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Neues Deutschland vom 26. Januar 2008, Seite 11 (Feuilleton)
Viele Vorschusslorbeeren für »Das Wunder von Beriin« vom ZDF
Der beste Weichspüler
Von Gunnar Decker
Wenn Kitsch auf Kunst trifft, gewinnt der Kitsch. Immer. Da kann man wenig machen, höchstens wegsehen, besser noch: abschalten. Weckt der Titel noch Erinnerungen an Vittorio de Sicas kostbares Sozialmärchen »Das Wunder von Mailand« oder Wim Wenders ambitionierten »Himmel über Berlin«, so kommt einem beim Betrachten dieses TV-Produkts unweigerlich ganz anderes in den Sinn. Waschmittelwerbung! Der beste Weichspüler ist und bleibt Roland Suso Richter Der Erfolgsregisseur beglückt uns dieses Jahr gleich drei Mal. »Das Wunder von Berlin« -»Familiengeschichte als Zeitgeschichte - als fiktionaier Fernseh-Event« (ZDF-Presse-Text) gibt den Ton vor. Zwei weitere Mega-Clips folgen, der eine über den Absturz der »Hindenburg« und der andere über die Geiselbefreiung von Mogadischu. Roland Suso Richter macht aus allem was. Heraus kommt immer eine Art von »Bild«-Zeitung, die mit der Bedeutsamkeit eines historischen Lehrbuchs auftritt. Damit kennt man sich ja aus beim History-ZDF. Wahrheit? Ja bitte, aber nur, wenn sie die Unterhaltung nicht stört. Killer sind willkommen, bis auf Quotenkiller, die werden zu 3sat geschickt. Das TV-Produkt als Resultat von Medienmarketing. Die Einschaltquote: das Goldene Kalb, um das Fernsehdirektoren und Redakteure jeden Morgen im Kreis tanzen.
Vor Richters Erfolgsbilanz kann man nur in Deckung gehen. In »Dresden« zeigte er das sinnlose Niederbomben der Eibmetropole, als wäre es ein Feuerwerk zur großen Liebesgeschichte. »Der Tunnel« ließ keinen Zweifel daran, dass jeder gute (Ost-)Deutsche, von Freiheitsdrang berauscht, sich notfalls tief unter der Erde in den Westen durchgrub. Daneben gab es noch diverse andere Film-Events: Götz George durfte sich als Mengele-Monster lächerlich machen oder das alte West-Berlin noch einmal zur Bubie-Schoiz-Story über sich selbst weinen.
Nun also so etwas wie die Fortsetzung von »Die Frau vom Checkpoint Charly«. Eine Ost-Familie auf dem Weg in die Freiheit. Diesmal müssen sie nicht erst zu ihr gehen, sie kommt praktischerweise gleich selbst ins Land. Also muss sie bloß angemessen - also freudig! - empfangen werden. Ort und Zeit: Ost-Berlin, Herbst 1989. Die Spielfilmhandlung schreitet über einen Bilderteppich von tausendmal gesehenen Maueröffnungsbildern und Jubel-Rufen. Suso Richter recycelt vergangene Emotionen, als wäre Geschichte ein von ihm betriebener Schrottplatz.
Über den Herbst 1989 hat Andreas Dresen bereits 1992 einen damals kaum beachteten Film gedreht: »Stilles Land« (mit Kurt Böwe). Ein präziser, skurril-poetischer Blick zurück aus der Perspektive eines kleinen Theaters (Castorf in Anklam!), in dem gerade Becketts »Warten auf Godot« inszeniert wird. Da begreift man, an weichen Endpunkten das Land stand - und wundert sich immer noch darüber, wie schnell der Vorhang des Vergessens fiel Wie eilig die Ideale, die nichts mit schnellem Anschluss zu tun hatten, in den Requisiten-Fundus wanderten!
»Das Wunder von Berlin« ist Teil dieser Vergessens-Industrie, die mit Klischees von heute eine komplizierte (für's Massenfernsehen wohl zu komplizierte!) und höchst widersprüchliche Gefühlslage von damals zu beschreiben vorgibt. Jede Reaktion liegt um mindestens eine Nuance daneben, hier darf sich jeder zu recht falsch verstanden fühlen. Filme wie dieser sagen mehr über das Heute als über das Gestern, sie verkleistern alles mit den denkfaulen Mitteln simpelster Unterhaltung - und so wird es dann mittelmäßig, Konfektion von der Stange.
Dabei ist die '89er Wahrheit tatsächlich immer noch erregend. Sie ist
brutal, in manchen Momenten auch brutal schön. Aber um das zu zeigen, muss jemand
seine Geschichte erzählen wollen, egal, ob sie nun gefällt oder nicht. Suso
Richter aber will immer nur Geschichten erzählen, die allen gefallen. Das ist der gefällige Markt-Opportunismus von heute, das
ist zynisch und unehrlich dem für sich reklamierten Anspruch gegenüber. Kürt Maetzig hat
angesichts dieser faltenlosen Geschichtsbildnerei des Entweder-Oder empfohlen,
sich im DEFA-Fundus von »Spur der Steine« bis »Geschlossene Gesellschaft« umzusehen. Sonst kommt man wegen der läppischen Form gar nicht dazu, über Inhalte zu streiten.
Veronica Ferres ist tatsächlich wieder die Ost-Mutter vom Dienst. Diesmal - anders als in »Die Frau vom Checkpoint-Charly« - mit Wir-bleiben-hier-Gesichtsausdruck und Hang zur Bürgerbewegung. Sie gibt sich in betontem Katechetinnengrau und trägt dabei ihren Mutterstolz wie ein unsichtbares Transparent vor sich her. Ihr Mann (Heino Ferch) ist unpassenderweise ein Stasi-Offizier mit stereotypen Durchhalteparoien, der aus Opposition zu seinem »Nazi-Vater« (einziger autarker Lichtblick in dieser Klamotte: Michael Gwisdek) in der DDR Karriere machte. Sohn Marco (Kostja Ullmann) ist Punker und wird bei einem Konzert verhaftet. Der Stasi-Vater haut ihn natürlich raus -aber das hat seinen Preis. Marco entschließt sich, nun doch zur Armee zu gehen. (Man staunt ob des Entschlusses: Gab es etwa nicht die Wehrpflicht, ohne jede Möglichkeit der Verweigerung?) Damit es sich lohnt, geht er gleich für drei Jahre. Dass er dann trotzdem zumeist als Soldat und nicht als Unteroffiziersschüler durchs Bild marschiert, gehört zu den vielen, vielen Unstimmigkeiten des Films. Der große Schauspieler Hermann Beyer, der auch in einer nebulösen Mini-Rolle mitspielen darf, leidet sichtlich im Hintergrund.
Bei der NVA trifft Marco auf einen charismatischen Führer, Hauptmann Wolf (stumme Entschlossenheit im Blick: Andre Hennicke), der für die Stasi in Allendes Chile (wie bitte?) im Einsatz war. Seine DDR-kritische Tochter Anja (Karoline Herfurth, die mal als ein vielversprechendes Schauspiel-Talent galt, aber nun nicht viel davon zeigt) ist (oh Zufall!) die Freundin von Marco. Doch sie weiß natürlich nicht, wer ihr Vater ist, denn aus unerfindlichen Gründen wuchs sie im Heim auf. So geht das immer weiter und das Wunder, das wir Suso Richter hier abkaufen sollen, ist, dass dieser Kämpfer-Hauptmann aus dem Ex-Punker Marco noch im Herbst 1989 einen hundertfünfzigprozentigen Kommunisten mit starren Ideologie-Blick macht. Suso Richters Soft-Dämonologien zu jedem Anlass nerven nur noch.
Nein, das »Wunder« ist natürlich ein anderes. Denn ohne Happy End geht um 20.15 Uhr nichts. Pünktlich zum Mauerfall liegen sich Grenzsoldat Marco und seine Bürgerrechts-Freundin Anja glücklich in den Armen und lächeln via Fernseher zum kranken Opa Gwisdek hinüber. Der Kämpfer-Hauptmann erschießt sich. Das ist die deutsche Einheit a la Roland Suso Richter! Einfach zu blöd.
Sonntag im ZDF, 20.15 Uhr