junge Welt vom 26.11.2005

Interview

»Ich sehe keinen Grund, das Mandat niederzulegen«

Abgeordneter der Linkspartei unter Druck. Eigene Genossen fordern ihn auf, den Bundestag zu verlassen, weil er bei der Staatssicherheit war. Ein Gespräch mit Lutz Heilmann

Interview: Wera Richter

* Lutz Heilmann aus Lübeck ist Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und dort in der Arbeitsgruppe Umwelt, Energie, Verkehr, Nachhaltigkeit tätig.

F: Gerade erst in den Bundestag eingezogen, sind Sie von Teilen Ihres Landesverbandes aufgefordert worden, Ihr Mandat zurückzugeben, weil Sie angeblich bei der Staatssicherheit gearbeitet haben. Ist der Vorwurf richtig?

Für mich ist das kein Vorwurf. Es ist richtig, daß ich von 1985 bis 1990 bei der Staatssicherheit gearbeitet habe. Ich war im Personenschutz tätig, ganz konkret beim Objektschutz am Palast der Republik im Volkskammerbereich, am Anfang auch im Ministerrat. Wir haben dort Einlaßkontrollen durchgeführt und zum Beispiel auf Monitoren die Kameraaufzeichnungen des Außenbereichs verfolgt.

F: Kann das ein Grund sein, die Fraktion zu verlassen?

Nein. Für mich ist das kein Grund, das Mandat niederzulegen. Ich bin von 80 000 Bürgern in Schleswig-Holstein gewählt worden, und die Fraktion hat mir das Vertrauen ausgesprochen. Der Spiegel hat die Geschichte drei Wochen nach der Wahl veröffentlicht. Daraufhin haben wir in der Fraktion darüber beraten. Ich habe dort eingestanden, daß es falsch war, nicht vor der Wahl darüber zu diskutieren und daß wir auf der Landesmitgliederversammlung in Neumünster, wo ich nominiert wurde, über meine frühere Tätigkeit hätten informieren müssen.

Als ich das erste Mal gefragt wurde, ob ich zur Kandidatur bereit sei, habe ich direkt gesagt, wo ich gearbeitet habe. Ich habe darüber auch noch ein Gespräch mit der Landesvorsitzenden Edda Lechner geführt. Damals haben wir die Situation anders beurteilt und gedacht, wir müßten das nicht veröffentlichen. Heute schätze ich das anders sein.

F: Hat Sie die Heftigkeit der Reaktion aus den eigenen Reihen überrascht?

Damit hatten wir nicht gerechnet. Zum Teil war es auch nicht vorhersehbar, weil Postengeschacher um eine mögliche Anstellung im Wahlkreisbüro dahinter steckt.

F: Spielt dabei Antikommunismus in der WASG und auch in der Linkspartei keine Rolle?

Doch, das habe ich aber unterschätzt. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß der Umgang mit der DDR und ihrer Geschichte im Westen so schwierig ist und soviel Zündstoff beinhaltet.

F: Läßt sich die Debatte um Ihren Fall nicht nutzen, um der antikommunistischen Hysterie etwas entgegenzusetzen?

Daran arbeite ich seit drei Wochen. Nach unseren Versäumnissen hatten wir beschlossen, daß ich auf Tour durch unsere Kreisverbände gehe und mich dort den Fragen stelle. Das ist erfolgt und die Reaktionen waren unterschiedlich.

Im Kreisverband Dithmarschen etwa wurde gesagt, daß es ein Fehler war, meinen früheren Beruf zu verschweigen. Dafür wurde vor allem unsere Landesvorsitzende kritisiert, aber ich solle meine Arbeit nun fortführen. Im Kreisverband Neumünster war der Tenor: Wir haben andere Probleme. Das finde ich auch. Es geht jetzt darum, die Inhalte der Linkspartei deutlich zu machen. Hartz-IV-Betroffene, die jetzt in die Rasterfahndung reinrutschen und wie Terroristen behandelt werden, interessiert meine berufliche Tätigkeit vor 16 Jahren nicht. Die interessieren sich für ihre jetzige Situation und dafür, welche Schritte Linkspartei und WASG in Zusammenarbeit mit anderen demokratischen linken Kräften unternehmen werden.

F: Kann anhand Ihres Falles nicht auch die Rolle des Verfassungsschutzes stärker thematisiert werden?

Auch darin sehe ich neue Chancen, und so haben wir das auch in der Fraktion diskutiert. Einige der Abgeordneten fordern nun, ihre Verfassungsschutzakten einsehen zu können. Wenn man sich anschaut, wie der Bundesnachrichtendienst in den 90er Jahren mit Journalisten umgegangen ist, ist das alles andere als demokratisch und bürgernah. Das gilt auch für die in der Verantwortung von Bundesinnenminister Schily erfolgte Durchsuchung der Cicero-Redaktion und die Beschlagnahme journalistischer Arbeitsgrundlagen.

Siehe auch: "junge Welt" vom 07.12.2005 - Andreas Grünwald "Hysterie um Heilmann"