junge Welt
Soldaten
sind Psychopathen
Jeder
hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Wenn er
viel Geld und einen
guten Anwalt hat.
Prozesse einer Woche
Dietmar Koschmieder
Siegfried Kauder ist seit einem Jahr Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. Ausgerechnet er forderte diese Woche angesichts der Terrorgefahren, die Pressefreiheit zu beschränken. Selbstverständlich unterstützte Kauder auch die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen gegen 17 Journalisten. Diese wurden verdächtigt, geheime Informationen (zu denen auch Zeitungsausschnitte gehörten) des Kurnaz-Untersuchungsausschusses entgegengenommen und daraus veröffentlicht zu haben. Gewerkschaften und Medienvertreter sahen darin schon damals den Versuch, die Pressefreiheit einzuschränken und Journalisten einzuschüchtern.
Das geht auch über andere Wege, zum
Beispiel über Beleidigungsklagen. Hubertus Knabe, Leiter
einer Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, wurde in dieser Zeitung in einem Interview als »Psychopath aus Hohenschönhausen« bezeichnet, »der die Stasi-Überprüfung nunmehr bis auf den
letzten Eskimo ausgedehnt wissen will«. Auf Antrag der
Staatsanwaltschaft wurde dem Chefredakteur der jungen Welt vom
Amtsgericht Tiergarten am 27Januar ein Strafbefehl in Höhe von 4800 Euro zugestellt. Arnold Schölzel hätte die junge Welt nicht »von strafbaren Inhalten« freigehalten und deshalb sei »mittels des Druckwerks eine
rechtswidrige Tat, nämlich eine Beleidigung« begangen worden. Schölzel legte umgehend Einspruch gegen den
Strafbefehl ein und warf Staatsanwaltschaft, Gericht und Hubertus Knabe den
Versuch einer Einschränkung der Presse-,
Informations- und Meinungsfreiheit vor. In der Hauptverhandlung folgte die
Amtsrichterin seinen Überlegungen. Der Begriff
»Psychopath« sei nicht medizinisch
gebraucht worden, sei keine Schmähkritik, weil er im
Rahmen einer inhaltlichen Argumentation vorgetragen wurde, Schölzel hätte berechtigte Interessen wahrgenommen, zudem müsse, wer wie Herr Knabe austeilt, auch einstecken können. Schölzel wurde freigesprochen. Die
Staatsanwaltschaft wollte das aber nicht auf sich beruhen lassen und ging in
die Berufung. Am Dienstag dieser Woche bestätigte nun das Berliner
Landgericht das Amtsgerichtsurteil. Ausführlich begründete der Richter, warum die Meinungsfreiheit ein so hohes Gut sei
und warum es darauf ankäme, daß die Äußerung im Rahmen einer öffentlich geführten Diskussion fällt - und eben nicht nur eine persönliche Diffamierung der
angesprochenen Person darstelle - mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
in Sachen Tucholsky-Zitat (»Soldaten sind Mörder«): Es gehe um eine Positionierung
in einem inhaltlichen Streit und nicht um einen juristischen oder medizinischen
Tatbestand, hier wiege das Recht der freien Meinungsäußerung besonders viel.
Nur einen Tag danach kommt aus dem Amtsgericht Tiergarten der nächste Strafbefehl. Diesmal soll jW-Autor
Thies Gleiss 5400 Euro
zahlen. Er hätte in einem Artikel in der jungen Welt die
in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten bewußt als »Mörder im rechtlichen
Sinne« bezeichnet und damit beleidigt. Gleiss hatte in der jW-Ausgabe
vom 20.Mai 2010 auf der Schwerpunktseite die Koalitionsverhandlungen in
Nordrhein-Westfalen kommentiert. Die SPD verlangte von den
Linkspartei-Genossen, sie sollten erst mal ihr Verhältnis zur DDR klären. Gleiss
konterte dieses Ansinnen damit, daß die von der SPD und den Grünen nach Afghanistan geschickten Mördersoldaten schon
deutlich mehr Menschen umgebracht hätten, als es Tote an der
Berliner Mauer gab. Weder bei den Toten an der Mauer noch bei den Opfern in
Afghanistan geht es dabei um einen juristisch präzise formulierten
Straftatbestand, sondern um die landläufige Erkenntnis, daß
auch Bundeswehrsoldaten Menschen umbringen. In früheren Verfahren
argumentierten Staatsanwaltschaft, Bundeswehrführung und Behörden gegen das Tucholsky-Zitat damit, daß
die Bundeswehr alleine den Auftrag der Abschreckung und unmittelbaren
Landesverteidigung zu verfolgen habe, niemals aber Krieg außerhalb der
Bundesrepublik führen werde. Spätestens nach den Bundeswehr-Luftangriffen in
Jugoslawien und Massakern wie dem Bombenangriff auf einen Tanklastzug in Afghanistan
argumentieren Staatsanwaltschaft und Bundeswehr allerdings anders. Immerhin ist
dieser aktuelle Prozeß schon jetzt von so großer
Bedeutung, daß er bereits heute in das Wikipedia-Lexikon unter dem Stichwort »Soldaten sind Mörder/Entwicklung
der öffentlichen Diskussion« Eingang gefunden hat. Wir werden weiter berichten.
Auch das nächste Gerichtsschreiben, das am Freitag ins Haus
geflattert kam, beschreibt den realen Zustand in Sachen Meinungsfreiheit. Die
Firma Stadtkultur Berlin verlangt von der jungen Welt bzw. dem Verlag S.Mai GmbH eine Unterlassungserklärung und Schadenersatz,
wegen »sogenannten Wildplakatierens«. Selbstverständlich haben wir weder wild
plakatiert, noch sowas veranlaßt.
Vielmehr haben wir hier in Berlin immer wieder ganz offiziell Plakate über
diverse Firmen kleben lassen, so etwa für die Rosa-Luxemburg-Konferenz in den
Aushängen der U- und S-Bahn. Man braucht also viel Geld, um seine Meinung im öffentlichen
Raum kundzutun. Doch auch das reicht nicht, wenn es die falsche ist. Uns wurde
der bezahlte Aushang auch schon verweigert, weil darauf eine Äußerung von Rosa
Luxemburg zitiert wurde, der zu politisch gewesen sei. Auch über diesen Prozeß werden wir berichten. Und wir weisen bei der
Gelegenheit auf unseren Prozeßkostenfonds hin.
Prozeßkostenfonds:
Kontoinhaber: Verlag 8. Mai GmbH Postbank, BLZ: 100 100 10, Kontonummer: 69
56 82 100, Stichwort: Prozeßkosten