22.05.2006 / Inland / Seite 3
»Wir kämpfen weiter um historische Wahrheit«
Ehemalige »Kundschafter« der DDR trafen sich am Samstag in Strausberg. Sie wehren sich gegen Diffamierungen und Ungerechtigkeit. Unterstützung aus der Linkspartei.PDS. Grüße aus den USA
Peter Wolter
Trotz aller oberflächlichen Ähnlichkeiten sind der Bundesnachrichtendienst (BND) und seine frühere Gegenspielerin, die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) der DDR, verschieden wie Nacht und Tag. Der eine wurde von belasteten Nazis gegründet - die andere von Antifaschisten, von denen nicht wenige in KZ gesperrt worden waren. Der eine flankiert die Kriegspolitik der USA und der BRD - die andere hatte als oberstes Ziel die Bewahrung des Friedens in Europa. Den einen Auslandsnachrichtendienst gibt es noch - der andere, mit Abstand erfolgreichere, wurde mit dem Ende der DDR aufgelöst.
Im Gegensatz zum BND stützte sich die HVA vorwiegend auf »Überzeugungstäter« - auf Frauen und Männer, denen vor allem die Verhinderung eines Atomkriegs am Herzen lag. Seit Jahren treffen sie sich regelmäßig mit den ehemaligen Hauptamtlichen - nicht nur, um Erfahrungen auszutauschen, sondern auch, um Möglichkeiten zur gegenseitigen Unterstützung zu besprechen. Das jüngste Treffen am Samstag in Strausberg bei Berlin war so gut besucht wie keines zuvor: Etwa drei Dutzend ehemalige DDR-Agenten nahmen teil, außerdem zahlreiche Offiziere der früheren HVA bzw. der Militäraufklärung der Nationalen Volksarmee sowie einige Gäste.
Hauptthema waren die anhaltenden Versuche, die Arbeit der DDR-Geheimdienste zu diffamieren. »Es geht uns um die historische Wahrheit«, sagte Oberst a. D. Gotthold Schramm, einer der Organisatoren der Konferenz. »Vor allem von der Birthler-Behörde wird ein Wust von Lügen über unsere Arbeit verbreitet, ohne daß uns die geringste Chance gegeben wird, uns dazu zu äußern. Wir warten nicht mehr darauf, gefragt zu werden - wir gehen jetzt von uns aus an die Öffentlichkeit.«
Wie kreativ Birthler-Behörde, reaktionäre Politiker und Medien mit der Wahrheit umgehen, illustrierte der ehemalige CIA-Agent Hannes Sieberer, ein Österreicher, der mehrere Jahre wegen Spionage in der DDR inhaftiert war. »Weder ich noch andere CIA-Kollegen, die ich in den Haftanstalten Hohenschönhausen und Bautzen traf, haben Folter oder unmenschliche Behandlung erlebt«, sagte er. »Wir haben auch von anderen Häftlingen nie derartiges gehört. Die Haftzeit war zwar hart - wir wurden aber völlig korrekt behandelt.« Das hört die Leitung der »Stasi-Gedenkstätte« Berlin-Hohenschönhausen gar nicht gerne: Sieberer, der dort über seine Erfahrungen berichten wollte, bekam kurzerhand Hausverbot.
Ständiges Thema der Aufklärer-Treffen ist die soziale Lage der »Ehemaligen«. Den Offizieren wurde seitens der BRD die Rente bis fast auf Sozialhilfeniveau zusammengestrichen; viele ehemalige Mitarbeiter, »Kundschafter« genannt, wurden von der BRD-Justiz zu mehr oder weniger langen Haftstrafen verurteilt. Sie verloren vielfach Job, Rentenansprüche und Ersparnisse. Zur Zeit sind nur noch drei ehemalige Agenten der DDR in Haft - James Clark, Kurt Stand und Teresa Squillacote. »Wir drücken Euch fest die Hand«, heißt es in einem Schreiben der Konferenz an die in US-Gefängnissen einsitzenden Genossen.
»Die DDR war ein souveräner Staat. Ihr Geheimdienst hat nichts anderes getan als die entsprechenden Dienste anderer Staaten«, sagte Schramm. »Formal gesehen haben sich BRD und DDR als gleichberechtigte Staaten wiedervereinigt - die Agenten der einen Seite wurden jedoch befördert und belohnt, die der anderen ins Gefängnis gesteckt. Das widerspricht nicht nur dem Völkerrecht, sondern auch dem nationalen Recht.« In der gegenwärtigen politischen Konstellation erscheint es fast als aussichtslos, trotzdem wollen sowohl Kundschafter als auch die ehemaligen Offiziere weiter für ihre Rechte kämpfen.
Unterstützung für diese Forderung bekamen sie am Samstag aus der Linkspartei.PDS. »Ich stehe auf Eurer Seite und werde mit Euch dafür kämpfen, daß dieses Unrecht beseitigt wird«, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, unter großem Beifall. Gast der Veranstaltung war außerdem die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Landtag von Brandenburg, Kerstin Kaiser.
Gruß aus den USA
* An die Teilnehmer eines Treffens ehemaliger Aufklärer der DDR am Sonnabend in Strausberg bei Berlin
Ich übermittele Euch solidarische Grüße aus dem Komplex der Bundeshaftanstalten in Petersburg, Virginia. Es gibt ein Gefühl psychologischen Gleichgewichts, wenn ich betone, daß ich hier die Deutsche Demokratische Republik und die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands repräsentiere - so, wie beide bis 1989 bestanden. Wie viele andere können im Jahr 2006 von sich sagen, daß sie ausschließlich deshalb in einem USA-Gefängnis weggesperrt sind, weil sie der DDR dienten? Das ist für mich eine Ehre, mein Privileg und mein Stolz.
Dieses Gefängnis wurde 1932 eröffnet und hat eine bemerkenswerte Geschichte.
Unter den politischen Gefangenen, die hier einsaßen, waren Morton Sobell, im Zusammenhang mit dem Spionagefall der Rosenbergs, und Philip Berrigan, ein Priester, der die Aktivisten der Vietnamkriegsgegner ermutigte.
Seit Dezember 2002 habe ich die Ermutigung, in demselben Gefängnis wie Kurt Stand, dem namhaften, hervorragenden Vertreter der US-Gewerkschaftsbewegung, inhaftiert zu sein. Kurt war ein Organisator der Vereinigung der Arbeiter in der amerikanischen Lebensmittelindustrie, bis er im Jahr 1997 gemeinsam mit mir und Terry Squillacote im Ergebnis einer vom FBI langfristig inszenierten und provozierten Spionagehandlung festgenommen wurde.
Für einen politisch aktiven Menschen wie mich ist es keine »Zeitverschwendung«, in diesem Bundesgefängnissystem inhaftiert zu sein. Aus meiner momentanen Perspektive betrachtet gibt es heute nichts, was für einen Aktivisten in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wichtiger wäre zu kennen als die Funktionsweise des Gefängnissystems und den Ablauf des Gefängnislebens. Die USA sind heute mehr denn je ein Staat, der aus Gefängnisinsassen, Gefängniswachen, aus Polizisten und Söldnern besteht. Mit allen vier Kategorien dieser gesellschaftlichen Akteure müssen wir vertraut sein. Um diese unmenschliche Lebensweise zu beseitigen, müssen wir wissen, wie sie funktioniert. Wir müssen die Verhaltens- und Gedankenprozesse sowohl der Opfer als auch der Täter kennen. Die Menschen, denen man im Gefängnis begegnet, gehören zum wahren Salz der Erde, es sind die Söhne und Töchter der Menschen aller Rassen und vieler Nationen.
Die Zeit der Gefangenschaft kann man als politischer Häftling auch für die Vervollkommnung der eigenen Bildung und für physische Übungen nutzen.
James Clark #
42287-083
Delaware Hall
FCI Petersburg Low
PO. Box
1000
Petersburg VA
23804, U.S.A.