Leicht gekürzt veröffentlicht in: „junge Welt“, vom 04.03.2010, Feuilleton, Seite 13

 

Wider das ‚Stasisyndrom’ – Dialog statt Attacke

Rezension zu:  Werner Großmann, Wolfgang Schwanitz (Herausgeber), „Fragen an das MfS. Auskünfte über eine Behörde“, edition ost, Berlin 2010, 400 Seiten, ISBN 978-3-360-01813-7, 17,95 €

Dr. Lothar Tybl, Berlin, 28. Februar 2010

 

Der Alleinvertretungsanspruch der BRD gegenüber der DDR wurde 1990 entgegen offizieller Beteuerungen nicht aufgegeben, sondern als ideologischer Kampf zur Delegitimierung  der DDR fortgesetzt. Diesem Ziel, so weist das von Werner Großmann und Wolfgang Schwanitz herausgegebene Buch, „Fragen an das MfS“ nach, dienen die bereits 20 Jahre anhaltenden Attacken gegen das Ministerium für Staatssicherheit. Der immer wieder herausgestellte Milliardentransfer zur Unterstützung der neuen Bundesländer wird inzwischen von einem regelrechten  ‚Stasisyndrom’ begleitet. Dessen vielfältige Erscheinungen in Politik, Renten-recht, Geschichtsschreibung, Presse, Film, Funk und Fernsehen zu diagnostizieren, ist ein wichtiges Anliegen der brisanten  400-seitigen Publikation.

Immer mehr verantwortungsbewusste Politiker, Historiker und Bürger ziehen gegen das ‚Stasisyndrom’ zu Felde, weil es das politisch-geistige Leben vergiftet. Notwendig sei die Bündelung aller dieser Aktivitäten, um der demokratischen und sozialen Entwicklung nach dem Vollzug der staatlichen Einheit dienlich zu sein. Insofern geben die „Fragen an das MfS“ notwendige Antworten auf aktuelle Probleme des Vereinigungsprozesses.

Die Herausgeber wählten dafür die ungewöhnliche Form der losen Aneinanderreihung von knapp 200 Fragen, die einstigen Mitarbeitern des MfS in hunderten Gesprächen und Foren gestellt wurden. In ihrem Vorwort sprechen sie die Hoffnung auf Toleranz, Einsicht und gerechten Umgang aus. Die überraschend selbstkritischen und zugleich polemischen Antworten von 27 leitenden Mitarbeitern des MfS werden dieser Hoffnung gerecht. Obwohl die persönliche Betroffenheit mitunter die Feder führt, vermeiden sie abschließende Wertungen und leisten dadurch einen  notwendigen Beitrag zur Versachlichung der laufenden Diskussionen um die DDR- und MfS- Geschichte.

Dass sich ‚Insider’ des MfS der Flut berechtigter Kritiken und unberechtigter Vorurteile stellen,  ist anerkennenswert. Vielen internationalen Beobachtern sind die unentwegt vorgetra-genen Verleumdungen und Diffamierungen gegen die schon 20 Jahre tote DDR und ihr Ministerium für Staatssicherheit ohnehin unverständlich. Nicht wenigen einstigen DDR- Bürgern hängen sie - ‚auf Deutsch gesagt’ -  langsam zum Halse heraus. Gefordert werden von den Autoren anstelle ‚knabenhafter Hasstiraden’ keineswegs  Schlussstriche in den Geschichtsdebatten, sondern in sich schlüssige, wissenschaftlich überzeugende, den ‚Opfern und Tätern’ gerecht werdende Aussagen zur Rolle des MfS. Genau deshalb ist die Publikation einem breiten Leserkreis zu empfehlen. Nach dem Erscheinen des etwas schwerblütigen zweibändigen Werkes „Die Sicherheit“ (2002) liegt nun ein inhaltlich ebenso sachlicher, aber leicht lesbarer Text zur nüchternen Bewertung und ‚ideologischen Entspannung’ über die Aufklärungs- und Abwehrtätigkeit des MfS vor.

Dass Insider des MfS ihre Meinung publizieren können, wissen sie als demokratische Errungenschaft der Bundesrepublik zu schätzen und zu nutzen. Den tonangebenden Meinungsmachern im Bund, in den Ländern sowie in den Massenmedien wird nahe gelegt, das ‚Stasisyndrom’ nicht weiter als ‚Blitzableiter’ für grundlegende Fehler, Sorgen und Hemmnisse im Vereinigungsprozess zu missbrauchen. Würden die vehementen Kritiken am Umgang der DDR mit Andersdenkenden, Oppositionellen und vermeintlichen Gegnern ernst genommen, ginge es um einen sachlich-kritischen Dialog,  statt um ideologische Attacken und Ausgrenzungen. Möglich wäre es, das ‚Stasisyndrom’ mit soliden Darstellungen über die international eingebettete gesamtdeutsche Nachkriegsgeschichte und die in sie verflochtene Auseinandersetzung zwischen den östlichen und westlichen Geheimdiensten zu heilen.

Die vielschichtigen Antworten auf die „Fragen zum MfS“ sind darüber hinaus Bausteine für eine konkret-historische Einschätzung der Rolle des Staatssicherheitsdienstes und seines Verhältnisses zur führenden Partei beim  Aufbau und bei der Niederlage des DDR- Sozialis-mus. Die Autoren wenden sich an die Linken, den Zusammenhang von SED, DDR-Staat und Staatssicherheit in ihren aktuellen Geschichts- und Parteiprogramm- Debatten ohne Vorbehalte und gründlicher zu analysieren. Der in dem Buch anklingende Vorwurf, das MfS zum ‚Sündenbock’ der DDR-Geschichte freigegeben zu haben, sollte ausgefochten werden. Abschließend ziehen die Autoren einige Schlussfolgerungen, die nach ihrer Auffassung als geschichtliche Lehren für einen ‚modernen’ Sozialismus Beachtung finden könnten.