Eine Welt der Verschwörungen ?

 

von Klaus Eichner

 

Ein in den Gesellschaftsstrukturen der westlichen Welt doch recht bewanderter früherer Bundesminister, Andreas von Bülow, legt jetzt ein Enthüllungsbuch über kriminelle Machenschaften von Geheimdiensten vor.

Was da „Im Namen des Staates“ seit Beginn und auch nach dem Ende des Kalten Krieges an Verbrechen aufgelistet und dargestellt wird, ist ein Beitrag zur Diskussion über die guten und die bösen Geheimdienste an den Fronten des geheimen kalten Krieges. Gleichzeitig wirft das Buch ein anderes Schlaglicht auf die von bestimmten Seiten populistisch geführten Diskussionen über die „Organisierte Kriminalität“. Solange die Geheimdienste des Staates bedeutende Nutznießer und Unterstützer des Drogen- und Waffenhandels, der Geldwäsche oder des Terrorismus sind, ist es mehr als scheinheilig, nach mehr staatlichen Kompetenzen für die Geheimdienste zur Aufklärung und Bekämpfung dieser Verbrechen zu rufen.

Der Autor fühlte sich durch seine frustrierenden Erfahrungen als Vorsitzender des Schalck-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zur Bearbeitung dieses umfangreichen Themengebietes veranlaßt. Diese negativen Erfahrungen betrafen vorrangig die „Auskunftsbereitschaft“ der bundesdeutschen Nachrichtendienste und ihre Anstrengungen zur Verschleierung ihres Wissens über bestimmte Zusammenhänge der Ost-West-Beziehungen. Es gereicht ihm unter den gegenwärtigen Bedingungen der anhaltenden öffentlichen Hysterie zur Bewertung der Arbeit der östlichen Geheimdienste zur Ehre, wenn er die gewollte Einäugigkeit, „nur Sachverhalte zu offenbaren, die dem Ansehen der Ostseite schädlich waren“, benennt und einen kritischen „Kassensturz“ auch für die westlichen Dienste einklagt.

 

Die umfangreichen Recherchen auf der Basis vorwiegend amerikanischer Quellen führen zu entlarvenden Zusammenhängen von Geheimdienststrukturen und -aktivitäten mit allen bedeutenden Teilbereichen der Organisierten Kriminalität. Das ist beeindruckend und erschreckend. Warum aber Andreas von Bülow mit gewagten Kombinationen und kühnen Bogenstrichen das alles auch noch zu einem internationalen Netzwerk mit den Geheimdiensten im Zentrum zusammenfassen will, ist nicht nachzuvollziehen. Daraus ergibt sich auch die Häufung von Konjunktiven, Vermutungen und einschränkenden Bewertungen in seinem Buch. Nun ist es wahrlich schwierig (aber immer empfehlenswert), eine kritische Distanz zu „Enthüllungsschriften“ über die Geheimdienste zu finden; zu viele nachrichtendienstliche und individuelle Motive führen die Feder dieser Autoren. Aber gerade diesem umfangreichen Werk wäre eine besonders quellenkritische Position dienlich gewesen. Er mußte auch nicht alle ungeklärten Vorkommnisse der letzten Jahre - vom Tode Barschels über die Ermordung Olof Palmes bis zu allen Flugzeugkatastrophen - in das Schema dieses Netzwerkes pressen.

 

Was Andreas von Bülow über die östliche Seite, insbesondere über den Gegenstand der Untersuchung des von ihm geleiteten Ausschusses des Bundestages - den Bereich Kommerzielle Koordinierung im Außenhandel der DDR - anbietet, ist nicht sonderlich seriös, bedient viele Klischees und wiederholt teilweise längst widerlegte Gerüchte und Vermutungen. Wer z.B. die Funktion des Bereiches KoKo im wesentlichen auf „Devisenbeschaffung für Stasi und SED“ reduziert, hat von der DDR-Gesellschaft nicht viel begriffen, aber das ist wohl auch nicht Aufgabe der Untersuchungsausschüsse und Enquetekommissionen des Deutschen Bundestages. Es ist auch Herrn von Bülow nicht gelungen, den Beweis zu erbringen, daß die Geheimdienste des Ostblocks auch nur annähernd in ähnliche kriminelle Machenschaften verwickelt sind, wie er es den westlichen Diensten nachweist.

Es wäre bestimmt außerordentlich hilfreich, einmal die wirklichen Bedingungen und Folgen des von den USA initiierten Technologieboykotts mit Hilfe der COCOM-Listen - als Waffe des Westens zur Abtrennung der RGW-Staaten von allen für die Produktivkraftentwicklung  bedeutenden Feldern der internationalen Arbeitsteilung - und der handelspolitisch und nachrichtendienstlich kombinierten Bemühungen der östlichen Seite zum Unterlaufen dieses  Boykotts darzustellen. Bülows Untersuchungen dazu reichen gewiß nicht aus und der von ihm geleitete Untersuchungsausschuß hatte eine politisch motivierte Aufgabenstellung mit anderen Prämissen.

 

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist das Buch ein bemerkenswerter Beitrag zur Aufhellung geheimer Seiten des Kalten Krieges. Damit sind auch die Feststellungen in den Schlußbetrachtungen des Autors zu unterstreichen, daß sich die Geheimdienste vorrangig „mit den Methoden und Instrumenten der verdeckten Durchsetzung von Machtpolitik unterhalb und außerhalb der Schwelle des Kriegsvölkerrechts“ beschäftigen. Er zieht daraus den Schluß: „Diese inoffizielle, verdeckte, reale Außenpolitik schert sich weder um nationales noch internationales Recht, geschweige denn um die Regeln des Völkerrechts und der Menschenrechte.“ Diese Sätze all jenen Bundesanwälten und Richtern in das Stammbuch, die in ihren Anklagen und Urteilen gegen Kundschafter der DDR unisono von den östlichen Geheimdiensten als den bösen, einer Diktatur dienenden und den westlichen guten, einer Demokratie dienenden Diensten ausgingen.

Ob von Bülows Hoffnungen, seine Enthüllungen mögen „die Chance nicht nur der Analyse, sondern auch der Gegensteuerung... eröffnen“, erfüllt werden, bleibt abzuwarten. Bei den gegenwärtigen politischen Verhältnissen ist dazu berechtigt Skepsis angesagt.

 

Andreas von Bülow: „Im Namen des Staates - CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste“

Piper Verlag GmbH München, 1998; 624 Seiten, geb.; ISBN 349204050-0;46,00 DM