junge
Welt vom 24.03.2005
Inland
Agenten fordern Recht
»Initiativgruppe Kundschafter des Friedens« wird zehn Jahre alt. Ehemalige Aufklärer der DDR-Staatssicherheitsorgane kämpfen um ihre Rehabilitierung
Peter Wolter
Der wohl
exklusivste Verein Deutschlands feiert seinen zehnten Geburtstag: die »Initiativgruppe Kundschafter des Friedens«, ein Zusammenschluß ehemaliger
Agenten der Auslandsaufklärung der DDR. Nach dem Anschluß der DDR waren
viele von ihnen zu jahrelangen Freiheitsstrafen verurteilt worden - die in der
DDR gefaßten
BND-Spione hingegen bekamen Jobs und Haftentschädigung.
Ein Schwerpunkt der Arbeit der IKF ist daher die Forderung, diese
verfassungswidrige, dem Gleicheitsgebot des
Grundgesetzes hohnsprechende politische Strafverfolgung zu beenden und die
Verurteilten juristisch zu rehabilitieren.
Dabei
hatte es anfangs so ausgesehen, als sei die Bundesregierung bereit, die im
Kalten Krieg gegenseitig betriebene Spionage verfassungsrechtlich gleich zu
behandeln, d.h. auf die Strafverfolgung der DDR-Agenten zu verzichten. Es war
die SPD, die diese Absicht vereitelte. Um 1990 im Wahlkampf Punkte zu sammeln
und von den eigenen Kontakten zur früheren SED abzulenken, machte sie sich dafür stark, rigoros gegen alle vorzugehen,
die als Bundesbürger
Informationen an die Geheimdienste der DDR geliefert
hatten.
320 Verurteilungen
Es hagelte
Verhaftungen und Strafprozesse. Bis zum 31. Juli 1997 wurden nach amtlichen
Angaben 5636 Ermittlungsverfahren gegen 7099 Beschuldigte eingeleitet. Laut IKF
wurden mindestens 320 Personen verurteilt. Rainer Rupp,
Klaus Kuron und Karl Gebauer bekamen jeweils zwölf Jahre, zehn Kundschafter zwischen acht
und zehn Jahren, eine große Gruppe bis zu sechs Jahren Haft. Die meisten hatten für die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gearbeitet, einige
auch für die Militäraufklärung der Nationalen Volksarmee (NVA).
Wohl
selten ist es einem Nachrichtendienst gelungen, die politischen und militärischen Strukturen eines anderen Landes so
perfekt aufzuklären.
DDR-Agenten gab es nicht nur im Bundeskanzleramt,
sondern auch in Ministerien und Parteizentralen. Vorrangige Ziele waren die
BRD-Geheimdienste: Im Bundesnachrichtendienst (BND) arbeiteten nicht nur
Gabriele Gast (siehe Interview), sondern auch die Brüder Alfred und Ludwig Spuhler.
Auch der Bundesverfassungsschutz blieb nicht ungeschoren: Ausgerechnet der
Leiter der Abteilung Gegenspionage, Klaus Kuron,
lieferte seine Berichte regelmäßig in Berlin ab. Und daß der stellvertretende Chef des Militärgeheimdienstes MAD, Oberst Joachim Krase, ebenfalls der DDR zuarbeitete, fiel erst nach dessen
Tod auf. Im Verteidigungsministerium lichtete der heutige IKF-Vorsitzende
Dieter Popp die wichtigsten Papiere ab, aus der Entwicklungsabteilung des Rüstungskonzerns MBB übermittelte Dieter Feuerstein
Konstruktionspläne für Jagdbomber. Auch BRD-Diplomaten wie
Klaus von Raussendorf und Hagen Blau lieferten
Informationen. Am besten war der heutige jW-Autor
Rainer Rupp plaziert: Als
Direktor im Brüsseler
NATO-Hauptquartier hatte er intimsten Einblick in die Planungen des Militärbündnisses.
Politische Überzeugung
Das
Erfolgsrezept der DDR-Geheimdienste war einfach, aber wirkungsvoll: Sie planten
langfristig und setzten vorwiegend auf die politische Überzeugung. Die Mitarbeiter der HVA z.B.
waren allesamt überzeugte
Kommunisten, die trotz aller Detailkritik an den inneren Zuständen der DDR bis heute loyal zu ihrem
untergegangenen Staat stehen. Auch die im Ausland angeworbenen inoffiziellen
Mitarbeiter waren zumeist Kommunisten. Wichtigstes Motiv aller war der Wunsch
zu verhindern, daß
der Kalte Krieg in einen heißen umschlägt.
Während die DDR-Kundschafter fast ausschließlich aus humanistisch-politischer Überzeugung handelten, wurden Spione des BND in der Regel entweder erpreßt oder mit Geld geködert.
»Gegen die DDR gab es rund 5000 geglückte und versuchte Werbungen, die von
westlichen Diensten, bzw. nachgeordneten
Institutionen ausgingen«, sagte der ehemalige HVA-Oberst Gotthold Schramm gegenüber jW. »Ich konnte die 200 Fälle analysieren, die gegen Mitarbeiter der
DDR-Auslandsvertretungen gerichtet waren. Drei Viertel dieser Fälle gingen auf das Konto des BND. In jedem
zweiten Fall wurde mit Erpressung gearbeitet, bei den meisten anderen ging es
um Geld. In vereinzelten Fällen war auch Antikommunismus bis hin zum blanken Haß festzustellen.«
Humanistische
Ideale und politische Überzeugung bei den einen - Erpressung und Käuflichkeit
bei den anderen. Erstere wurden jahrelang ins Gefängnis gesteckt, letztere
wurden als »Opfer politischer Verfolgung« anerkannt und mit Geld, gut bezahlten
Jobs und Auszeichnungen belohnt.
* www.kundschafter-frieden.de
(Siehe
auch Interview mit Gabriele Gast)
Literatur:
Authentische Berichte
* »Kundschafter
im Westen« (Hg. Klaus Eichner, Gotthold Schramm), edition
ost 2003, 383 Seiten, Preis: 17,50 Euro, ISBN
3-360-01049-3
(In diesem Buch berichten 30 ehemalige
DDR-Agenten über ihre Arbeit)
* »Kundschafterin
des Friedens: 17 Jahre Topspionin der DDR beim BND« von Gabriele Gast,
Eichborn-Verlag 1999, 352 Seiten, Preis: 8,95 Euro, ISBN 3-8218-0522-6
(Gabriele
Gast berichtet über ihre Arbeit beim Bundesnachrichtendienst)
* »Spionage
für den Frieden?«
(Hg. Klaus
Eichner, Gotthold Schramm), edition ost 2004, 184 Seiten, 10 Euro
(Protokoll
einer internationalen Konferenz vom 7. Mai 2004 in Berlin. Beiträge u.a. von ehemaligen Geheimdienstlern der DDR, des KGB sowie
der CIA)
* Noch drei in Haft
Mittlerweile
haben alle von der bundesdeutschen Justiz verurteilten ehemaligen
DDR-Kundschafter ihre Haftstrafen verbüßt. In den USA allerdings sind noch drei
Personen im Gefängnis, denen die Zusammenarbeit mit der DDR vorgeworfen wird:
Der deutschstämmige Gewerkschafter Kurt Stand, seine Frau Terry Squillacote und Jim Clark. Kurt Stand, der 1999 zu 17
Jahren verurteilt wurde, schreibt aus dem Gefängnis heraus auch für junge Welt.