Berlin, 27.02.2003

 

Kommentar zum Dokumentarfilm "Ministerium für Staatssicherheit - Alltag einer Behörde"

 

Nach mehreren Vorführungen vor zumeist ausgewähltem Publikum wird mit "MfS - Alltag einer Behörde" seit Februar 2003 ein Dokumentarfilm von Christian Klemke und Jan N. Lorenzen in den Kinos gezeigt, der später auch im Fernsehen, zunächst bei "arte" ausgestrahlt werden soll. In ihm stellen sich 9 Generale und höhere Offiziere Fragen zu ihrer täglichen Arbeit im MfS. Dieser Film verzichtet – was durchaus nicht selbstverständlich ist - weitgehend auf offenkundige Lügen und Verleumdungen. Er zeigt aber auch den immer noch verkrampften Umgang mit Äußerungen von ehemaligen Verantwortungsträgern des MfS, die nach wie vor nur mit sonderpädagogischer Begleitung der Birthler-Behörde dem Publikum vorgestellt werden dürfen. Als Unpersonen wurden sie bisher  auch nicht zu Podiumsdiskussionen über den Film eingeladen.

Ein sachlicher, objektiver und kritischer Film sollte es ursprünglich werden. Doch wer als Filmemacher Geld verdienen will, muss auch zu Kompromissen bereit sein und den herrschenden Zeitgeist bedienen.

Bei einer Gesamtdauer der Interviews von mehr als 15 Stunden war natürlich eine Auswahl nötig. Das die ebenfalls interviewten Vertreter der Terror- und der Spionageabwehr des MfS sowie ein Experte für die Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen im Film aber überhaupt nicht erscheinen, ist schon merkwürdig. Vielleicht sollen Fragen zur realen Bedrohung der DDR durch subversive Aktionen im Kalten Krieg, zur Legitimität und zu unbestreitbaren Erfolgen der Arbeit des MfS gar nicht erst aufkommen. Vertreter großer Bereiche des MfS, in denen mehr als die Hälfte seiner Mitarbeiter tätig waren, wie Personenschutz, Wachregiment, Passkontrolle, Militärabwehr, Rückwärtige Dienste oder Hauptverwaltung Aufklärung wurden erst gar nicht befragt. (Nur etwa 15 % der Mitarbeiter des MfS waren als Führungsoffiziere von IM eingesetzt).

Zweifellos ist ein Vorhaben, das Phänomen MfS durch authentische Selbstdarstellung verantwortlicher Mitarbeiter zu erschließen, interessant und legitim. Die Chance dazu wurde aber vertan, weil einerseits jeglicher historischer Kontext ausgeblendet wurde und andererseits die wirklich spannenden Fragen, wie z. B. reale Vergleiche zur Tätigkeit der heute agierenden Geheimdienste gar nicht erst problematisiert werden.

Der Film wird dadurch stink langweilig. Ihm fehlt irgendein Kick. Geständnisse, Enthüllungen oder Sensationen bieten die MfS-Verantwortlichen nicht. Auch die Zuschnitte aus einer anderen Behörde ergeben bei genauem Hinsehen keine Anklagen.

So setzt der Film vor allem auf die Wirkung von mehr als zehn Jahre lang geschürten Emotionen, gepflegten Vorurteilen und Klischees sowie die Unkenntnis der Mehrheit der potenziellen Zuschauer in der Sache selbst.

 

Um das "Reich des Bösen" zu illustrieren, werden die Aussagen der Interviewten mittels Filmeinschnitten, darunter auch Spielfilmszenen und Toneinspielungen  unklarer Herkunft, konterkariert. Letztlich werden aber auch auf diese Weise nur Methoden beschrieben, wie sie die Geheimdienste in aller Welt - nicht selten in noch extremeren Modifikationen - auch in den freiheitlichsten Demokratien praktizieren. Das betrifft konspirative Durchsuchungen und Festnahmen, Observationen, die Anwerbung und Führung von Quellen, deren Berichterstattung, die Postkontrolle, Videoüberwachung und  die Führung von Akten ebenso wie die als besonders furchtbar dargestellte Methode der Zersetzung. (Die gleiche Methode wird z.B. bei den englischen Diensten mit "destroy" bezeichnet, womit die Zerstörung geheimer Bünde gemeint ist).

Der Versuch tiefer zu loten  wird gar nicht erst unternommen. Das hätte z.B. bei der auch von Birthler-Behörde bestätigten Aussage erfolgen können, dass mehr als  85 % der IM des MfS auf der Basis der politischen Überzeugung gewonnen wurden. Eine solche Quote kann kein westlicher Geheimdienst vorweisen. Dort überwiegen Geld und Geschäft.

 

Natürlich kommt auch Erich Mielke im O-Ton vor, u.a. mit seinen martialischen verbalen Drohungen mit Erschießen oder Hinrichten. Nur wer diese nun schon wer weiß wie oft abgespielten Sentenzen genau anhört, bekommt mit, dass seine Drohungen an die eigenen Mitarbeiter gerichtet waren und Verrat aus den eigenen Reihen vorbeugen sollten. Für die Umsetzung solcher Drohungen fehlen die Beweise. Wenn Andreas Förster von der "Berliner Zeitung" unter Bezugnahme auf den Film den Mielke-Stellvertreter Gerhard Neiber als Chef von Killer-Kommandos tituliert, ignoriert er bewusst, dass Gerhard Neiber nach neunmonatiger Untersuchungshaft u.a. von eben diesem Vorwurf frei gesprochen werden musste und dass auch aus dem Hause der Frau Birthler keinerlei Erkenntnisse über "MfS-Killer-Kommandos" zu haben sind.

Ach ja, dann die blamable Rede vor der Volkskammer. Sollten die MfS-Angehörigen nun auf einem am Boden Liegenden auch noch herumtrampeln?

Fast rührend anzusehen ist eine Szene, wo Volkspolizisten um den 40.Jahrestag der DDR herum versuchen, Demonstranten zurückzudrängen. Sie handeln offenbar völlig überrascht und ohne Ausrüstung, einen von ihnen fällt die Schirmmütze vom Kopf. So etwas soll Alltag gewesen sein? Da haben wir wahrlich nach 1990 schon ganz andere Polizeieinsätze gesehen und nicht nur einen!

 

Die Besonderheit des MfS bestand darin, dass es auch als Untersuchungsorgan fungierte und demzufolge auch einen eigenen Untersuchungshaft-Vollzug besaß. (Etwa 5 % der Ermittlungsverfahren in der DDR, vorwiegend solche mit staatsfeindlichem Hintergrund wurden entsprechend der Strafprozessordnung der DDR vom MfS unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft und nach dem Vorliegen richterlicher Haftbefehle bearbeitet.)

Wer kann schon emotionslos mit ansehen, wie eine weinende Frau bei einem Verhör ihre Unschuld beteuert. Psychologen wissen aber, dass Tränen kein Ausdruck von Unschuld oder Reue sind. So haben bestimmt auch schon mehrfache Mörderinnen heulend ihre Unschuld beteuert. Solange niemand weiß, warum diese Frau verhört wurde, ob es sich überhaupt um eine offizielle Vernehmung handelte, was ihr vorgeworfen wurde und wie die Untersuchung letztlich ausging, bleibt dieser Einschub ein billiger Versuch der Manipulierung der Zuschauer wie andere manchmal nicht enden wollende Ansichten der Haftanstalt übrigens auch.

Haftzellen gehen auch heute noch nicht von innen zu öffnen. Jede Haft ist ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, niemand sehnt sich danach. Aber auch in der DDR gab es für Inhaftierungen Gründe. Es wäre nötig gewesen darüber zu reden. Das hätte aber das stupide Täter-Opfer-Schema in Frage gestellt.

Allerdings scheinen die Opfer-Verbände mit dem Film doch nicht so recht zufrieden zu sein, was lautstarke Proteste bei bisherigen Vorführungen erkennen lassen. Sie finden den Film verharmlosend. Das ist durchaus nachvollziehbar.  Wer sich als großer Drachentöter feiern lassen will, braucht vor allem eines: einen möglichst großen und gefährlichen Drachen.

Eine wichtige Tatsache wird bisher völlig unter den Tisch gekehrt. Das MfS unterhielt ausschließlich Untersuchungs-Haftanstalten. Hier waren Häftlinge in der Zeit ihres Ermittlungsverfahrens (Regel: 3 Monate) inhaftiert und besonderen Bedingungen unterworfen, die sich aus den Ermittlungen ergaben. So wurden der Kontakt der Häftlinge untereinander aus Gründen der Verdunkelungsgefahr eingeschränkt, die Verbindungen nach außen deshalb besonders streng kontrolliert. Die Unterschiede zum normalen Strafvollzug werden an einem Haftlager von verurteilten Strafgefangenen in Hohenschönhausen deutlich, in dem Arbeiten für das MfS, z.B. Kfz-Instandsetzung, ausgeführt wurden. Als dieses Lager 1990 aufgelöst werden musste, kam es zu einer Häftlings-Revolte. Die Häftlinge hatten sich wegen der guten Haftbedingungen freiwillig für diesen Einsatz gemeldet. Darüber ist heute aber ebenso wenig zu erfahren, wie über das vorbildliche Haftkrankenhaus des MfS.

 

Wer seine Vorurteile gegen das MfS bestätigt sehen will, wird das in diesem Film können. Wer diesen Film kritisch und nachdenklich betrachtet, muss sich weiter mit der Materie befassen. Das Sachbuch "Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS", an dem zehn der zwölf Interviewten als Autoren mit gearbeitet haben, vermittelt dazu eine Fülle von Informationen. Dieses Buch wird in Kürze in einer dritten, diesmal preiswerten Paperback-Auflage erscheinen. Auch im Internet kann man unter der Adresse www.mfs-insider.de manches erfahren.

 

Wolfgang Schmidt

 

"Neues Deutschland" vom 12.02.2003 zu diesem Film
Bericht über eine Diskussion des Insiderkomitees mit den Filmemachern
Nachdenken von Wolfgang Hartmann in "Utopiekreativ" 157 (November 2003)