Für
Liebhaber von Horror-Geschichten: Freya Klier halluziniert über die
„politischen Morde der Staatssicherheit.“
In ihrem 2021 im Herder-Verlag (Freiburg im Breisgau)
erschienenen Buch mit dem Titel „Unter mysteriösen Umständen“ behauptet Freya
Klier „nicht, was sie juristisch ohnehin
nicht beweisen könne“ und „schlägt
dem Leser lediglich vor“, ihre „Variante
und deren Logik“ bei den geschilderten Ereignissen „zu durchdenken“. (Seite 7)
Mit dieser Einleitung schlägt Frau Klier gleich zwei
Fliegen mit einer Klappe. Einerseits braucht
sie sich nicht mit den Ergebnissen der juristischen Strafverfolgung gegen
Mitarbeiter des MfS nach 1990 – kein Einziger von ihnen wurde wegen Mord oder
Folter verurteilt – auseinanderzusetzen. Andererseits entgeht Freya Klier damit einer Anzeige wegen Volksverhetzung, da
sie keine Tatsachenbehauptungen aufstellt und sich auf die Freiheit der
Meinungsäußerung beruft.
Freya Klier selbst sieht sich als Opfer eines Mordversuches
des MfS. Begonnen habe dieser damit, dass ihrem Lebenspartner Stephan Krawczyk die
Fahrerlaubnis entzogen wurde und sie so gezwungen war, als Fahranfängerin den
gemeinsamen Pkw auf Überlandfahrten zu steuern. So auch am 8. November 1987. „Plötzlich in einer leichten Linkskurve
lässt sich das Auto nicht mehr lenken, hält geradeaus auf einen Brückenpfeiler
zu. Schreiend und völlig gelähmt klammere ich mich am Lenkrad fest, Stephan
reißt es noch kurz vor dem Aufprall nach links rüber, das Auto schleudert auf
der leeren Landstraße, irgendwann kommt es zum Stehen…“ Lenkrad und Bremsen waren nach Ansicht
von Stephan Krawczyk in Ordnung, aber auch danach musste dieser vom
Beifahrersitz aus besonders in Linkskurven das Lenkrad bedienen. „Stephan Krawczyk verspürte im November 1987
und auch danach keinerlei Beeinträchtigungen. Durch minutiösen Austausch, wer
wo und wann gesessen hatte, kamen wir zu dem Schluss, dass die Fahrertür
kontaminiert war.“ (Vgl. Seite 9, Seite 225 ff ) Damit
hätten wir es dann mit einer Art Nervengift Nowitschok
des MfS zu tun, dass zudem noch die Besonderheit aufweist, keine ärztliche
Behandlung zu erfordern (noch nicht einmal eine ärztliche Diagnose wird
erwähnt) und dessen bewusstseinssteuernde Eigenschaften sich beim Autofahren in
Linkskurven entfalten.
Um dieser abenteuerlichen Schilderung Glaubwürdigkeit zu
verleihen, verweist Freya Klier auf Telefongespräche mit einem ehemaligen
Vernehmer im MfS, der kurz vor seinem Tode 2019 preisgegeben hätte: „Es stimmt, ihr Auto wurde manipuliert.“ (Seite
10). Der gleiche Vernehmer habe ihr auch bestätigt, dass sowohl der Selbstmord
des Schauspielers Dean Reed 1986 („Es ist
aus dem Ruder gelaufen, deshalb wurde er beseitigt“) als auch der tödliche
Autounfall des ehem. DDR-Fußballers Lutz Eigendorf 1983 Morde des MfS gewesen
seien. Der Abschiedsbrief von Dean Reed wurde nach Auffassung von Freya Klier
gefälscht, das Auto Eigendorfs, der mit 2,2 Promille Blutalkohol und überhöhter
Geschwindigkeit verunglückt war, angeblich manipuliert. (Seite 152 ff.) Ein
Kontaktgift sei zum Einsatz gekommen und Freya Klier fragt, ob
pupillenerweiternde Mittel verabreicht worden seien. (Seite 245) Im Fall
Eigendorfs sind das weitere unbewiesene Versionen. Am häufigsten fabuliert wird
über eine angebliche Blendung mit einem Spiegel oder die zwangsweise bzw.
nachträgliche Beibringung des Alkohols. Da Mord nicht verjährt, hätte in allen
Fällen neu ermittelt werden müssen, was aber offenbar nicht geschehen ist und
der Kronzeuge von Freya Klier ist nun leider nicht mehr am Leben. Bei einer
Reihe weiterer der von Freya Klier beschriebenen angeblichen Morde und
Mordversuche des MfS handelt es sich um alte Hüte, nach 1990 zig-mal
durchgekaut, in keinem Fall überzeugend oder beweiskräftig belegt.
1987 wurde die Sektion Kriminalistik der
Humboldt-Universität beauftragt, in akribischer Auswertung der internationalen
Fachliteratur und mit dem Ziel der Qualifizierung der Mordermittlungen in der
Volkspolizei und im MfS eine Studie zu bisher nicht oder wenig bekannten
Mordmethoden (vornehmlich mittels Gift oder radioaktiven Substanzen) zu
erarbeiten, die 1988 fertiggestellt war. Die Vorstellung, dass es sich hierbei
um Mordanleitungen handeln könnte, wurde schon Anfang der 90er Jahre
überzeugend widerlegt. Für Freya Klier allerdings ist diese Studie ausschließlich
Beleg dafür, dass die „Stasi“ nach Möglichkeiten gesucht habe, „widerständigen Bürgern das Leben extrem zu
erschweren oder dieses gar zu beenden, ohne dass ihre Offiziere als mordende
Verursacher erkennbar sind“. (Seite 243) Als Anleitung für die von ihr
geschilderten angeblichen Morde und Mordversuche taugt diese als Toxdat bezeichnete Studie ohnehin nicht, da diese fast
ausnahmslos vor 1988 datiert sind.
Ein ganzes Kapitel widmet Freya Klier dem Fall
Gartenschläger. (Seite 36 ff.) Michael Gartenschläger wurde 1976 beim Versuch,
einen Selbstschussautomaten der Grenzanlagen der DDR abzubauen, von einem
Einsatzkommando des MfS schon erwartet und bei einem Schusswechsel getötet. Die
beteiligten Mitarbeiter des MfS wurden vom Bundesgerichtshof freigesprochen,
was Freya Klier ebenso verschweigt, wie die Tatsache, dass Gartenschläger
bewaffnet in das Grenzgebiet der DDR eingedrungen war und als Erster geschossen
hat, was seine geplante Festnahme auf frischer Tat verhindert hatte. Mit seinem
Freispruch bestätigte das Gericht den Mitarbeitern des MfS, in einer
Notwehrsituation gehandelt zu haben.
Perfide ist auch die Unterstellung Freya Kliers, dass Benno
Ohnesorg, der beim Schah-Besuch am 2.6.1967 vom Westberliner Polizisten Kurras,
einem IM der DDR, erschossen wurde, ein Mordopfer des MfS sei. (Seite62 ff.) Im
Geheimarchiv des MfS dazu aufgefundene Unterlagen belegen, wie überrascht und
entsetzt das MfS von diesem Ereignis war und dass es unverzüglich jeden Kontakt
zu Kurras abgebrochen hat. Noch nicht einmal Hubertus Knabe hat meiner Kenntnis
nach in diesem Fall dem MfS einen Mord unterstellt. Freya Klier weiß dagegen zu
berichten, dass Kurras, der in einem Strafprozess in Westberlin im November
1967 freigesprochen wurde, sich zuvor mit seinen Vertrauten im MfS beraten
habe, sein Lügengebäude dabei stabilisiert und von einem MfS-Psychologen noch
etwas blumiger ausgeschmückt worden sei. Das war jedoch gar nicht nötig. Die
Westberliner Polizei hatte sich schützend vor ihren Kollegen gestellt.
Nicht fehlen darf in der Liste angeblicher Morde des MfS
der Suizid von Matthias Domaschk in der
MfS-Untersuchungshaftanstalt des MfS in Gera. (Seite 185 ff.) Dieser Fall wurde
nach 1990 gleich mehrfach untersucht und vom Thüringer Ministerpräsidenten
Ramelow sogar zur Chefsache erklärt. Am Ergebnis der gerichtsmedizinischen
Untersuchungen, die den Suizid bestätigt hatten und den Aussagen der
beteiligten Gerichtsmediziner in diesem Fall kam jedoch niemand vorbei. Nicht
erklärt werden kann auch, warum MfS-Mitarbeiter Matthias Domaschk
ermorden sollten, nachdem sich dieser bereit erklärt hatte, die Arbeit des MfS
als Inoffizieller Mitarbeiter zu unterstützen.
In einer Reihe weiterer der angeführten Beispiele leben die
„Mordopfer“ noch und erfreuen sich wie Freya Klier bester Gesundheit, so der vom
MfS als krimineller Menschenhändler bearbeitete Welsch („Boulettenmord“),
zwei angeblich vergiftete Häftlinge der Haftanstalt Bautzen II oder auch Ralf
Hirsch, Adlatus Rainer Eppelmanns. Bei Letzteren hatte es tatsächlich
Überlegungen eines MfS-Mitarbeiters gegeben, ihm alkoholisiert im Winter
erfrieren zu lassen. Dieser Mitarbeiter wurde jedoch dafür in Unehren aus dem
MfS entlassen und weitere Mitarbeiter der gleichen Abteilung disziplinarisch
bestraft, so dass derartige Pläne nicht ausgeführt wurden. Auch Jürgen Fuchs
und seine Familie wurden in Westberlin keine Opfer einer angeblichen Autobombe
des MfS. In der Nähe ihrer Wohnung waren Sprengkörper im Kofferraum eines Pkw
explodiert, die ein Bundeswehrangehöriger unbefugt mit sich geführt hatte. Die
Ermittlungen der Westberliner Polizei müssen in diesem Fall so eindeutig
gewesen sein, dass die vorgangsführenden Mitarbeiter des MfS dazu nach 1990
noch nicht einmal befragt worden sind.
Verschwörungs-Gläubigen ist gemeinsam, dass sie bei der
Erklärung von Phänomenen auf eine einzige, ihnen einleuchtende Version fixiert
sind, andere Erklärungsversuche ausblenden oder gar nicht erst gelten lassen. Um
es mit Wilhelm Busch zu sagen: „Wer mit des Argwohns Brille schaut, sieht Maden
selbst im Sauerkraut.“ Freya Klier schreibt einleitend zu ihrem Buch, dass sie
die Namen von siebzig Menschen – Dissidenten, Pfarrer und Schriftsteller –
zusammengetragen habe, bei denen sie keinen natürlichen Tod vermute. Andere
wären schwer krank und würden dahinsiechen. Sie hat dafür nur eine Erklärung:
Machenschaften des MfS. Auf diese Weise genügt es, allein weil bestimmte
Personen im Visier des MfS standen, jede schwere Erkrankung, insbesondere
Krebs, jeden frühen Tod, jeden Autounfall und jeden Suizid dem MfS anzulasten. Eine
objektive Untersuchung erübrigt sich. Selbst dann, wenn der Tod erst viele
Jahre nach dem Ende der DDR eingetreten ist, gilt keine andere Erklärung. Dann
müssen es eben Spätfolgen sein.
In der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen erfahren die
Besucher seit Jahren, dass drei ehemalige Häftlinge, Jürgen Fuchs, Rudolf Bahro
und Gerulf Pannach hier
verstrahlt worden und in der Folge an Leukämie verstorben seien. Nun sind diese
drei Personen ca. 20 Jahre nach ihrer Untersuchungshaft wirklich Opfer dieser
heimtückischen Krankheit geworden. Staatsanwaltliche Untersuchungen hatten
jedoch ergeben, dass dafür ursprünglich verantwortlich gemachte, zur
Untersuchung von Asservaten angeschaffte Röntgengeräte, dafür nicht infrage
kommen, da sie Geräten zur Gepäckkontrolle auf Flughäfen vergleichbar waren.
Eine Arbeitsgruppe „Strahlen“ der Gauck-Behörde hat in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt
Hohenschönhausen zur Überprüfung der Vorwürfe hinsichtlich angeblicher
„Verstrahlungen“ von Untersuchungshäftlingen sogar Putz von den Wänden hacken
und Waschbecken abmontieren lassen. Auch sie konnte keine verdächtige
Strahlenbelastung feststellen. Wie nicht anders zu erwarten, hat Freya Klier
nicht die geringsten Zweifel am Wahrheitsgehalt der verleumderischen
Unterstellungen und kolportiert diese mit ihrem Buch erneut.
Auf Seite 229 ff. berichtet Freya Klier von einem „zweiten“
Mordversuch am „Spiegel“-Korrespondenten Ulrich Schwarz. Er selbst hatte
geschildert, dass er 1987 bei einer Fahrt nach Rostock am Steuer bewusstlos
geworden sei und sich mit seinem Wagen überschlagen habe. Bei vielen
vergleichbaren Unfällen wird der gefürchtete, aus Übermüdung resultierende
Sekundenschlaf als Unfallursache angenommen. Im vorgenannten Fall gibt es nach
Ansicht von Freya Klier aber nur eine Erklärung: „Stasi“.
Und selbst im folgenden Fall erkennt Freya Klier die „Handschrift des MfS“, nämlich bei einem
„Mordversuch auf der Sprungschanze“
(Seite 141 ff.) Claus Tuchscherer, ein
Spitzensportler (Nordisch Kombinierter) hatte 1976 in Innsbruck die
DDR-Mannschaft verlassen und war 1978 in Finnland für Österreich gestartet. Als
Sportfoto des Jahres wurde in der BRD 1978 ausgewählt, wie er bei seinem ersten
Sprung von der Schanze den rechten Ski verliert (die Bindung hatte sich
gelöst). Er schaffte es unverletzt zu landen und riskierte noch einen zweiten
Sprung.
Tatsächlich mysteriös ist, dass vier Mitarbeiter der Gauck-Behörde
bei der Sichtung von Materialien des Operativ-Technischen Sektors (OTS) der MfS
in der Zeit von Juni 1999 bis November 2000 über auffällige gesundheitliche
Beeinträchtigungen klagten, angeblich die Folge chemisch konterminierten Aktenmaterials.
Konnte oder wollte man das nicht gründlich untersuchen?
Unabhängig vom Thema ist erwähnenswert, was Freya Klier
über die Aktivitäten der Gruppe „Frauen für den Frieden“ um Bärbel Bohley
schreibt. Diese hatten sich 1982 mit einer Eingabe an Erich Honecker gewandt
und u.a. betont: „…dass
sie Armeedienst für Frauen nicht als Ausdruck ihrer Gleichberechtigung, sondern
als einen Widersinn zu ihrem Frausein verstünden“. (Seite 183). Sollte das
die Soldatinnen der Bundeswehr nicht nachdenklich machen?
Aufschlussreich auch, was über die „psychische Folter des MfS“ zu lesen ist. Dabei werden Aussagen von Frieder Weiße übernommen. (Seite 112ff.) Er sei unter Drogen (LSD) gesetzt worden, hätte posthypnotische Symptome gezeigt, sei dadurch zu einem automatisierten Schreiben (seines Geständnisses?) veranlasst und auch akustisch manipuliert worden. In der Zelle hätte er, eingeleitet durch einen Pfeifton Stimmen (so die echt erscheinende Stimme seines Vernehmers) gehört usw. usf. Eigenartig, dass so etwas nur ihm und einem ominösen Mitgefangenen untergekommen ist. Aber gegen das MfS hat heute schließlich jeder recht.
Und auch noch das: nach Meinung von Freya Klier sollen
„Stasi-Offiziere“ mitunter über 6.000 Mark im Monat verdient haben. 1990 wurden
die Gehaltslisten des MfS öffentlich gemacht. Jeder konnte nachsehen, dass noch
nicht einmal Minister Mielke ein solches Gehalt hatte.
Wolfgang Schmidt
17.02.2022