Neues
Deutschland vom 24. Juli 2008, Seite 15 (Politisches Buch)
Tim Weiner über Pannen, Pleiten und Kosten der CIA
40 Milliarden teurer Schrott
Von Klaus Eichner
Solange wir den Nachrichtendienst eher nach der Quantität als
nach der Qualität seiner Informationen beurteilen, werden wir auch weiterhin
den 40 Milliarden teuren Schrotthaufen produzieren, der uns zu trauriger Berühmtheit
verhelfen hat.« Dieses Eingeständnis des vormaligen Leiters des
Nachrichtendienstes des US-Außenministeriums (Bureau of Intelligence
and Research, INR) Carl W. Ford jr. zitiert Tim Weiner
in seinem Buch. Es ist auch das Resümee seiner umfangreichen Forschungen zur
60-jährigen Geschichte der CIA. Er ist Journalist und arbeitet für die
renommierte »New York Times«. In den vergangenen Jahren hat es eine wahre Flut
mehr oder weniger guter Enthüllungsliteratur über die Central Intelligence Agency gegeben. Weiner
nimmt für sich in Anspruch, die »ganze Geschichte der CIA« zu präsentieren.
Dies bietet sein Buch zwar nicht, wie im vergangenen Herbst schon der langjährige
Chefhistoriker der CIA, Benjamin Fischer, auf einer Konferenz über die HVA an
der Süddänischen Universität in Odense zur amerikanischen Originalausgabe
anmerkte. Ausgeblendet hat Weiner z. B. die
Niederlagen, die der CIA vom MfS der DDR beigebracht worden sind. Ausnahmslos
alle ihrer Agenten in der DDR konnten zu Doppelagenten umgepolt werden.
Das Besondere an diesem Buch:
Es durchleuchtet gründlich das Wirken der CIA seit ihrer Gründung, unter 21
Direktoren und elf US-Präsidenten. Dahinter steckt eine immense
Rechercheleistung. Weiner hat nach eigenen Angaben
mehr als 50 000 Originaldokumente der US-Geheimdienste, des Weißen Hauses und
des US-Außenministeriums ausgewertet und eine Vielzahl von Interviews mit früheren
CIA-Direktoren und Insidern geführt. Das widerspiegelt sich in Anmerkungen und
Erläuterungen auf mehr als 160 Buchseiten, was die Lektüre allerdings etwas
erschwert. Es fällt auch auf, dass die Quellendichte ab Mitte der 70er Jahre
deutlich geringer wird - offenbar Folge der Regelungen über Sperrung bestimmter
Akten. Interviews mit mehr oder weniger subjektiven Aussagen und teils tendenziöse
Medienberichte können die Dokumentenlücken indes nicht ausfüllen. Weiner kann nicht viel messbare
Erfolge der CIA belegen, dafür eine Reihe von Misserfolgen, Fehlschlägen und
Fehleinschätzungen. Nach dem Selbstverständnis der Geheimdienstler sollten ihre
Apparate ausnahmslos Dienstleister der Politik sein.
Das kann bei richtiger Handhabung positive Wirkungen zeitigen. Doch begnügte
sich auch bzw. gerade die CIA mit der Rolle als Hure der Politik. Gefälschte
Dokumente, wider bessere Erkenntnis lancierte Informationen dienen in
Krisensituationen des Kalten Krieges und auch noch nach dem Ende der
Blockkonfrontation zur Begründung für die Auslösung von Aggressionsakten,
Staatsstreichen und für Mordaktionen weltweit. Und wenn die
Geheimdienst-Informationen nicht in das Wunschbild der Politik passten, wurden
sie entweder missachtet oder »uminterpretiert«.
Der Autor lässt uns die
zahllosen misslungenen Versuche nachvollziehen, die dazu dienen sollten, das
System der Geheimdienste der USA, die Führungsstrukturen und Einsatzstrategien
zu reorganisieren. Wenn innerhalb von sechs Jahren fünf Direktoren der CIA
wechselten, dann stellt sich die Frage, ob das ein Probleme
der persönlichen Qualifikation der jeweiligen Leiter oder der Qualität der von
ihnen zu vertretenen Politik war. Dazu kommt, dass jeder Führungswechsel in der
Spitze in der Regel auch begleitet war von Säuberungen in den darunter
liegenden Etagen des Führungsapparates, verbunden mit Verlusten an Erfahrungen,
Kompetenz und Professionalität. Weiner gewährt uns
tiefe Einblicke in die einzelnen Etappen der Geschichte der CIA. Er war gut
beraten, sie mit den Amtsperioden der Präsidenten der USA zu verknüpfen; derart
wird deutlich, unter welchen historischen Bedingungen die CIA agierte. Einschränkungen
im Verständnis und der Lesbarkeit des Buches ergeben sich aus der Qualität der Übersetzungen.
Die unbeholfenen Versuche der Eindeutschung international feststehender
Begriffe führen in nicht wenigen Fällen zu Fehlinterpretationen und
Verwirrungen.
Weiners Werk darf in der Bibliothek der Zeithistoriker und
aller interessierten Leser, die hinter die Kulissen der Geheimdienstpolitik
einer Großmacht schauen möchten, nicht fehlen.
Tim Weiner: CIA - Die ganze Geschichte. S. Fischer,
Frankfurt am Main. 850 S. geb., 22,90 €.