Nach mehreren Vorführungen vor zumeist ausgewähltem
Publikum wird mit "MfS - Alltag einer Behörde" seit Februar 2003 ein
Dokumentarfilm von Christian Klemke und Jan N. Lorenzen in den Kinos gezeigt,
der später auch im Fernsehen, zunächst bei "arte" ausgestrahlt werden
soll. In ihm stellen sich 9 Generale und höhere Offiziere Fragen zu ihrer
täglichen Arbeit im MfS. Dieser Film verzichtet – was durchaus nicht
selbstverständlich ist - weitgehend auf offenkundige Lügen und Verleumdungen.
Er zeigt aber auch den immer noch verkrampften Umgang mit Äußerungen von
ehemaligen Verantwortungsträgern des MfS, die nach wie vor nur mit
sonderpädagogischer Begleitung der Birthler-Behörde dem Publikum vorgestellt
werden dürfen. Als Unpersonen wurden sie bisher auch nicht zu Podiumsdiskussionen über den Film eingeladen.
Ein sachlicher, objektiver und kritischer Film
sollte es ursprünglich werden. Doch wer als Filmemacher Geld verdienen will,
muss auch zu Kompromissen bereit sein und den herrschenden Zeitgeist bedienen.
Bei einer Gesamtdauer der Interviews von mehr als 15
Stunden war natürlich eine Auswahl nötig. Das die ebenfalls interviewten
Vertreter der Terror- und der Spionageabwehr des MfS sowie ein Experte für die
Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen im Film aber überhaupt nicht
erscheinen, ist schon merkwürdig. Vielleicht sollen Fragen zur realen Bedrohung
der DDR durch subversive Aktionen im Kalten Krieg, zur Legitimität und zu
unbestreitbaren Erfolgen der Arbeit des MfS gar nicht erst aufkommen. Vertreter
großer Bereiche des MfS, in denen mehr als die Hälfte seiner Mitarbeiter tätig
waren, wie Personenschutz, Wachregiment, Passkontrolle, Militärabwehr, Rückwärtige
Dienste oder Hauptverwaltung Aufklärung wurden erst gar nicht befragt. (Nur
etwa 15 % der Mitarbeiter des MfS waren als Führungsoffiziere von IM
eingesetzt).
Zweifellos ist ein Vorhaben, das Phänomen MfS durch
authentische Selbstdarstellung verantwortlicher Mitarbeiter zu erschließen,
interessant und legitim. Die Chance dazu wurde aber vertan, weil einerseits
jeglicher historischer Kontext ausgeblendet wurde und andererseits die wirklich
spannenden Fragen, wie z. B. reale Vergleiche zur Tätigkeit der heute
agierenden Geheimdienste gar nicht erst problematisiert werden.
Der Film wird dadurch stink langweilig. Ihm fehlt
irgendein Kick. Geständnisse, Enthüllungen oder Sensationen bieten die
MfS-Verantwortlichen nicht. Auch die Zuschnitte aus einer anderen Behörde
ergeben bei genauem Hinsehen keine Anklagen.
So setzt der Film vor allem auf die Wirkung von mehr
als zehn Jahre lang geschürten Emotionen, gepflegten Vorurteilen und Klischees
sowie die Unkenntnis der Mehrheit der potenziellen Zuschauer in der Sache
selbst.
Um das "Reich des Bösen" zu illustrieren,
werden die Aussagen der Interviewten mittels Filmeinschnitten, darunter auch
Spielfilmszenen und Toneinspielungen
unklarer Herkunft, konterkariert. Letztlich werden aber auch auf diese
Weise nur Methoden beschrieben, wie sie die Geheimdienste in aller Welt - nicht
selten in noch extremeren Modifikationen - auch in den freiheitlichsten
Demokratien praktizieren. Das betrifft konspirative Durchsuchungen und
Festnahmen, Observationen, die Anwerbung und Führung von Quellen, deren
Berichterstattung, die Postkontrolle, Videoüberwachung und die Führung von Akten ebenso wie die als
besonders furchtbar dargestellte Methode der Zersetzung. (Die gleiche Methode
wird z.B. bei den englischen Diensten mit "destroy" bezeichnet, womit
die Zerstörung geheimer Bünde gemeint ist).
Der Versuch tiefer zu loten wird gar nicht erst unternommen. Das hätte
z.B. bei der auch von Birthler-Behörde bestätigten Aussage erfolgen können,
dass mehr als 85 % der IM des MfS auf
der Basis der politischen Überzeugung gewonnen wurden. Eine solche Quote kann
kein westlicher Geheimdienst vorweisen. Dort überwiegen Geld und Geschäft.
Natürlich kommt auch Erich Mielke im O-Ton vor, u.a.
mit seinen martialischen verbalen Drohungen mit Erschießen oder Hinrichten. Nur
wer diese nun schon wer weiß wie oft abgespielten Sentenzen genau anhört,
bekommt mit, dass seine Drohungen an die eigenen Mitarbeiter gerichtet waren
und Verrat aus den eigenen Reihen vorbeugen sollten. Für die Umsetzung solcher
Drohungen fehlen die Beweise. Wenn Andreas Förster von der "Berliner
Zeitung" unter Bezugnahme auf den Film den Mielke-Stellvertreter Gerhard
Neiber als Chef von Killer-Kommandos tituliert, ignoriert er bewusst, dass
Gerhard Neiber nach neunmonatiger Untersuchungshaft u.a. von eben diesem
Vorwurf frei gesprochen werden musste und dass auch aus dem Hause der Frau
Birthler keinerlei Erkenntnisse über "MfS-Killer-Kommandos" zu haben
sind.
Ach ja, dann die blamable Rede vor der Volkskammer.
Sollten die MfS-Angehörigen nun auf einem am Boden Liegenden auch noch
herumtrampeln?
Fast rührend anzusehen ist eine Szene, wo
Volkspolizisten um den 40.Jahrestag der DDR herum versuchen, Demonstranten
zurückzudrängen. Sie handeln offenbar völlig überrascht und ohne Ausrüstung,
einen von ihnen fällt die Schirmmütze vom Kopf. So etwas soll Alltag gewesen
sein? Da haben wir wahrlich nach 1990 schon ganz andere Polizeieinsätze gesehen
und nicht nur einen!
Die Besonderheit des MfS bestand darin, dass es auch
als Untersuchungsorgan fungierte und demzufolge auch einen eigenen
Untersuchungshaft-Vollzug besaß. (Etwa 5 % der Ermittlungsverfahren in der DDR,
vorwiegend solche mit staatsfeindlichem Hintergrund wurden entsprechend der
Strafprozessordnung der DDR vom MfS unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft und
nach dem Vorliegen richterlicher Haftbefehle bearbeitet.)
Wer kann schon emotionslos mit ansehen, wie eine
weinende Frau bei einem Verhör ihre Unschuld beteuert. Psychologen wissen aber,
dass Tränen kein Ausdruck von Unschuld oder Reue sind. So haben bestimmt auch
schon mehrfache Mörderinnen heulend ihre Unschuld beteuert. Solange niemand
weiß, warum diese Frau verhört wurde, ob es sich überhaupt um eine offizielle
Vernehmung handelte, was ihr vorgeworfen wurde und wie die Untersuchung
letztlich ausging, bleibt dieser Einschub ein billiger Versuch der
Manipulierung der Zuschauer wie andere manchmal nicht enden wollende Ansichten
der Haftanstalt übrigens auch.
Haftzellen gehen auch heute noch nicht von innen zu
öffnen. Jede Haft ist ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte,
niemand sehnt sich danach. Aber auch in der DDR gab es für Inhaftierungen
Gründe. Es wäre nötig gewesen darüber zu reden. Das hätte aber das stupide
Täter-Opfer-Schema in Frage gestellt.
Allerdings scheinen die Opfer-Verbände mit dem Film
doch nicht so recht zufrieden zu sein, was lautstarke Proteste bei bisherigen
Vorführungen erkennen lassen. Sie finden den Film verharmlosend. Das ist
durchaus nachvollziehbar. Wer sich als
großer Drachentöter feiern lassen will, braucht vor allem eines: einen
möglichst großen und gefährlichen Drachen.
Eine
wichtige Tatsache wird bisher völlig unter den Tisch gekehrt. Das MfS
unterhielt ausschließlich Untersuchungs-Haftanstalten. Hier waren Häftlinge in
der Zeit ihres Ermittlungsverfahrens (Regel: 3 Monate) inhaftiert und
besonderen Bedingungen unterworfen, die sich aus den Ermittlungen ergaben. So
wurden der Kontakt der Häftlinge untereinander aus Gründen der
Verdunkelungsgefahr eingeschränkt, die Verbindungen nach außen deshalb
besonders streng kontrolliert. Die Unterschiede zum normalen Strafvollzug
werden an einem Haftlager von verurteilten Strafgefangenen in Hohenschönhausen
deutlich, in dem Arbeiten für das MfS, z.B. Kfz-Instandsetzung, ausgeführt
wurden. Als dieses Lager 1990 aufgelöst werden musste, kam es zu einer
Häftlings-Revolte. Die Häftlinge hatten sich wegen der guten Haftbedingungen
freiwillig für diesen Einsatz gemeldet. Darüber ist heute aber ebenso wenig zu
erfahren, wie über das vorbildliche Haftkrankenhaus des MfS.
Wer seine Vorurteile gegen das MfS bestätigt sehen
will, wird das in diesem Film können. Wer diesen Film kritisch und nachdenklich
betrachtet, muss sich weiter mit der Materie befassen. Das Sachbuch "Die
Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS", an dem zehn der zwölf Interviewten
als Autoren mit gearbeitet haben, vermittelt dazu eine Fülle von Informationen.
Dieses Buch wird in Kürze in einer dritten, diesmal preiswerten
Paperback-Auflage erscheinen. Auch im Internet kann man unter der Adresse www.mfs-insider.de manches erfahren.
Wolfgang Schmidt
"Neues Deutschland" vom 12.02.2003
zu diesem Film
Bericht über eine Diskussion des
Insiderkomitees mit den Filmemachern
Nachdenken von
Wolfgang Hartmann in "Utopiekreativ" 157
(November 2003)