"junge welt", 21.12.2002

                                                                                    Klaus Eichner

                            Ein reichhaltiges Buch zur Geschichte des

                      Bundesnachrichtendienstes

 Der Titel »Gegen Freund und Feind« ist sehr aussagekräftig für ein Buch, in dem erneut und mit vielen neuen Fakten ergänzt, ein

  Bild von den Ursprüngen und der mehr, aber wohl vor allem  weniger erfolgreichen Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes             (BND) der BRD gezeichnet wird.  

Die Autoren erheben sogar den Anspruch, eine möglichst vollständige Gesamtdarstellung der Geschichte des  bundesdeutschen Auslandsgeheimdienstes vorzulegen. Ohne Rückgriffe auf früher publizierte Standardwerke kommen sie nicht  aus, erschließen aber auch völlig neue Aktenbestände, so z.B. zur Frühgeschichte der fernmelde-elektronischen Aufklärung des BND  oder das Archiv des früheren Vizepräsidenten des BND Dieter Blötz.

 Die Verfasser hatten sich die Aufgabe gestellt, die Geschichte des BND im Kontext der politischen Geschichte der Bundesrepublik            und des Kalten Krieges darzulegen. Über weite Strecken ist ihnen das auch gelungen. Insbesondere bei der Frühgeschichte der             Organisation Gehlen gehen sie allerdings mit den Quellen zu  unkritisch um, vor allem weil sie sehr stark auf den Erinnerungen                    Gehlens aufbauen. Wer an vielen Stellen aus Gehlens Autobiographie »Der Dienst« Episoden und Wertungen übernimmt, baut keine Legenden ab, vielmehr wird so die geheimdienstliche Legendenbildung gestützt, die von einem solchen »Künstler« der Geheimdienst-Legenden und der positiven Selbstdarstellung wie Reinhard Gehlen stets zu erwarten war.  

Von großer Bedeutung für die Auseinandersetzung mit den Wurzeln der »demokratischen« Geheimdienste der Bundesrepublik sind die Darlegungen der Autoren über die Gründergeneration dieser Dienste, die sich mehrheitlich aus »erfahrenen Kämpfern« des SD, der SS und Gestapo rekrutierten. Häufig kam die nachfolgende Generation der BND­Mitarbeiter aus den gleichen Familien und war in ihren Wertvorstellungen ähnlich geprägt.        

Eine Bereicherung der historischen Forschungen zur Geschichte der deutschen Nachrichtendienste ist die detaillierte Darstellung          des zeitweiligen Konkurrenzunternehmens zu Gehlens Nachrichtendienst, des Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienstes. Er sollte im Auftrag Adenauers als von den Alliierten unabhängiger Nachrichtendienst im Amt Blank, dem Geburtshelfer der Bundeswehr, aufgebaut werden. Zugleich findet der Leser vielfältige Angaben über die Anfänge der Aktivitäten der Organisation Gehlen und des späteren BND in Konfliktregionen wie dem Balkan und dem Nahen Osten. Das hilft bei der Analyse heutiger nachrichtendienstlicher Interessen in solchen und anderen Gebieten. Gleiches trifft auf die Aussagen über die weitverzweigten Strukturen und Personalbeziehungen beim illegalen Waffenhandel des BND zu, etwa über Lieferungen in Krisengebiete oder an zwei sich bekämpfende Bürgerkriegspartelen. 

Vor allem durch die Auswertung der Hinterlassenschaft des BND-Vizepräsidenten Blötz können die Autoren tiefe Einblicke in das Zusammenwirken von Bundesregierung und Geheimdienst geben. Es geht u. a. um Parteispenden, illegale Waffengeschäfte und andere Finanzierungsquellen des Geheimdienstes außerhalb jeder offiziellen Haushaltskontrolle. Im Detail werden auch strategisch bedeutsame Operationsgebiete des BND dargestellt, so die Beziehungen zu Portugal und Spanien, zum israelischen Geheimdienst Mossad, zu Terrorregimen in Arabien, Afrika und Lateinamerika.

Im historischen Teil werden die Anfänge der technischen Aufklärung in der Organisation Gehlen beschrieben. Ein weiteres Kapitel widmen die Autoren der Entwicklung der fernmelde­elektronischen Aufklärung des BND in der Zeit nach Gehlen, einschließlich der Maßnahmen zur Dechiffrierung fremder Codes und zum Aufbau einer eigenständigen Satellitenaufklärung. Darin eingeschlossen sind auch Darlegungen zu den illegalen Praktiken der Post- und Fernmeldekontrolle des BND.

Wer aus aktuellem Anlaß noch einmal etwas über die Zusammenhänge von Geheimdiensten, illegalem Waffenhandel, Rüstungsexporten und internationalem Terrorismus nachlesen will, der sollte das abschließende Kapitel über die BND­Aktivitäten in und mit dem Irak und Libyen aufmerksam studieren. Nicht nur die CIA, auch der BND hat eine jahrzehntelange Tradition der Einflußnahme, der Ausbildung und Ausrüstung von Geheimdienst- und Polizeiorganen in Staaten, die heute zur »Achse des Bösen« gerechnet werden. Wenn ein Geheimdienst, der angeblich das oberste Ziel hat, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern, selbst immer wieder in solche Aktivitäten direkt oder indirekt involviert ist, dann darf vom Bock, der zum Gärtner gemacht wird, gesprochen werden .

Insgesamt vermittelt das Buch mit vielen Details und neuerem Quellenmaterial einen tiefen Einblick in das Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Auslandsnachrichtendienst sowohl in den Zeiten des Kalten Krieges als auch beim zähen Kampf um den Nachweis der weiteren Existenzberechtigung des Geheimdienstes nach dem Ende der Blockkonfrontation.

 

* Peter F. Müller & Michael Mueller mit Erich Schmidt‑Eenboom: Gegen Freund und Feind. Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2002, 719 Seiten, 24,90 Euro