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Horst
Böttger: Zwischen Fahneneid und Hippokrates. Als forensischer Psychiater im
Haftkrankenhaus des MfS (Autobiografie)
ISBN 978-3-95841-119-7, edition berolina, Berlin 2022, 240 Seiten, Preis: 19,99 Euro
Mit großem Getöse war nach 1990 der angebliche Missbrauch
der Psychiatrie seitens des MfS in die Welt posaunt worden. Gleich mehrere
Untersuchungskommissionen in den Ländern und die Enquete-Kommission des
Bundestages mussten nach intensiven Recherchen aber einräumen, dass das MfS
politische Häftlinge nicht in psychiatrische Anstalten eingewiesen und sich bei
der Überprüfung der Schuldfähigkeit auf die Kompetenz von Psychiatern verlassen
hat, ohne diesen Vorgaben zu machen oder sie zu beeinflussen. Übrig blieb ein
einziger Fall, der des Psychiaters im Haftkrankenhaus des MfS, Horst Böttger,
dem zunächst Verletzung der ärztlichen Schweigeplicht vorgeworfen wurde. Wie
aber sollte er im Auftrag des MfS für DDR-Gerichte psychiatrische Gutachten
abfassen und dabei über den Gesundheitszustand der zu beurteilenden Personen
Verschwiegenheit wahren? In einem Ermittlungsverfahren von 1995 – 2001 (!) wurden
deshalb dann nur die Anschuldigungen von 13 ehemals Inhaftierten geprüft, die
wegen der Behandlung im Haftkrankenhaus vorgeblich geschädigt worden waren. 11
dieser Klagen wurden vom Gericht als irrelevant bewertet, In den bleibenden
zwei Fällen erfolgte ein Freispruch aus Mangel an Beweisen, wohl vor allem als
letztes Zugeständnis an die „Opfer“.
Horst Böttger, der in der DDR zuletzt den Bereich forensische
Psychiatrie in der Sektion Kriminalistik der Humboldt-Universität leitete,
zieht in seiner Autobiografie die Bilanz seines Lebens, die in seinem heutigen Verhältnis
zur DDR und zum MfS widersprüchlich ausfällt. Auch wer nicht allen seinen
Überlegungen zustimmt, erhält interessante Einblicke in den Werdegang und die
Arbeitswelt eines Menschen mit nicht alltäglichen Aufgaben.
W.S.