letzterem verweise ich auf öffentliche Stellungnahmen des ehemaligen US-Präsidenten William Clinton und leitender CIA-Mitarbeiter. Sie bestätigen, daß die Spione beider Seiten, also auch die der HVA, dafür gesorgt haben, daß der Kalte nicht zu einem heißen Krieg wurde. Diese Aussagen sind wohl authentischer als die von Marianne Birthler oder gar die eines Hubertus Knabe, der bisher kein einziges Dokument gesehen haben will, welches die friedenserhaltende Tätigkeit der HVA nachweist.

Bei der Gewinnung von Kundschaftern hat die HVA vor allem auf die politische Übereinstimmung gesetzt und nicht wie die westlichen Dienste auf Geld und Erpressung. Natürlich gab es auch bei der HVA Methoden, wie Täuschung unter fremder Flagge oder auch in partnerschaftlichen Verhältnissen, die strengen Kriterien der Ethik und Moral nicht standhalten, aber sie waren nie mit Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen verbunden, immer war auch diesen Personen Hilfe bei Gefahr sicher.

Die HVA hat keine Morde, keine Totschläge, keine anderweitigen Kapitalverbrechen zu verantworten, sie hat weder mit Terroristen, Menschenhändlern und anderen Schwerkriminellen zusammengearbeitet. Sie hat niemanden entführt, sie hat keine Killerkommandos ausgebildet. Weder hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter noch Kundschafter wurden jemals für derartige Delikte strafrechtlich belangt.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 15. Mai 1995 das »Böse« der HVA nicht erkennen können: Es befand u. a.: »Die Angehörigen der Geheimdienste der DDR hatten - wie die Geheimdienste aller Staaten der Welt - eine nach dem Recht ihres Staates erlaubte und von ihm sogar verlangte Tätigkeit ausgeübt.«

Vortrag auf einer wissenschaftlichen Konferenz anläßlich des 90. Jahrestages der Oktoberrevolution (»Die bösen Befreier von Zarismus, Faschismus, Kolonialismus«) am 20.10.2007 in Berlin, veranstaltet vom Deutschen Freidenker-Verband und anderen Organisationen.

Generaloberst a. D. Werner Großmann war der letzte Chef der Hauptverwaltung Aufklärung, des Auslandsgeheimdienstes der DDR.