"junge Welt" 03.02.2022
Abwehrmann seiner Klasse
Zum
Tod von Generalleutnant Wolfgang Schwanitz
Frank Schumann
Wenn sein Name fiel, dann nur mit der
Vokabel: der Nachfolger von Mielke. Das ist so richtig wie falsch.
Generalleutnant Wolfgang Schwanitz war zwar, als er im November 1989 in die
Modrow-Regierung berufen wurde, bis dahin drei Jahre Stellvertreter des
Ministers gewesen – aber er wurde nicht Minister für Staatssicherheit, sondern
Leiter des neu gegründeten Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS).
Das sollte zwar schon am 11. Januar 1990 auf Beschluss des runden Tisches
wieder aufgelöst und der 59jährige abberufen werden, aber das Etikett
»Mielke-Nachfolger« haftete ihm dennoch an. Damit konnte er leben. Er stand zu
seiner Geschichte und der des Organs, dem der gebürtige Berliner von Anbeginn
angehört hatte. Als Kreisdienststellenleiter, dann als Leiter der
Spionageabwehr in der Verwaltung von Groß-Berlin. Keine einfache Aufgabe unter
den Bedingungen der offenen Grenze in der Welthauptstadt der Agenten.
Später, in den 70er Jahren, wurde er mit
43 Jahren Leiter der Berliner Bezirksverwaltung, was eine kaum weniger leichte
Verpflichtung war. Da hatte er bereits an der Humboldt-Universität zu Berlin im
Fernstudium sein Juradiplom erworben und in Potsdam-Eiche promoviert. In den
drei Jahren als Mielkes Stellvertreter wurden 22 auswärtige Spione enttarnt, 18
arbeiteten für den Bundesnachrichtendienst. Zuletzt, bereits als AfNS-Chef, verantwortete er die Entdeckung von US-Sonden
vor militärischen Einrichtungen auf DDR-Gebiet.
Ich lernte den Abwehrmann erst in den 90er
Jahren kennen. Da trat er in diversen Diskussionskreisen auf und bekannte
Farbe. Er debattierte beim Theologen Dr. Ulrich Schröder in der Erlöserkirche in
Berlin-Lichtenberg ebenso wie im Berliner Ensemble und in der Berliner Landesbibliothek
unweit seiner Wohnung in der Leipziger Straße, von der man einen phantastischen
Blick über den Osten der Stadt hatte. Mit meist leiser, gedämpfter Stimme
widersprach er kräftig allen Anschuldigungen und
Verleumdungen, die bei solchen Veranstaltungen stets vorgebracht wurden.
Schwanitz hatte nicht den Dreck am Stecken, den man ihm anheften wollte. Alle
Ermittlungsverfahren mussten eingestellt werden, selbst so konstruierte wie das
wegen angeblicher Korruption. Er konnte beweisen, dass sein Boot auf Heller und
Pfennig aus der eigenen Tasche bezahlt worden war.
Wolfgang Schwanitz trat zunehmend
publizistisch in Erscheinung, das nach der Jahrtausendwende erschienene
zweibändige Werk »Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS« (Edition Ost) geht
auf seine Initiative zurück. Wer sich danach seriös mit dem MfS beschäftigte,
kam daran nicht vorbei. Das Nachwort hatte der letzte Innenminister der DDR,
Peter-Michael Diestel, beigesteuert. Und als der CDU-Mann zu einem runden
Geburtstag in seine Potsdamer Kanzlei lud, fuhr ich mit den Autoren zum Gratulieren
hinüber. Auch Helmut Kohl war da und erkennbar darum bemüht, nicht gemeinsam
mit den MfS-Generalen fotografiert zu werden. Er wusste nicht, wen er da vor
sich hatte, mied aber instinktiv die Nähe des Klassenfeinds.
Die Furcht vor diesem teilten auch andere.
Wenn Wolfgang Schwanitz und seine Gefährten den Verlag aufsuchten, lungerten
oft zwei jüngere Männer auffällig im Treppenaufgang oder vorm Haus herum. »Sind
das deine Aufpasser?«, fragte ich ihn, und er lachte. »Nein, die sind wohl von
der anderen Feldpostnummer.« Irgendwann erlosch aber auch dort das Interesse.
Generalleutnant a. D. Wolfgang Schwanitz ist am Dienstag, wenige Tage
nach dem Chef der Aufklärung
Werner Großmann,
im Alter von 91 Jahren
nach langer Krankheit in seiner Berliner Wohnung verstorben.