junge Welt vom 12.09.2005

Feuilleton

Erst Gegner, dann Freunde

Ein ehemaliger CIA-Agent und sein DDR-Vernehmer haben gemeinsam ein Buch geschrieben

Peter Wolter

Es dürfte wohl ziemlich einmalig sein, daß sich ein ehemaliger Geheimagent mit dem Offizier der gegnerischen Spionageabwehr anfreundet, der ihn zur Strecke gebracht hat. Noch seltener, wenn nicht sogar wirklich einmalig, dürfte sein, daß beide gemeinsam ein Buch schreiben.

Ein solches Buch liegt jetzt vor: »Verheizt und vergessen - Ein US-Agent und die DDR-Spionageabwehr«, geschrieben von dem früheren CIA-Agenten Hannes Sieberer und dem ehemaligen Oberstleutnant im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Herbert Kierstein. Der Österreicher Sieberer war in den 70er Jahren von der CIA angeworben worden, um einen Agenten in der DDR zu führen. Deren Spionageabwehr kam ihm auf die Schliche. Er wurde verhaftet und 1983 zu 15 Jahren Haft verurteilt. Zwei Jahre später wurde Sieberer in einem großen Agententausch in den Westen entlassen.

Nach dem Ende der DDR nahm er Kontakt zu Kierstein auf. »Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine intensive Beziehung, die wir per Brief, Telefon und schließlich per E-Mail am Leben hielten«, schildert Kierstein in dem Buch. »Er suchte nach ehrlichen Antworten. Er wollte wissen, warum wir alles so und nicht anders gemacht hätten. Wir versuchten gemeinsam die Geschichte, die uns zusammengeführt hatte, zu erhellen oder wie das modisch heißt: aufzuarbeiten. Und das geht nur dann partnerschaftlich und ehrlich, wenn sich keiner der Beteiligten auf einer anderen, höheren Warte wähnt.«

Korrekte Behandlung

Sieberer erläutert in seinen Beiträgen denn auch, wie es dazu kam, daß er sich schon in sehr jungen Jahren auf die CIA eingelassen hatte, wie er ausgebildet wurde und wie seine Spionageaufträge abliefen. Kierstein steuert die Darstellung von Fahndungsmethoden bei, ergänzt durch seine konkreten Erinnerungen an diesen Fall. Immer wieder kommen beide auf Sieberers Haftzeit im Gefängnis zurück. Denn beide haben ganz anderes zu erzählen als das, was heute kampagnenartig immer wieder der DDR und dem MfS vorgehalten wird.

Aus Sieberers Schilderungen ergibt sich folgendes Bild: Die DDR war ein souveräner Staat, der jedes Recht hatte, Spionage zu unterbinden. Im Gegensatz zu den Erwartungen der CIA war das MfS hochprofessionell - sowohl in der Qualifikation der Mitarbeiter als auch in den technischen Fähigkeiten. Verhaftung, Vernehmung und die Behandlung beim Prozeß und in der anschließenden Haft waren korrekt. Willkürakte von MfS-Offizieren oder von Seiten des Gefängnispersonals gab es nicht. Sieberer hat weder Folterzellen erlebt noch gesehen noch über andere Häftlinge davon gehört. Die DDR-Gefängnisse waren nicht angenehm, entsprachen nach seinen Schilderungen aber etwa dem BRD-üblichen Standard. Er hält zu dem Thema wissenschaftliche Distanz. Sieberer hat 1990 an der Universität Innsbruck zu dem Thema promoviert, das sein Leben geprägt hatte. Titel: »Geheiminstrumente des Friedens. Nachrichtendienste in den internationalen Beziehungen. Ihre Zulässigkeit und ihr Wesen unter Berücksichtigung eliten- und kommunikationstheoretischer Aspekte.«

Anklage gegen die CIA

»Verheizt und vergessen« heißt das Buch. Dieser anklägerische Titel bezieht sich nicht auf die DDR, sondern auf Sieberers Auftraggeber, die CIA, die jeden Kontakt abbrach, als die Falle zugeschnappt war. Der Austausch auf der Glienicker Brücke dürfte das letzte Mal gewesen sein, daß die CIA für Sieberer einen Finger gerührt hatte. Das Buch ist insgesamt eine Anklage gegen die CIA. Sieberer versuchte nach dem Austausch vergeblich, wieder Kontakt zur CIA aufzunehmen - man kannte seinen Namen angeblich nicht. Welch ein Unterschied zur Auslandsaufklärung der DDR, der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) im MfS. Die im Westen verhafteten DDR-Bürger wurden intensiv durch die diplomatischen Vertretungen der DDR betreut, ihre Familien großzügig unterstützt. Diese Rundumbetreuung setzte sich nach der Rückkehr in die DDR fort. Die DDR gibt es nicht mehr - der Zusammenhalt von HVA-Offizieren und ihren im Westen eingesetzten Agenten hat aber auch den Zusammenbruch des Sozialismus überstanden. Es gibt immer noch eine Vielzahl persönlicher Kontakte, enge Freundschaften, regelmäßige Treffen im kleinen oder im größeren Kreis. Und wenn es bei dem einen oder anderen mal finanziell oder im persönlichen Bereich klamm wird, dann helfen die Genossen. Auch in dieser Hinsicht unterscheiden sich sozialistische und imperialistische Geheimdienste.

* Hannes Sieberer/Herbert Kierstein: Verheizt und vergessen. Ein US-Agent und die DDR-Spionageabwehr, edition ost 2005, 224 Seiten, 14,90 Euro