Neues Deutschland
vom 1. November 2007, Seite 13 (Feuilleton)
Die Akademie und die Stasi oder Das Kaninchen aus dem Hut
Wissen, frei sein
Von Irmtraud Gutschke
lst das die Stasi oder was, fragte eine Frau hinter mir, als jemand von verschiedenen Seiten in den Saal fotografierte. Ihre Freundin lachte. Mein Nachbar zur Rechten schaute auf die Uhr: Passt doch niemand mehr rein hier, wann fangen sie endlich an? Später würde er die Hände stillhalten, wenn der Mann links neben mir klatschte und umgekehrt. Was erwartet man von einer Veranstaltung unter dem Titel »Die Akademie und die Stasi«? Medienwirksam sollte es erst einmal klingen, gab Akademiepräsident Klaus Staeck zu, »um dann das Kaninchen aus dem Hut zu holen und zu sagen: So doll war es damit nicht«. Er hatte Marianne Birthler und Matthias Braun von der BStU eingeladen, den Bundesminister a. D. Egon Bahr sowie als Akademiemitglied aus dem Osten den Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase. Vielleicht wurde mancher aus dem Publikum sogar enttäuscht, weil auf dem Podium mehr Nachdenklichkeit als Abrechnungswut war. Schon bevor die Diskussion richtig losging, setzte Egon Bahr seine Prämisse: Nicht zuletzt wegen der zugespitzten Stasi-Debatten nach 1989 sei das erklärte oberste Ziel, die innere Einheit Deutschlands, immer noch in weite Ferne gerückt. Ein politischer Fehler sei das gewesen, kaum mehr reparabel. Ob Marianne Birthler in der ersten Reihe da noch so freundlich lächeln konnte wie bei ihrem Grußwort? (Später wurde die Institution, der sie vorsteht, auch noch »Stasi-Behörde« genannt - und das von einem Mann aus dem Publikum, der ihr doch bloß beipflichten wollte.)
Vom Rednerpult herab hatte sie betont, wie wichtig der Diskurs über die »zweite deutsche Diktatur im 20. Jahrhundert« doch sei. Ihre magentafarbene Jacke fast Ton in Ton mit der Beleuchtung des Brandenburger Tors. Durch die großen Fenster des Akademie-Plenarsaals am Pariser Platz kann man sehen, wie Taxis davor halten, Leute zusammenstehen (nebenan im Adlon ist was los) und Radfahrer hindurchfahren. Mag die lila-rosa Illumination auch kitschig wirken, sie ist doch allemal besser als das kalte Scheinwerferlicht von einst.
Vielleicht haben diejenigen im Saal, die zu DDR-Zeiten in der Akademie der Künste gewesen sind, mitunter die Achseln gezuckt. Was der Literaturhistoriker Mat-thias Braun, Mitarbeiter der BStU, für sein Buch »Kulturinsel und Machtinstrument. Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit« in jahrelanger Forschungsarbeit aus Archivbeständen der Akademie, des Bundesarchivs und der BStU zusammengetragen hat, ist etwas schriftlich Festgehaltenes. Dagegen steht die Vielschichtigkeit eigener Erinnerungen. Dass SED und MfS in die Akademie hineingewirkt haben, dürfte ohnehin nicht verwundern. »Wollen wir uns doch darüber im Klaren sein, dass es in der DDR keine Organisation gegeben hat, die außerhalb des Systems der politischen Kontrolle existieren konnte«, so Egon Bahr in seiner erfrischenden Direktheit. Wolfgang Kohlhaase: »Das Primat der Politik war geltende Verabredung und nicht jeden Tag ein Umstand des Erschreckens.« Im Übrigen habe die fleißige Informationstechnik auch Desinformation erzeugt. »Es wurde sehr viel Papier beschrieben und es wurden sehr kleine Brötchen gebacken. Die DDR ist mit 200 Vokabeln regiert worden, größere Gemeinwesen werden mit 400 Vokabeln regiert.«
Wie er da mit lächelnden Augen auf dem Podium saß und auf jede Frage der Moderatorin Astrid
Kuhlmey gelassen reagieren konnte, hat er von seinen
Ost-Künstlerkollegen
gar keine Unterstützung gebraucht. Ein Mann, der sich sicher ist. Frei. Vielleicht
seit jeher, weil gewohnt, die Dinge zu durchdenken und sich nicht beirren zu
lassen. Überhaupt: Die
Debatte, so ernst und kontrovers sie verlief, war erstaunlich unverkrampft.
Klaus Staeck, der mit 18 aus der DDR geflohen ist,
hat sich nie gefürchtet, mit der
eigenen Meinung anzuecken. Egon Bahr kann sowieso niemand was vormachen. Der
kennt nicht bloß die BRD,
sondern auch die DDR in ihren Feinheiten besser als andere. Wenn ihm jemand
aufgeregt kommt, sagt er schlicht: »Wir haben in dieser Frage unterschiedliche
Auffassungen.« Matthias Braun sah sich zwar mehrmals in
der Pflicht, etwas geradezurücken, wenn von Freiräumen und subversivem Verhalten in der
DDR-Akademie die Rede war - im Schriftstellerverband habe es noch radikalere
Auseinandersetzungen gegeben, so Wolfgang Kohlhaase
-, aber wer so akribisch gearbeitet hat wie er, kann auch für sich selbst Gewinn verbuchen an
Einsicht, differenziertem Verstehen. Dass sein Buch »keine Polemik, sondern Analyse« sei, wurde an diesem Abend mehrfach
lobend hervorgehoben. »Man wünschte sich Straffung, konturierende Wertung«, hieß es in einer ersten Rezension, die
vielleicht gerade den Vorzug von Brauns Herangehen verkannte: eine Fülle von Material zusammenzustellen und die
Fakten sprechen zu lassen.
Frau Birthler sollte ihm dankbar sein: Mit seinen Forschungsprinzipien - Abkehr von der vereinfachten Täter-Opfer-Perspektive, sorgfältige Rekonstruktion historischer Kontexte - dient er dem Renommee ihrer Behörde, die sie ja vor der Übernahme ins Bundesarchiv bewahren will. Deshalb lässt sie derzeit keine Gelegenheit aus, die öffentliche Wichtigkeit der BStU zu betonen. Kaum scharfe Töne kamen von ihr an diesem Abend, keine Unerträglichkeiten wie unlängst in der Talkshow von Anne Will, die DDR-Bevölkerung hätte in einem überdimensionalen Laufställchen gelebt, sondern das sogar einleuchtende Argument, jedem zugängliche Akten würden vor ungerechtfertigten Verdächtigungen bewahren. Aber es ging eben doch nicht allen so wie Klaus Staeck, auf den die Lektüre seiner Akte befreiend wirkte.
Wissen, frei sein - wie schön. Wenn niemand unter Druck gesetzt wäre, zu neuerlicher Anpassung erpresst. Aber es ist um Ausgrenzung gegangen, damit ja keiner der »Ehemaligen« den Kopf zu heben wagt, eventuell die BRD nicht gut zu finden. Ihr seid erst einmal still, war die Warnung, jetzt haben andere das Sagen. Nicht um Moral ging's, die jeden betrifft, sondern um Machtverhältnisse. »1990 haben wir in Westdeutschland nicht alle DDR-Menschen gebraucht. An die 16 Millionen konnten wir härtere Maßstäbe anlegen, als wir es bei den Nazis getan haben«, stellte Egon Bahr fest und zitierte Goethe von 1813: »Verfluchtes Volk! Kaum bist du frei, so brichst du in dir selbst entzwei. War nicht der Not, des Glücks genug, deutsch oder teutsch, du wirst nicht klug.«
»Welche Mitspracherechte räumte das Regime der Akademie ein?«, wurde auf der Einladung zur Veranstaltung gefragt. Wie ist es derzeit um das Verhältnis von Geist und Macht bestellt?, könnte man die Antwort weiterdenken. Die Akademie der Künste steht in der Verpflichtung, die Politik zu beraten. »Haben Sie schon mal einen Politiker gesehen, der sich beraten lassen möchte?«, sagte Klaus Staeck in den Beifall des Publikums hinein. »Es gibt ja fast alles bei uns. Aber wohin geht das Bemühen - in Richtung Aufklärung oder geht es vor allem darum, den konsumfreudigen Bürger bei Laune zu halten?«
Die DDR ist nun schon über 17 Jahre Vergangenheit. Wer bewusst in ihr gelebt hat, den wird sie noch lange beschäftigen. Doch, so Wolfgang Kohlhaase, wenn Vergangenheit in zu große Verkürzung gerät, kann man daraus nichts lernen. »Die DDR ist gescheitert aus Gründen, aber der Sozialismus ist auch mit Gründen zur Welt gekommen.«
Matthias Braun: Kulturinsel und Machtinstrument. Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit. Vandenhoeck & Ruprecht. 464 S., 29,90 €