junge Welt vom 29.11.2004

Inland

Sturm aufs Recht

Ein Tatsachenbericht über die Besetzung der Dresdener Bezirksverwaltung des MfS vor 15 Jahren und eine siebenjährige Prozeßfarce

Horst Schneider

Am 5. Dezember 1989 besetzten Dresdner »Bürgerrechtler« nach einem Aufruf von Dr. Herbert Wagner und Arnold Vaatz das Gebäude des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in der Bautzner Straße. »Insider« beschreiben in »Sturm auf die Stasi in Sachsen« diese Ereignisse und einige der Folgen. Im Hauptteil des Buches wird der Prozeß gegen MfS-Oberst Dr. Horst Hillenhagen dokumentiert. Mit Hilfe des Völkerrechts, des Grundgesetzes und der gültigen Strafgesetze kann bewertet werden, was im »Fall« Hillenhagen vor sich gegangen ist: Ein Verfahren außerhalb grundlegender Rechtsnormen.

Die »jähe Wendung« in Hillenhagens Leben kam an jenem 5. Dezember 1989. DDR-Ministerpräsident Hans Modrow beauftragte ihn und einen Mitstreiter, die Arbeitsfähigkeit der Dienststelle wiederherzustellen, was sich als unmöglich erwies. Der erste Teil des Buches beschreibt die Vorgänge innerhalb des MfS-Dienstgebäudes. Auf manchen damaligen Teilnehmer am »Sturm« wird der Tatsachenbericht ernüchternd wirken, da er so manche Legende der »Wendehelden« wie Wagner (ab Mai 1990 Dresdner Oberbürgermeister) und Co. zum Platzen bringt. Von den damals verbreiteten Horrorstories bleibt nichts übrig.

Im Mittelpunkt steht aber die Darstellung des Gerichtsverfahrens gegen Hillenhagen. Schon im Frühjahr 1990 wurde der Verdacht gestreut, Hillenhagen habe MfS-, also Volksvermögen, veruntreut. Medien nahmen den Ball ohne Recherche auf. Im September 1990 folgte die kriminalpolizeiliche Vernehmung. Am 30. April 1992 wurde ein Haftbefehl ausgestellt und vollstreckt, obwohl der Staatsanwaltschaft klar sein mußte, daß Hillenhagen kein Unrecht begangen hatte. Es gab nur einen politischen Grund für das Vorgehen: Ein MfS-Offizier sollte öffentlich seiner Würde beraubt und der »Fall« in den gesteuerten und willfährigen Medien zu einer Hetzkampagne gegen »Stasi-Schieber« (Bild-Zeitung vom 9. Mai 1996) genutzt werden.

Auch für den juristischen Laien ist es spannend und lehrreich zu erfahren, wie bei klarer Sach- und Rechtslage aus dem Westen importierte Juristen mit Hilfe von Tricks eine lange Untersuchungshaft und -endlich - eine Prozeßfarce zu begründen imstande waren. Am 14. Mai 1996 (!) begann in Dresden die Verhandlung, zu deren Auftakt die Dresdener Morgenpost Hillenhagen fünf Jahre Haft prophezeite. Der verantwortliche Staatsanwalt Martin Uebele, dessen Arbeit vom Richter öffentlich gerügt wurde, hatte schon Hans Modrow angeklagt. Der Gipfel der Absurdität war erreicht, als sich herausstellte, daß Mitglieder des »Bürgerkomitees« - wie von Justizminister Steffen Heitmann und von Vaatz bestätigt wurde - die Handlungsweise Hillenhagens gekannt und gebilligt hatten. Damit war der Prozeß faktisch geplatzt. Das Gericht stellte das Verfahren im Februar 1997 ein, die Kosten von etwa 100 000 DM und die Haftentschädigung von etwa 4 000 DM hatte der Steuerzahler zu tragen.

Dieser und andere Prozesse dokumentieren nicht die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden, sondern den Verfolgungswahn einer inquisitorischen Siegerjustiz, die mit Politik und Medien aufs engste kooperiert. Faksimiles am Ende des Buches verschaffen davon einen kleinen Eindruck. Selbstverständlich war: So groß die Schlagzeilen bei den »Enthüllungen« waren, so vornehm zurückhaltend blieben dieselben Journalisten, als das Urteil gesprochen war.

* Günter Hoffmann: Sturm auf die Stasi in Sachsen. Ein Tatsachenbericht. GNN-Verlag, Schkeuditz 2004, 153 Seiten, 9 Euro