„Insiderkomitee zur kritischen Aneignung der
Geschichte des MfS“ – Bilanz und Ausblick
Im Aufruf zur Bildung eines „Insiderkomitees zur
Aufarbeitung“ aus dem Jahre 1992 wurde von den Initiatoren klargestellt: „Mit der gleichen Entschlossenheit, mit der
wir unser eigenes bisheriges Leben sehr kritisch bewerten, werden wir gegen
alle ungerechtfertigten Anschuldigungen, gegen Pauschalisierungen oder
Verleumdungen angehen.“ Und weiter heißt es in diesem Aufruf: “Gleichzeitig brauchen wir die kritische
Unterstützung und Auseinandersetzung durch Betroffene unserer früheren
Tätigkeit, um zu verhindern, dass Verklärung oder Nostalgie auf die Bewertung
historischer Prozesse Einfluss gewinnen.“
Diesen Grundsätzen sind die Mitglieder des Insiderkomitees – zunächst organisiert als eingetragener Verein, seit 1997 als Arbeitsgemeinschaft in der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) stets treu geblieben.
Bewusst haben wir in unserem Namen den Zweck der kritischen Aneignung der Geschichte aufgenommen. Wir sehen uns in der Pflicht, mit unserem Wissen, unseren Kenntnissen und Erfahrungen zur Aufdeckung der Ursachen des Scheiterns des Sozialismus-Modells sowjetischen Typs beizutragen, gerade und weil wir nicht bereit sind, der Idee des Sozialismus abzuschwören. Eine schonungslose Analyse der Ursachen unseres Scheiterns, der Erfahrungsgewinn aus unserer Niederlage erscheint uns unabdingbare Voraussetzung dafür, dass die Enkel unseren Kampf einst besser ausfechten können.
Das Insiderkomitee hat sich beim Schriftsteller Stefan Heym für die ihn betreffenden Maßnahmen des MfS entschuldigt und bedauert aufrichtig, dass auch andere Personen wegen ihrer ehrlichen und konstruktiven Kritik am real existierenden Sozialismus in der DDR seitens des MfS Nachteile und Repressalien erlitten haben. Die Leugnung, Rechtfertigung oder Verharmlosung von Unrecht war und ist niemals Anliegen unserer Tätigkeit.
Keinen Anlass für Entschuldigungen sieht das Insiderkomitee jedoch bei Personen, die der DDR als Feinde gegenüberstanden oder die z.B. vor den Kirchen in der DDR Kriegsspielzeug eingesammelt haben, und wenige Jahre später mit dafür sorgten, dass Deutschland wieder Kriege in aller Welt führen kann.
Mit den Erfahrungen einer 16-jährigen Tätigkeit schätzen wir ein, dass sich viele der ursprünglichen Erwartungen der Gründer des Insiderkomitees nicht erfüllt haben. Aus vielfältigen und differenzierten Ursachen heraus war einerseits nur ein kleiner Kreis ehemaliger Angehöriger des MfS in der Lage und bereit, sich der öffentlichen Auseinandersetzung zur Geschichte des MfS zu stellen.
Andererseits wurde das Angebot eines sachlichen Dialoges über die Geschichte des MfS weder von den meinungsbildenden Medien noch von den staatlichen Behörden, die sich mit der Geschichtsausdeutung befassen, aufgegriffen. Die Gauck/Birthler-Behörde entzog sich ihrem angemaßten Deutungsmonopol widersprechenden kontroversen Geschichtsbetrachtungen mit dem fadenscheinigen Argument, die ehemaligen MfS-Mitarbeiter würden ohnehin lügen, ihre Geschichte fälschen und verharmlosen. Der Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, stigmatisierte jegliche Kritik an seiner unseriösen Einrichtung als Beleidigung und Verhöhnung der „Opfer“. Der Verfassungsschutz ignorierte Einladungen zu den Veranstaltungen des Insiderkomitees und schickte stattdessen mehrere Jahre seinen V-Mann „Förster“ (monatliches Salär 1.500,- DM).
Nach offizieller Lesart lehnte er im März 2007 eine Beobachtung oder Überwachung des Insiderkomitees jedoch ab.
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass sich das Insiderkomitee zeitweise auch unqualifizierten Angriffen und Verdächtigungen aus den Reihen ehemaliger MfS-Mitarbeiter ausgesetzt sah. Die Vorwürfe reichten von Verrat über HVA-Lastigkeit bis zur pauschalen Ablehnung jeglicher Kritik an der Arbeit des MfS.
Trotz alledem hat die Tätigkeit des Insiderkomitees bleibende Spuren hinterlassen. Es war in enger Zusammenarbeit mit der Alternativen Enquete-Kommission Deutsche Zeitgeschichte (lange Zeit unter Leitung des unvergessenen Wolfgang Harich) an der Vorbereitung und Durchführung mehrerer alternativer Geschichtsforen und deren publizistischer Auswertung beteiligt. Herausragend war in diesem Zusammenhang eine Veranstaltung am 29.Mai 1994 im Berliner Ensemble zu „Spionage und Gegenspionage im geteilten Deutschland“. Moderiert von der US-amerikanischen Professorin Nancy Wolfe diskutierten zu diesem Thema Werner Großmann (HVA), Heribert Hellenbroich (Verfassungsschutz/BND), Elmar Schmähling (MAD) und Markus Wolf (HVA) vor und mit einem sachkundigen Publikum. Maßgeblich beteiligt war das Insiderkomitee auch an der Vorbereitung einer Veranstaltung des Bezirksamtes Berlin-Lichtenberg zum 15. Jahrestag der Besetzung der MfS-Zentrale am 15.01.1990. Obwohl sich im Podium dieser Veranstaltung alle entscheidenden Akteure dieses Ereignisses versammelt hatten und daher mit einmaliger Kompetenz diskutierten, wurde sie in der Öffentlichkeit völlig totgeschwiegen.
Mitglieder des Insiderkomitees waren ständige Teilnehmer sog. Täter-Opfer-Gespräche, unter denen die mehr als 10-jährige monatliche Gesprächsrunde „ZwieGespräch“ in der Berliner Erlöser-Kirche unter Leitung von Oberkonsistorialrat Dr. Ulrich Schröter zweifellos die bedeutendste war. Auch wenn im „ZwieGespräch“ erwartungsgemäß oft keine übereinstimmenden Auffassungen erreicht werden konnten, sie vermittelten vielfach neue Einsichten, halfen Vorurteile abzubauen und förderten Nachdenklichkeit über das eigene Handeln. Die Mitarbeiter des MfS, wie auch ihre einstigen Kontrahenten erhielten in diesen Gesprächsrunden ein Gesicht, eine menschliche Gestalt, ihre Motive und Ansichten wurden nachvollziehbar jenseits aller Pauschalisierungen und billigen Klischees.
Als kontraproduktiv erwies sich dagegen der Versuch einer Diskussion mit der „Arbeitsgemeinschaft 13. August“ im Haus am Checkpoint Charly. Hier zeigte sich, dass Diskussionen sinnlos werden, wenn sie nicht ergebnisoffen sind und eine der Seiten lediglich die bedingungslose Unterordnung unter die eigenen Standpunkte fordert.
Verdienste erwarb sich das Insiderkomitee bei der Initiierung, Förderung und Popularisierung zahlreicher Publikationen zur Geschichte des MfS. Seine Zusammenstellung zu den Gründergenerationen des MfS und der westdeutschen Geheimdienste ist aktueller denn je und ging ein in die Dokumentation „Angriff und Abwehr – Die deutschen Geheimdienste nach 1945“. Mitglieder des Insiderkomitees äußerten sich regelmäßig in linken Zeitungen und Zeitschriften und nutzten auch die begrenzten Möglichkeiten, ihre Auffassungen in den bürgerlichen Medien darzustellen. Ein Aufsatz von drei Mitgliedern des Insiderkomitees im Deutschland-Archiv 4/1994 zum Thema „MfS und Kirche“ findet auch heute noch anhaltende Aufmerksamkeit.
In insgesamt 57 als jour fixe bezeichneten Diskussionsveranstaltungen mit jeweils durchschnittlich 30 z. T. wechselnden Teilnehmern widmete sich das Insiderkomitee ab 1997 verschiedensten Themen aus der Arbeit des MfS. Die jour fixe begannen mit den Themen „Beitrag des MfS zum Niedergang der DDR“ sowie „Legitimität und Grenzen des Einsatzes geheimdienstlicher Mittel“ und endeten vorläufig mit den Themen „Umgang mit der eigenen Geschichte (gemeinsam mit Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE) sowie „HVA-Konferenz in Odense/Dänemark“.
Sachkunde und Kompetenz der Diskussionen, die nicht selten kontrovers verliefen, immer aber informativ und interessant waren, wurden maßgeblich durch teilnehmende Gastreferenten bestimmt. So konnte das Insiderkomitee den Historiker Prof. Siegfried Prokop (mehrfach), den Soziologen Prof. Dietmar Wittich, den Philosophen Prof. Wolfgang EichhornI, den Ökonomen Prof. Harry Nick, den US-amerikanischen Soziologie-Professor Andreas Gläser, die Rechtswissenschaftler Prof. Erich Buchholz, Prof. Detlef Joseph und Dr. Volkmar Schöneburg, den Kriminalisten Prof. Ehrenfried Stelzer, ehemals leitende Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft und des Obersten Gerichtes der DDR, wie Karl-Heinrich Borchert, Eleonore Heyer, Günther Wieland, Horst Busse und Dr. Hans-Herbert Nehmer oder den Geheimdienst-Experten Dr. Bodo Wegmann für Vorträge gewinnen. Die Historiker Dr. Wilfriede Otto (Biografien von Erich Mielke und Wilhelm Zaisser), Dr. Detlef Nakath (Handbuch Deutsche Zeitgeschichte) und Bernd-Rainer Barth (Komplex Noel Field) berichteten über ihre Forschungsergebnisse und stellten sie zur Diskussion.
Ehemals leitende Mitarbeiter des MfS, an ihrer Spitze Werner Großmann und Dr. Wolfgang Schwanitz, ehem. hochrangige Spezialisten der HVA sowie Autoren des Sachbuches „Die Sicherheit - Zur Abwehrarbeit des MfS“ gestalteten bzw. bereicherten durch ihre Beiträge die jeweiligen Veranstaltungen. Aber auch ehemalige Bürgerrechtler, wie Dr. Thomas Klein oder Reinhard Schult nahmen nicht selten Gelegenheit, ihre Standpunkte darzulegen.
Zum Film „Alltag einer Behörde“ organisierte das Insiderkomitee eine Sondervorführung mit anschließender Diskussion mit den Filmemachern.
Leider nur in einem Fall, bei der Diskussion über Zersetzungsmaßnahmen des MfS, konnte das Insiderkomitee auch Vertreter der Birthler-Behörde begrüßen. Erhart Neubert und Dr. Sandra Pingel-Schliemann beteiligten sich an der lebhaften Diskussion. Wie zu allen jour fixe wurde auch hierüber im Mitteilungsblatt IKKORR (auch im Internet nachlesbar) berichtet.
Seit mehr als 6 Jahren unterhält das Insiderkomitee eine eigene Web-Seite, die sich wachsenden Zuspruchs erfreuen kann. Von etwa 300 Seitenzugriffen im ersten Jahr erhöhten sich diese bis 2007 auf 477.067 jährlich bei 176.226 Besuchern. Im I. Quartal 2008 sind es bereits wieder 146.152 Seitenzugriffe von 51.328 Besuchern.
Damit hat sich diese Web-Seite zum bedeutendsten alternativen Angebot auf dem Gebiet MfS-Geschichte entwickelt, auch wenn die Einschätzung eines Berliner Staatsanwaltes, dass es sich hier um das „Zentralorgan des MfS“ handelt, doch etwas übertrieben erscheint. Zahlreiche Nutzer der Web-Seite wandten und wenden sich auch direkt an das Insiderkomitee und suchen hier Unterstützung, Informationen, Rat und Hilfe, insbesondere Wissenschaftler, Journalisten, Studenten und Schüler aus Ost- und Westdeutschland, aber auch aus den USA, Frankreich, den Niederlanden und Dänemark. Zu den Prominentesten, die Kontakt zum Insiderkomitee suchten, gehört der Regisseur des Oscar-prämierten Filmes „Das Leben der anderen“, Florian Henckel von Donnersmarck.
Dem Insiderkomitee gehen regelmäßig Interview-Wünsche von Medien und Presseorganen zu. Da die Bereitschaft des Insiderkomitees, sich öffentlich zum MfS zu äußern, in der Vergangenheit aber meist missbraucht wurde, wird solchen Wünschen nur noch in Ausnahmefällen entsprochen.
Zunehmend wird über Links von anderen Web-Seiten (z.B. Wikipedia) auf die Insider-Web-Seite verwiesen, darunter von mehreren sog. Opferverbänden, die immer wieder auch für unfreundliche, hasserfüllte Zuschriften sorgen. Das Insiderkomitee bleibt bemüht, alle ernstzunehmenden Zuschriften zu beantworten und wird auch in Zukunft keinen Diskussionen in der Sache ausweichen. Auf pauschale Diffamierungen und Totschlagargumente erscheinen jedoch Antworten als sinnlos.
Ende 2007 beschloss der Sprecherrat des Insiderkomitees die regelmäßige zweimonatliche Durchführung der jour fixe einzustellen. Wie schon einige Jahre zuvor beim Gesprächskreis ZwieGespräch erscheinen die Themen erschöpft und die Meinungen dazu im Wesentlichen ausgetauscht. Hinzu kommt, dass mittlerweile eine ganze Bibliothek von Sachbüchern zur Geschichte des MfS existiert, deren Autoren aus den Reihen des MfS kommen oder deren Darstellung als objektiv anzusehen ist. Wer sich nicht kritiklos von der Siegergeschichtsschreibung indoktrinieren lassen will, hat umfangreiche Möglichkeiten, sich sachkundig zu informieren.
Deshalb wurde beschlossen, jour fixe nur noch bei sich aktuell neu anbietenden Themen von Fall zu Fall zu veranstalten und damit auch das regelmäßige Erscheinen des Mitteilungsblattes IK-KORR einzustellen.
Damit entsteht aber auch die Frage nach der Notwendigkeit der Fortexistenz einer Arbeitsgemeinschaft Insiderkomitee bei der GBM.
Der Sprecherrat des Insiderkomitees beschloss in einer Sitzung am 15.04.2008, den Status einer Arbeitsgemeinschaft bei der GBM aufzulösen. Klaus Eichner wurde beauftragt, den Vorstand der GBM entsprechend zu informieren.
Der Sprecherrat beschloss ferner, das Insiderkomitee als informellen Zusammenschluss zu erhalten. Es wird sich weiter bei gegebenen Anlässen mit der Vorbereitung, Ausrichtung oder Unterstützung von Veranstaltungen bzw. Publikationen zur Geschichte des MfS beschäftigen und seine Standpunkte insbesondere im Internet darlegen.
Das Insiderkomitee hatte innerhalb der GBM mehr als 10 Jahre die Möglichkeit am Kampf für eine wahrheitsgemäße Darstellung der Geschichte der DDR und gegen Stigmatisierung, Ausgrenzung und Benachteiligung ehemaliger DDR-Bürger wegen ihres Eintretens für eine sozialistische Alternative in Deutschland teilzunehmen.
Diejenigen Mitglieder des Insiderkomitees, die auch Mitglieder der GBM sind, werden sich auch weiter innerhalb dieser Organisation an deren Aktivitäten als Menschenrechts- und Friedensorganisation beteiligen.
Für das Insiderkomitee gezeichnet:
Klaus Eichner
Wolfgang Hartmann
Dr. Klaus Panster
Wolfgang Schmidt
Gesamtverzeichnis der Ausgaben des Mitteilungsblattes IK-KORR