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Aufrichtiger wird's nicht: Spionage,
Schlapphüte und Staatssicherheit, 18.
November 2016
Von
Rezension bezieht sich auf: Der Desinformant: Erinnerungen eines
DDR-Geheimdienstlers (Taschenbuch)
Dass ein Berufs-Desinformant im Jahr 2016,
das für manche Menschen das postfaktische Zeitalter einläutete, seine
Erinnerungen unter anderem an die Abteilung X (= zehn) des MfS veröffentlicht,
ist schon mal cool.
Um am fremdwortfreien, sehr nah am Erzähler bleibenden und mit zwei
großartigen, unerwarteten Wendungen ausgestatteten Buch Spaß zu haben, sollten
Sie allerdings diese beiden Sätze ohne Grübeln einordnen können (andernfalls
werden viele Bezüge unklar sein): "Der Krieg in Vietnam war noch immer
nicht beendet. In Chile hatten am 11. September faschistische Militärs mit
Hilfe der CIA die demokratisch gewählte Regierung unter Präsident Allende
gestürzt und damit begonnen, wie der oberste Putschist Pinochet zynisch
erklärte, die Demokratie in Blut zu baden." Alles klar? Gut.
Wir befinden uns in Kopps Buch also im -- wenn man so will -- präfaktischen
Zeitalter. Geheimdienste schoben Meldungen noch über persönliche Kontakte,
unter falscher Flagge angeworbene "Quellen" und klamme
Idealisten hin und her. Ihre Kontakte markierten und reservierten sie auf
Karteikarten aus Papier, und mit einer Mischung aus Seelenmassage und
Saufgelage "schöpften sie Informationen ab" (Schlapphut-Sprech). Es gab kein Internet, keine Massendaten, keine
EXIFs und erst recht keine Smartphones. Notfalls musste ein echter Briefkasten
in einem echten Hausflur mit einem echten Schraubenzieher aufgebrochen werden.
Was mir an dem als gleichsam flüssig geschriebene Akte über den Autor
erscheinenden Buch gefällt, ist, dass es etwas nachholt, was die Großeltern
meiner Generation nicht konnten und wollten: Unverkrampft ihre Sicht des
Berufslebens aus einer Zeit erzählen, die hinterher als verbrannt galt. Hätte
sich Kopp aus Gründen, die ich hier der Spannung halber nicht verraten will,
nicht selbst ein Bein gestellt, so wäre sein Buch vielleicht eine historisch
verzettelte oder beleidigte Abrechnung oder gar Verteidigungsschrift geworden.
Doch sein Text ist ausgewogen, tipptopp lektoriert und gleitet nur ein einziges
Mal in behördliche Nominativitis ab: "Die seit
Anbeginn ihrer Existenz verfolgte Außenpolitik der Sowjetunion war auf die
Schaffung eines System der kollektiven Sicherheit gerichtet." Uff! Das ist
allerdings auch schon der einzige wuchtige Wortblock im Buch. Insgesamt ist
Kopps Text, besonders im Vergleich zu den verbogenen Lebensberichten von Erich
Honecker und Markus Wolf, aber auch vielen veröffentlichten Berichten anderer
Agenten, stilistisch und inhaltlich hundert Mal ehrlicher, freier und
lesenswerter.
Schön sind auch die Schwarzweissfotos im Buch. Dass
in der Brunnenstrasse 142 eine konspirative Wohnung
und in der Schwedter Straße 226 Büros der Auslandsaufklärung lagen
(Yuppie-Berliner*inner, aufgepasst :) ), und dass die Kosmonautin Walja
Tereschkowa eine begehrte Tanzpartnerin war: das
finde auch ich bemerkens-, berichtens-
und auf den Fotos anschauenswert.
Da im Buch öfters ein offenbar für Kopp typischer Witz durchscheint (etwa bei
der Erwähnung des großen Magens, den man in der DDR haben musste, um zu
schlucken, was eben zu schlucken war, bei der Diktatur des Kapitals und des
Proletariates sowie einigen Wodka- und Sekt-getränkten Anekdoten ("auf den
Wellen des Wässerchens")), frage ich mich, ob das ganzseitige Foto einer
geschlachteten Sau nicht auch eine Anspielung sein könnte. Vielleicht hat sich
aber auch einfach etwas aus Kopps Unterbewusstsein den Weg aufs Papier gebahnt.
Apropos Hemdsärmligkeit: 'Der Desinformant' schildert
in großem, sinnvollen Bogen seinen Weg vom dörflichen Aufwachsen in einer
"heruntergekommenen Schnitterkaserne" und
der an Typhus verstorbenen Mutter über die Weltfestpiele
der Jugend bis zur KSZE-Nachfolgekonferenz (und, ja, auch die schöne Geschichte
von Willy Brandts gekaufter Rettung). Ehrenwert finde ich dabei, dass Kopp auf
dem Weg liegende, klebrig gewordene Wollmäuse beseitigt. So erklärt er
beispielsweise die angebliche Tätigkeit von Günter Wallraff für das MfS
dadurch, dass hinter das Karteikärtchen des eben gerade nicht angeworbenen
Journalisten Informationen und Artikel einsortiert wurden, die nach 1989 als
"Akte" scheinen konnten. Desinformation? Wohl kaum. Auch für Harry
Rowohlt springt Kopp in die Bresche -- und das, wohlgemerkt, aus persönlicher
Anschauung. Kopp war dabei.
Der Ton ist dabei stets reflektiert, aber nicht distanziert. "Ich verlor
einen wichtigen IM, wir hatten uns aus Prinzipienreiterei mal wieder ins eigene
Knie geschossen", berichtet er lakonisch von einem Tag im Behördenleben. Some things never
change.
Wer auch immer das Buch so sauber lektoriert hat (vielleicht war es der Autor
selbst): Es ist schön, dass der Text immer direkt bleibt, und zwar nicht durch
erfundene Dialoge, sondern durch gerade Worte und manchmal auch
hineingeschlängelte Direktheiten. Der mitten im Text auftauchende
"Rolf" Schelkmann wäre in einem
Geschichtsbuch wohl eher Willi Rudolf Schenkmann. Doch das weiss
man eben oder nicht -- ich musste es nachschlagen und war erstaunt, wie gähnend
die Internet-Leere betreffs seiner Person ist. Ein paar weitere, sicher
gewollte Anspielungen, beispielsweise auf Versicherungsvertreter nach der
Wende, finde ich ebenfalls bemerkenswert. Dass Berufsinformant Kopp solche nur
scheinbar harmlosen Hinweise einstreut, das ist schon lässig; dass er dann auch
noch en passant erklärt, wie der Name des
"Schwarzen Kanals" entstanden sein muss, und was das mit
westöstlichem Propagandazickzack zu tun hat, ist ein weiteres, schönes
Informationsbonbon.
Kurz gesagt: Wer sich für Spionage, Schlapphüte und Staatssicherheit
interessiert, dabei aber weder durch ein Meer von Fußnoten noch Ekel erregende
Erklärungssümpfe waten möchte, dem empfehle ich den Lebensbericht von Horst
Kopp. Aufrichtiger wird's nicht.
Mark Benecke, Kriminalbiologe
DER DESINFORMANT - Spannende Einblicke in die Welt der HVA anhand des Lebensweges von Horst Kopp, 31. Oktober 2016
Von
Rezension bezieht sich auf: Der Desinformant: Erinnerungen eines DDR-Geheimdienstlers (Taschenbuch)
Die politische SPIONAGE ist ein Geschäft mit langer Tradition - und auch
Gegenstand einer Unzahl publikumswirksamer Filme. Die klassische Spionage hatte
ihre Hochzeit zweifellos in der Zeit des Kalten Krieges, den die USA und ihre
Verbündeten in den 1950-er Jahren gegen die Sowjetunion und das sozialistische
Lager entfachten. Insofern war der Aufbau der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA)
als Teil des Ministeriums für Staatssicherheit für die Erhaltung des Friedens
und für den Schutz der DDR von existenzieller Bedeutung. Der bis 1986 von Markus
Wolf (1923-2006) geführte Auslandsnachrichtendienst arbeitete ebenso effizient
wie erfolgreich und positionierte zahlreiche Spione (in wertender Abgrenzung als
"Kundschafter des Friedens" bezeichnet) in den Schaltstellen der westdeutschen
Politik und Wirtschaft. Gleiches geschah auch im Gegenzug von westdeutscher
Seite aus - doch nach dem Ende der DDR gab es natürlich neben den bösen Spionen
des Ostens die guten des Westens. Es war die Justiz des Siegers, die ab 1990 zu
Gericht saß in dem Bestreben, dem Staat DDR quasi rückwirkend jegliche
Existenzberechtigung abzusprechen, indem die souveränen Aktivitäten seiner
Institutionen komplett zu Unrecht erklärt wurden.
Horst Kopp (*1933) war als Offizier in der für "Aktive Maßnahmen und
Desinformation" zuständigen Abteilung X (10) der HVA tätig. "Unsere Abteilung X
ist ein Instrument der psychologischen Kriegsführung. Und deshalb noch geheimer
als geheim. Nur im neunten Stock des HVA-Blocks - der Chefetage der Aufklärung -
hat man von unserer Existenz Kenntnis. Im ganzen Haus und für alle Mitarbeiter
des MfS gilt: Jeder darf nur soviel wissen,
wie er zur Durchführung seiner Aufgabe wissen muss. Oder wie der Volksmund sagt:
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Selbst wenn zwei in einem Zimmer
arbeiten, weiß der eine vom anderen nicht, womit er sich beschäftigt. Die
Informationen verlaufen vertikal, nicht horizontal." (S. 10f.) Im
Einstiegskapitel berichtet Horst Kopp, der in seiner besten Zeit über 25
Inoffizielle Mitarbeiter (mehrheitlich im journalistischen Bereich - davon zwei
Drittel in der DDR, die anderen im "Operationsgebiet") führte, über seine wohl
spektakulärste Aktion: Den Kauf einer Stimme (es waren mindestens zwei) gegen
das Konstruktive Misstrauensvotum, das nach dem Willen von CDU/CSU und FDP am
27. April 1972 zur Abwahl von Bundeskanzler Willy Brandt führen sollte. Der
durch einen Nürnberger Mittelsmann mit 50000 DM zur Stimmenthaltung bestochene
CSU-Abgeordnete Leo Wagner (1919-2006) wusste allerdings nicht, in wessen
Auftrag er tätig wurde ...
Ab dem nächsten Kapitel "Wie wird einer 'Desinformant'?" beschreibt Horst Kopp
spannend und mit zahlreichen historischen Exkursen versehen seinen Werdegang,
der im FDJ-Apparat begann und auf verschlungenen Wegen über ein als
"Zentralschule der Gesellschaft für Sport und Technik" getarntes
Ausbildungs-Camp am Rande Berlins zur im Aufbau befindlichen HVA führte. Seine
erste Dienststelle auf der Schwedter Straße in der Nähe der Mauer war dann als
Vertretung des VEB Zekiwa (Zeitzer Kinderwagenindustrie)
getarnt. In den folgenden Kapiteln sind zahlreiche Stationen Horst Kopps (unter
anderem die versuchte Anwerbung von Harry Rowohlt als IM oder Aktivitäten am
Rande der KSZE-Nachfolgeverhandlungen in Madrid zwischen 1980 und 1983)
beschrieben, die interessante Hintergründe zur Geschichte der 1960-er bis
1980-er Jahre liefern. Mit Hilfe der IM "versuchte die Auslandsaufklärung bzw.
die Abteilung X primär in Erfahrung zu bringen, ob und auf welche Weise von
außen auf die DDR medial Einfluss genommen werden sollte. Und in der Umkehrung
nahmen wir Einfluss auf die Meinungsbildungsprozesse in der Bundesrepublik. Es
herrschte Kalter Krieg und Klassenkampf, auf beiden Seiten bedienten sich die
Geheimdienste der gleichen Methoden." (S. 115) Kopps HVA-Karriere endete 1985
der Liebe wegen - so klischeehaft kann das Leben sein ...
Die im VERLAG DAS NEUE BERLIN erschienenen "Erinnerungen eines
DDR-Geheimdienstlers" sind ein spannender zeitgeschichtlicher Exkurs und ein
wichtiger Beitrag zur objektiven Geschichtsbetrachtung wider der unhistorischen
Schwarz-Weiß-Malerei in der "offiziellen" Geschichtsschreibung.