jungeWelt

14.07.2007 / Schwerpunkt / Seite 3

Brunnenvergifter am Werk

Die Birthler-Behörde dilettiert vor sich hin und macht sich von Tag zu Tag überflüssiger. Sie verhindert die wissenschaftliche Aufarbeitung

Werner Großmann

Der am 29. Juni veröffentlichte Bericht der »Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR« (BStU) über die »Rosenholz«-Dateien beweist erneut die Unfähigkeit und Inkompetenz dieser Behörde. Sie ist unfähig, Geschichte, Aufgaben und Ergebnisse der Hauptverwaltung A (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu erarbeiten und zu bewerten.

Jahrelang hatten fünf hochbezahlte Mitarbeiter dieser Behörde, die landläufig nach ihrer Leiterin Marianne Birthler benannt ist, Unterlagen des Auslandsgeheimdienstes der DDR studiert. Das Material war auf mysteriöse Weise dem US-Geheimdienst CIA in die Hände gefallen, der es lange Zeit bearbeitete und dann unter der Bezeichnung »Rosenholz«-Datei der BRD übergab. Anlaß genug für die Medien, Sensationelles zu wittern. Die Berliner Zeitung etwa wußte zu berichten, das Material enthalte »Namen von Zehntausenden Mitarbeitern« (13.Mai 2003); Bernd Schmidbauer, Geheimdienstkoordinator in der Regierung Kohl, kündigte gar die Enttarnung von 2000 Agenten an (Berliner Morgenpost, 22. März 2004); Und Der Spiegel jubelte: »Das sind die Kronjuwelen« (18. April 2005). Welch ein Anspruch an die Mitarbeiter der Birthler-Behörde, das nun auch wissenschaftlich zu belegen!

Finte der CIA?

Für die ehemaligen Angehörigen der HVA war von Anfang an klar, daß solche Erwartungen nicht erfüllt werden können. Erstens gibt es das Material inhaltlich nicht her, und zweitens können Außenseiter, wie es die Birthler-Leute nun einmal sind, manches nicht verstehen. Drittens: Die übergebenen Dateien wurden mit Sicherheit von der CIA manipuliert, was ihren Wahrheitsgehalt enorm entwertet. Von solchen Einwänden wollte Behördenchefin Birthler jedoch nichts wissen, statt dessen kündigte sie neue Checks der Bundestagsabgeordneten an, vor allem der westdeutschen. Also machten sich ihre Leute an die Arbeit.

Dann wurden Sensationsmeldungen in die Medien lanciert. Da hieß es z. B., die HVA habe im 6. Deutschen Bundestag (1969-1972) 49 Abgeordnete als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) registriert gehabt. Für sie habe es jeweils eine »Arbeitsakte« gegeben, argumentierte die Birthler-Behörde, also seien sie IMA gewesen. Als jedoch bekannt wurde, daß es sich dabei vorwiegend um Prominente wie Helmut Kohl (CDU) und Helmut Schmidt (SPD) handelte, ruderte die Birthler-Behörde zurück und behauptete nun, diese Personen seien lediglich »abgeschöpft« worden.

Aber von wem und wie? Ja, woher sollte man das wissen! Bis heute ist für Insider unklar, wie die Birthler-Behörde überhaupt eine Registratur »IMA« entdecken konnte - eine solche gab es nämlich in der HVA gar nicht. Oder ist das etwa eine Finte der CIA? Die in Aussicht gestellten Enthüllungen blieben jedenfalls aus, worauf in der Öffentlichkeit gleich spekuliert wurde, Frau Birthler halte bewußt belastendes Material zurück, um Prominente zu schützen. Wie sollte die Behörde aus diesem Dilemma herauskommen? Die Lösung war, das Problem an die im Hause beschäftigten Wissenschaftler weiterzureichen. Die erarbeiteten ein neues Pamphlet, und wir dürfen weiter mutmaßen.

Lediglich Unterlagen aus Gerichtsverfahren der 90er Jahre geben zu betroffenen Personen einigermaßen glaubwürdige Auskunft. Die Fakten, die die Birthler-Behörde darüber hinaus entdeckt haben will, bleiben im Bereich der Vermutung und Spekulation. Das gilt auch für die erwähnten 49 Abgeordneten: Im Bericht heißt es beispielsweise, bei mindestens zehn liege »die Schlußfolgerung nahe, daß die HVA direkt mit ihnen Beziehungen unterhalten hat«. Warum nur zehn, warum nur diese und warum keine anderen? Darüber gibt das angebliche Kronjuwel keine Auskunft. Und diejenigen, die es wirklich wissen, sagen es nicht. Heute nicht und später auch nicht - das erfordert ihr Ehrenkodex. Eine Aussage des Berichts allerdings können sie durchaus bestätigen: Daß die HVA im 6. Deutschen Bundestag »eine bemerkenswerte dichte Innenansicht« hatte und »informatorisch stets auf der Höhe der Zeit« war. Das gilt übrigens nicht nur für den 6. Bundestag.

Zutreffende Erkenntnisse

Und was gibt dieser »wissenschaftliche« Bericht noch her? So u.a. eine seitenlange Auflistung der von der HVA

angelegten Karteikarten und Statistikbögen sowie ihrer Beschriftung.

Gerechterweise muß darauf verwiesen werden, daß es im Bericht auch zutreffende Erkenntnisse gibt. Etwa dieser Art: »Das Fehlen akademischer Geheimdienstforschung sowie die journalistische Dominanz haben zur Mythen- und Legendenbildung in der öffentlichen Wahrnehmung beigetragen, die noch heute wirkmächtig ist.« Oder, daß der Leiter der »Gedenkstätte« Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, seine These von der »unterwanderten Republik« zurückgenommen hat. Seine in einem gleichnamigen Buch verbreitete Behauptung habe sich nicht bewahrheitet, daß es in der BRD damals 20000 bis 50000 Agenten gegeben habe. Heute gehe man von etwa 1500 Kontaktpersonen aus, die Ende der 80er Jahre für die DDR gearbeitet haben.

Selbstkritisch klingt die Feststellung, bisherige Forschungen seien nicht in den Kontext der Zeitgeschichte gestellt worden, es gebe die Tendenz, Geheimpolizei und Nachrichtendienst der DDR isoliert zu betrachten. Oder: »Sicherlich wird der vornehmlich nachrichtendienstlich geführte Kalte Krieg ohne Berücksichtigung des westlichen Gegenparts unverständlich bleiben; auch dieses Duell gilt es näher zu beleuchten.«

Und es gibt noch einige richtige Erkenntnisse, etwa der Art: »Gut zwei Drittel (der IM der HVA) hatten ideelle Motive«. Oder »Der tatsächliche Einfluß (der HVA, d. Red.) auf Grundsatzentscheidungen, wie z.B. Westanbindung und Nachrüstung« wird als »unerheblich« eingestuft. So war es auch - die HVA hatte die Absichten der gegnerischen Seite aufzuklären. Die daraus abzuleitende Politik war nicht ihre Zuständigkeit.

Typischer Arbeitsstil

Zum Schluß wird die zeitgeschichtliche Bedeutung von »Rosenholz«am Beispiel des 1974 verhafteten Kanzlerlamtsagenten Günter Guillaume illustriert. Dieser Satz sagt eigentlich alles: »Rosenholz kann in diesem Fall zu dem vorhandenen Bild kleinere Akzente beitragen.« Diese Akzente sind eingegangene Informationen oder die Zahl der angeblich vorhanden gewesenen Akten, woraus der Schluß gezogen wird, Guillaume sei nur eine »mittelmäßige« Quelle gewesen.

Das ist typisch für den Arbeitsstil der Birthler-Behörde: Es wird gezählt und gewertet - aber ohne inhaltlichen Bezug. Und was weiß die Behörde davon, was die HVA tatsächlich erfahren hat? Es gab auch viele mündlich übermittelte Informationen, die in der Datei »Sira« gar nicht erfaßt sind. Können die wichtiger gewesen sein als die schriftlich fixierten? Und noch einmal zu Guillaume: Ob es von uns ursprünglich geplant war oder nicht - er wurde Referent des Bundeskanzlers.

Was für eine Position! Und die soll nur mittelmäßiges Gewicht gehabt haben? Der Birthler-Behörde ist es offenbar nicht wichtig, ob viele oder wenige Informationen übermittelt wurden, ob ihr Inhalt bedeutend war oder nicht. Für uns aber war wichtig, daß Guillaume in eine Position aufgerückt war, die mitunter allergrößte Bedeutung gehabt hätte.

Die wichtigste Feststellung im Bericht ist nach meiner Auffassung folgende: »Die kaum überschaubare Anzahl von Publikationen über Hauptakteure der Westarbeit des MfS, über Strukturen und wichtige inoffizielle Mitarbeiter darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Forschung noch in ihren Anfängen steckt. In den Anfängen? Nein, so wie sie bisher betrieben wurde, ist sie schon am Ende. Ihren wissenschaftlichen Offenbarungseid hat die Birthler-Behörde erst vor kurzem damit abgelegt, daß sie ein Forschungsprojekt der Süddänischen Universität Odense torpedierte. Die dänischen Wissenschaftler hatten Zeitzeugen aus der HVA dazu nach Berlin eingeladen. Aber da die Birthler-Behörde bei denen zu recht vermutete, daß sie nicht den Vorgaben der DDR-Delegitimierer folgen würden, zog sie ihre eigene Beteiligung zurück. Wahrscheinlich hat sie ihre Finger auch dabei im Spiel, daß die seit langem gebuchten Veranstaltungsräume kurzfristig gekündigt wurden.

Eine wissenschaftliche Aufarbeitung ist unter solchen Voraussetzungen nicht zu erwarten. Was bleibt, sind Stückwerk, Mutmaßungen, Brunnenvergiftung. Für die Birthler-Behörde gibt es nur eine Konsequenz: Hört auf mit dieser Scharlatanerie, schafft die Akten ins Bundesarchiv!

Generaloberst a. D. Werner Großmann war der letzte Chef der Hauptverwaltung Aufklärung, des Auslandsgeheimdienstes der DDR