Das Leid des Herrn Leide unter dem Seziermesser des „Anti-Leide" Aufguß eines bekannten Gebräus |
Das Buch von Henry Leide „NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR", dem die Autoren des Anti-Leide ihre analytische Aufmerksamkeit widmen, gehört in die Reihe auftragsgemäßer Publikationen, welche darauf abzielen, die DDR zu delegitimieren. Es geht im besonderen um die anhaltende Attacke, den Antifaschismus der DDR in Frage zu stellen. Man weiß bundesdeutscherseits genau um das Gewicht, das dieser für deren Legitimität besitzt.
Leide hat sich im Schwerpunkt des Themas angenommen, wie und auf welche Weise ehemalige Anhänger der Nazis vom MfS angeworben wurden, um für die Sicherheit der DDR insofern tätig zu werden, daß sie zu organisierten Feinden der DDR in der BRD Zugang fanden und für entsprechende Informationen sorgten. Diesen Teil des Buches untersuchen die Autoren nicht. Sie haben sich der Absicht Leides gewidmet, die Aburteilung nazistischer Verbrecher durch die DDR-Justiz als „Propagandaveranstaltungen" zu diskreditieren. Das veranlaßte ihn dazu, sich mit einem dieser Verfahren besonders zu beschäftigen. Es handelt sich um die Strafsache gegen den einstigen SS-Obersturmführer Heinz Barth, der an dem Massaker im französischen Oradour-sur-Glane beteiligt war. Am 10. Juni 1944 hatte ein SS-Kommando die Ortschaft überfallen, um für Widerstandsaktionen französischer Patrioten Vergeltung zu üben. Fast die gesamte Bevölkerung wurde ermordet, Oradour dem Erdboden gleichgemacht.
Nach langwierigen Ermittlungen gelang es der DDR, einen der SS-Täter ausfindig zu machen, was zu einem Strafprozeß gegen ihn führte, der am 7. Juni 1983 mit der Verurteilung Barths zu lebenslanger Freiheitsstrafe endete. Leide will nun beweisen, daß dieses Verfahren mit dem Ziel in Szene gesetzt wurde, die Verfolgung weiterer NS-Täter in der DDR zu verhindern und andererseits die BRD wegen ihrer Untätigkeit auf diesem Gebiet bloßzustellen. Die Autoren des „Anti-Leide" waren insofern persönlich angesprochen, als sie in dieser Sache und einigen anderen Fällen selbst aktiv gewesen waren. Hans-Herbert Nehmer hat z. B. als Richter im Strafverfahren gegen Barth gewirkt. Kennzeichnend für die von Leide betriebenen Nachforschungen ist die Verbreitung von Halbwahrheiten. Die besondere Schwierigkeit bestand darin, diese exakt nachzuweisen. Bis ins Detail mußten Leides Formulierungen geprüft werden, um zu zeigen, wie voreingenommen er mit Tatsachen und der Wahrheit umgegangen ist. Daß der „Anti-Leide" in manchen Passagen nicht leicht zu lesen ist, hängt mit der Notwendigkeit zusammen, die Manipulationen Leides minutiös darzulegen, was viele Querverweise erforderlich machte.
Eine zentrale Stelle in Leides Fabrikat nimmt der Vorwurf ein, das Gericht habe zwei Komplizen Barths ermittelt und sie eindringlichen Vernehmungen ausgesetzt, diese aber im Verfahren dann nicht als Zeugen geladen. Der Autor des allein auf die Abwertung der DDR zielenden „Werkes" behauptet, diese beiden Personen habe man absichtlich vor Gericht herausgehalten, weil die Gefahr bestanden hätte, „daß deren eigene Taten in der medienwirksam inszenierten Hauptverhandlung zur Sprache gelangt wären. Man befürchtete Negativschlagzeilen in der Westpresse". Die Autoren des „Anti-Leide" machen deutlich, daß unauflösbare Widersprüche in den Aussagen der beiden SS-Angehörigen eine Zeugenschaft im Verfahren ebensowenig zuließen wie ein Vorgehen gegen sie selbst. Im übrigen müsse die Frage, warum wohl die BRD nach dem Anschluß der DDR kein Strafverfahren gegen diese ehemaligen Nazis eröffnet habe, aufgeworfen werden. Dieses wäre doch ein schlagender Beweis für die von Leide der DDR angelastete Nichtverfolgung von Tätern aus politischen Gründen gewesen. Die Autoren konstatieren: „Angesichts der konkreten Beweislage hätte sich kein Gericht der BRD gefunden, die beiden ,Verdächtigen' zu verurteilen." Außerdem handelt es sich um ein Beispiel für die Absurdität der Behauptung, die DDR habe Hunderte Nazis versteckt gehalten, um in Sachen Antifaschismus mit „weißer Weste" dazustehen. Das hohe Niveau der Zurückweisung solcher Unterstellungen im Zusammenhang mit der Strafsache Barth steht für die Auseinandersetzung mit seinem gesamten Machwerk. Typisch ist, daß Leide die von ihm behandelten Vorgänge und Dokumente mit Wertungen belegt, die der DDR grundsätzlich politische Bösartigkeit unterstellen. Sein Vorgehen in der Angelegenheit Barth kann als exemplarisch für die Beurteilung dieser Methodik betrachtet werden. Das hier rezensierte Buch enthält im Anhang eine wichtige Dokumentation. Sie bestätigt die korrekte Durchführung des Strafverfahrens gegen Barth - das Urteil ist im Wortlaut abgedruckt -, und läßt den Leser anhand der Akten des MfS die mühselige und gewissenhafte Kleinarbeit nachvollziehen, die zur Täterermittlung und -Überführung erforderlich war. Der in der bundesdeutschen Öffentlichkeit vorherrschende Standpunkt, das MfS habe die Strafjustiz der DDR gesteuert, wird ad absurdum geführt. Was in der Chronik der DDR längst Geschichte war - bis zum Jahre 1955 sind Kenntnisvermerke von Politbüromitgliedern auf bestimmten Urteilsentwürfen bekannt -, verlagert der Mitarbeiter der Birthler-Behörde Dr. Gieseke einfach in spätere Jahrzehnte. Am 21. 10. 2005 schrieb er an Oberrichter Nehmer: „Der ganze Ablauf des Prozesses gegen Barth erweckt bei mir vielmehr den Eindruck, daß das Strafmaß aufgrund der intensiven Ausstrahlung des Verfahrens nach Frankreich und in die Bundesrepublik nicht auf der Richterbank, sondern im Politbüro festgelegt wurde." Vorurteile sind, wenn es gegen die DDR geht, offenbar unausrottbar.
Prof. Dr. Detlef Joseph
Horst Busse, Hans-Herbert Nehmer, Dieter Skiba: Herrn Henry Leides Umwälzung der Geschichte der DDR -„Anti-Leide", Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung e. V. (Hg.), Berlin 2007, 212 S., 6,- Euro