Leserbrief, gekürzt
veröffentlicht im "Hohenschönhausener Lokalblatt" Nr. 37 (Juni 1994)
Anmerkungen zu Ihrem
Beitrag "Ich bin nicht besessen..." in Nr. 36/94, Seite 11
Als Teilnehmer der Veranstaltung mit Joachim Gauck am 21.04.1994 in der öffentlichen Veranstaltung des Bezirksamtes fühlte ich mich an die bekannte Fernsehreihe "Pro und Kontra" erinnert.
Ihr
mit M.H. gezeichneter Beitrag ist dabei die Darstellung des Pro-Gauck-Anwaltes.
Aber auch ein Kontra-Anwalt
wäre auf dieser Veranstaltung auf seine Kosten gekommen. Er hätte bestimmt die
entwaffnend logische Erklärung von Herrn Gauck aufgenommen, dass man nach der
Wende keine Kommunistenverfolgung gewollt und sich deshalb das MfS ausgesucht
habe.
Interessant auch die
Stellungnahme von Herrn Gauck zur konkreten Nachfrage, wie viele der von ihm
pauschal angeführten Liquidierungen von Menschen und Folterungen seitens des
MfS seine Behörde nach mehrjähriger Tätigkeit denn bisher nachgewiesen habe.
Schließlich konnte er nur auf einen Fall hinweisen, den des Terroristen
GARTENSCHLÄGER, der von westlicher Seite mit entsicherter Pistole in das Gebiet
der DDR eingedrungen war, um Selbstschussautomaten abzubauen. Er hatte zuvor
erklärt, dass er jeden Angehörigen der Grenztruppen, der sich ihm in den Weg
stellen sollte, "umlegen" werde. Beim Versuch seiner Festnahme wurde
er bei einem Schusswechsel erschossen. Bad Kleinen lässt grüßen!
Ansonsten verwies Herr
Gauck auf schwebende Verfahren, in die er nicht eingreifen könne. Das war auch
nicht anders zu erwarten, wird doch z.Z. ein erster Pilotprozess in Sachen
Folterungen und Häftlingsmisshandlungen geführt, allerdings nicht gegen einen
Angehörigen des MfS sondern gegen einen Angehörigen des Strafvollzuges des MdI.
Zum Glück meldete sich
jemand aus dem Publikum, der sich als Folteropfer outete. Leider blieb unklar,
ob sein Fall in einem rechtsstaatlichen Verfahren geprüft wird.
Die alles entscheidende
Frage, ob Meuchelmord und Folter Praxis des MfS war oder ob es sich um Exzesse
einzelner Schweinehunde in seinen Reihen handelte, wurde so auch an diesem
Abend nicht beantwortet.
Anerkennenswert
war die Korrektur von Herrn Gauck zu seinen Aussagen über unmenschliche
Haftbedingungen, die durch das MfS zu verantworten seien. Er bestätigte, dass
alle Haftanstalten der DDR (einschließlich der berüchtigten Anstalt
"Bautzen II") dem Strafvollzug des MdI unterstanden und dass das MfS
nur einige Untersuchungshaftanstalten hatte, in denen in den letzten 10 bis 20
Jahren sogar deutlich bessere Haftbedingungen gegeben waren als sonst in der
DDR.
Nicht eingehen wollte
Herr Gauck auf Fehleinschätzungen seiner Behörde, die zu nachhaltigen
Eingriffen in das Leben von Personen geführt hatten. Seine Behörde hätte sonst
Rechtsstreitigkeiten, die ihm bekannt sein müssten. Allerdings wurden derartige
Dinge zumeist in Prozessen mit den Arbeitgebern geklärt und konkrete Fälle
konnten namentlich angeführt werden.
Für Außenstehende
bedeutsam war sicher auch der vorgebrachte Vergleich zwischen den
Gründergenerationen des MfS und der westdeutschen Geheimdienste, der vom
Insiderkomitee zur Aufarbeitung der Geschichte des MfS dokumentiert wurde. An
der Spitze des MfS standen in der Gründerphase ausschließlich ausgewiesene
Antifaschisten, während unter den leitenden Mitarbeitern der westdeutschen
Geheimdienste nur ein einziger Antifaschist, ansonsten aber viele ehem.
Mitarbeiter der faschistischen deutschen Geheimdienste standen.
Man muss allerdings
Herrn Gauck bestätigen, dass die Behandlung des Antifaschisten HAVEMANN seitens
des MfS im Widerspruch zur antifaschistischen Grundhaltung der MfS-Gründer
stand und damit auch nicht zu entschuldigen ist.
Einigkeit zwischen "Pro und Kontra" besteht sicherlich in der Anerkennung der Notwendigkeit des sachlichen Disputes bei der Aufarbeitung der Geschichte der DDR und des MfS, der bis heute leider Ausnahme geblieben ist und noch immer von einem tendenziösen Sensations- und Enthüllungsjournalismus überdeckt wird.
Wolfgang Schmidt