RotFuchs November 2009, Seite 5

 

Krjutschkows Besuche

Verschwörungsfabeln aus dem Kaffeesatz


Mitte August dieses Jahres erschienen in fast allen bundesdeutschen Zei­tungen reißerisch aufgemachte Artikel mit Überschriften der Art „Wie Gorbatschow Honecker loswerden wollte" (Berliner Morgenpost). Die Bild-Zeitung titelte: „Der geheime Putschplan von Dresden". Alle wußten zu berichten, daß der damalige Generalsekretär der KPdSU, Gorbatschow, 1987 Überlegungen angestellt habe, wie er Erich Honecker als Generalsekretär der SED und Vorsitzenden des Staatsra­tes der DDR entmachten könne.

Alle beriefen sich letztlich auf Aussagen des Herrn Schabowski, eines früheren Politbüromitglieds, das inzwischen zum kaffeesatzlesenden Verschwörungstheo­retiker mutiert ist. Dieser behauptet öffentlich, zu wissen, daß Gorbatschow in der DDR insbesondere zwei Personen für seinen Putschplan auserkoren habe: Hans Modrow, damaliger 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden, und Generaloberst a. D. Markus Wolf, lang­jähriger Chef der Hauptverwaltung A im MfS. Als Organisator sei Armeegeneral Wladimir Krjutschkow, damals Chef der I. Hauptverwaltung (Aufklärung) und 1. Stellvertretender Vorsitzender des KGB, von Gorbatschow beauftragt worden. Man habe Markus Wolf veranlaßt, 1986 sei­nen Dienst im MfS aufzugeben, um sich ganz dieser Aufgabe widmen zu können. Krjutschkow sei 1987 zweimal unter dem Vorwand von Urlaubsaufenthalten in die DDR entsandt worden, um den Putsch vorzubereiten. Dabei habe man ihn beauf­tragt, den in Dresden lebenden und for­schenden weltbekannten Wissenschaftler Manfred von Ardenne aufzusuchen, um ihn ebenfalls einzubeziehen.

Ich kann aus eigener Erfahrung zu alledem folgendes sagen: Diese Behauptungen sind frei erfunden. Es handelt sich um Mutma­ßungen, die nirgendwo ihre Bestätigung finden. Die Behauptung, Markus Wolf sei seitens des KGB gedrängt worden, seinen Dienst im MfS zu quittieren, ist völliger Unsinn. Das KGB respektierte den per­sönlichen Wunsch Wolfs mit Bedauern. Er hat in seinen Büchern - und auch ich habe in meinem Buch „Bonn im Blick" -dargelegt, wie es zum Ausscheiden Wolfs aus dem MfS gekommen ist. Es waren rein persönliche Gründe, die ihn 1983 bewegen, anläßlich seines 60. Geburts­tages den Entlassungsantrag zu stellen, dem dann 1986 stattgegeben wurde. Er wollte fortan schriftstellerisch tätig sein. Seinem Bruder Konrad hatte er auf dem Sterbebett versprochen, das von diesem angedachte Projekt „Die Troika" zu voll­enden, was er dann ja auch 1989 mit der Herausgabe des Buches tat. Aus persönlicher Nähe zu Markus Wolf weiß ich, daß er in keiner Weise an eine andere gesellschaftliche Tätigkeit in Partei oder Staat gedacht hat. Über derartige Spekulationen, insbesondere auch in den damaligen bundesdeutschen Medien, amü­sierte er sich nur. In die Presse lancierte Behauptungen eines Herrn Bohnsack, der sich als Wolf-Vertrauter ausgab, daß er von den Putschplänen gewußt habe, sind ebenso erlogen wie andere „Informationen" dieser Art. Bohnsack, ehemals Oberstleut­nant in der HVA des MfS, war niemals ein Vertrauter von Markus Wolf. 1989/90 wurde dieser Mann zum Verräter. Er ver­kauft sich heute den Medien als angeblich allwissender Insider. In Wirklichkeit ist sein operatives Wissen auf sein einstiges Arbeitsgebiet begrenzt. Bestätigen kann ich indes einen Aufent­halt von Wladimir Krjutschkow im Juni 1987 in Berlin und Dresden. Er kam als Leiter der I. Hauptverwaltung des KGB zu einem Arbeitsbesuch zur HVA. In der Regel fanden solche Begegnungen jähr­lich abwechselnd in Moskau oder Berlin statt. Hauptthema war diesmal die Auf­klärung atomarer Kriegsvorbereitung der NATO. Noch lief ja die gemeinsame Aktion „Ryan" (Atomarer Raketenangriff) der Aufklärungsdienste der sozialisti­schen Staaten. Auch mit Minister Mielke gab es eine Zusammenkunft. Ich war als Leiter der HVA bei diesem Arbeitsbesuch der unmittelbare Gesprächspartner von Krjutschkow. Mit Interesse nahmen wir zur Kenntnis, daß sich Krjutschkow neben den rein politisch-operativen Gesprächs­inhalten auch für bestimmte Lebensbe­reiche in der DDR interessierte. So z. B. für Landwirtschaftliche und Handwer­ker-Produktionsgenossenschaften (LPG und PGH), für private Handwerksbe­triebe, Einzelhändler und Gaststätten. Er begründete dies mit Erwägungen in der Sowjetunion, im Zuge von „Pere­strojka" eventuell auch Unternehmen dieser Art zuzulassen. So wurde auch verständlich, warum er bei der Bitte nach einem Aufenthalt in Dresden den Wunsch äußerte, gegebenen­falls den weltberühmten Wissenschaft­ler Manfred von Ardenne aufsuchen und sprechen zu können. Es war in unseren Beziehungen üblich, im Anschluß an Dienstgespräche auch Tage eines faktisch privaten Aufenthalts im Lande einzule­gen. Über die Bezirksverwaltung Dresden des MfS organisierten wir dann kurzfri­stig einen Besuch bei Ardenne. Dortige leitende Mitarbeiter pflegten offizielle Kontakte zu ihm.

Der damals amtierende Leiter der BV Dresden, Oberst Anders, und ich beglei­teten Krjutschkow. Ardenne hatte einen seiner leitenden Institutsmitarbeiter zur Seite. Das Gespräch fand in seiner Villa auf dem Weißen Hirsch statt. Es verlief in einer sehr freundschaftlichen Atmo­sphäre. Ardenne sprach zunächst über seinen Zwangsaufenthalt als Wissen­schaftler in der Sowjetunion nach dem II. Weltkrieg. Er äußerte sich dankbar über seine Behandlung durch sowjetische Behörden und hob die sich entwickeln­den Freundschaften zu Wissenschaftlern der UdSSR hervor. Dann informierte er über die von ihm entwickelte Sauerstoff -Mehrschritt-Therapie zur Bekämpfung auch von Krebs. Weitere Themen waren aktuelle Forschungsprojekte seines Insti­tuts. Auf Nachfrage schätzte er die Lage in der DDR-Wirtschaft ein und betonte die Notwendigkeit einer ökonomischen Erneuerung u. a. auch durch die Entwick­lung eines mittelständischen Gewerbes. Darüber habe er auch schon mit Politbü­romitglied Egon Krenz korrespondiert. Mit Erich Honecker oder Günter Mittag darüber sprechen zu wollen, lohne sich nicht. Krjutschkow nahm das alles mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis. Mit Interesse verfolgten wir dann Erklärun­gen Ardennes zu Forschungsvorhaben am praktischen Beispiel in den Insti­tutslaboren. Die Zusammenkunft endete bei voller Zufriedenheit der Beteiligten. Beste Wünsche wurden gegenseitig aus­getauscht.

Für mich gab es kurz darauf allerdings ein Nachspiel. Minister Mielke rügte mich telefonisch, weil ich ihn von der beabsichtigten Visite bei Ardenne vor­her nicht informiert hatte. Wohlgemerkt, nicht wegen des Besuchs an sich, sondern wegen des Versäumnisses, ihn zu unter­richten. Seine Reaktion erfolgte, weil er durch Günter Mittag angerufen wor­den war, der sich wegen der Begegnung beschwert hatte. Wer wiederum Mittag berichtete, ist mir bis heute unbekannt. Später hörte ich, er habe veranlaßt, weitere Besuche verantwortlicher Sowjetbürger bei Ardenne nicht zu gestatten.

 

Generaloberst a. D. Werner Großmann

Unser Autor war Chef der Hauptverwal­tung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.