Junge Welt

04.07.2006 / Ansichten / Seite 8

Streit um Birthler-Behörde: Rosenholzerei

Arnold Schölzel


Am Montag hatte Marianne Birthler in der Welt erneut Gelegenheit, sich ausführlich zu allen möglichen Vorwürfen gegen sich und ihr Amt zu äußern. Ausgangspunkt ist ein in der Tat merkwürdiger Vorgang. Seit April 2005 soll der Chefin der MfS-Akten ein 238 Seiten starker Bericht vorliegen, der bis heute weder ihrer Dienstaufsicht - dem Kulturstaatsminister im Kanzleramt - noch der Fachaufsicht - dem Beirat der Unterlagenbehörde - vorgelegen hat. Dieser Bericht, so viel drang nach außen, befaßt sich mit den sogenannten Rosenholz-Dateien. Bei ihnen handelt es sich um Datenträger, die 1989/90 aus der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit in die Hände der CIA gerieten. Die saß gemütlich auf den etwa 350000 Datensätzen und lieferte erst 2003 einen Berg CD-ROMs in Berlin ab. Damals machte sich eine fünfköpfige Forschungsgruppe der Birthler-Behörde an die Entschlüsselung und soll u. a. herausgefunden haben, daß zwischen 1969 und 1972 im Bonner Bundestag 43 Abgeordnete aus SPD, CDU und FDP saßen, die Kontakte zum MfS hatten - eben jene »Fraktionsstärke«, von der HVA-Chef Markus Wolf einmal sprach.

Das wurde gleichzeitig mit den Vorschlägen einer staatlichen Kommission zur Neuordnung des Umgangs mit den DDR-Hinterlassenschaften im Frühjahr dieses Jahres bekannt. Seitdem hagelt es Kritik an der Birthler-Behörde aus den eigenen Reihen, von Ineffizienz ist die Rede. Angesichts schrumpfender Geldzuflüsse geht es um Verteilungskämpfe, offensichtlich aber auch um einen schärferen Umgang mit der DDR. Daß der Bericht unter Verschluß liegt, begründet Birthler formal. Das deutet auf eine sehr schwache Position. Für sie warf sich noch am Montag Wolfgang Thierse über Spiegel online in die Bresche und markierte den Empörten: »Es ist ungeheuerlich, daß Birthler jetzt ihre Sorgfalt vorgeworfen wird.« Der Historiker Hubertus Knabe, der die sofortige Veröffentlichung der Namen aller 43 Politiker verlangt hatte, würde »zur Denunziation auffordern«.

Eine echte »Wolli«-Leistung: Genau das ist per Definition und Eigenauftrag Knabes und Birthlers Aufgabe. Daß elementare Rechtsregeln für Ostdeutsche seit dem 3. Oktober 1990 außer Kraft sind - Rückwirkungsverbot, Verjährungsfrist, Freiheit der Wissenschaft, ersetzt durch pauschale Sanktionierung mittels Renten-, Arbeits- ­und Verwaltungsrecht - wurde stets achselzuckend zur Kenntnis genommen. Nun dürfen 43 Bundestagsabgeordnete nicht genannt werden, weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Ein positives Verhältnis zum MfS bei ziemlich vielen Leuten Ost wie West. Daß wildgewordene Agitatoren wie Knabe nun auch für den Westen keine Rechtsregeln mehr akzeptieren, geht zu weit. Denn für das doppelte Recht - im Osten keins, im Westen alles - dafür stehen Thierse und Birthler.